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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder ans dein Universitätsleben

waren ausgezeichnet. Er wies schlagend nach, daß die Redensart vom Para-
sitentum der Juden falsch und lächerlich sei, man könne ebenso gut den
raupcnfressendcn Vogel, weil er auch hie und da ein paar Körner anspielt,
einen Parasiten nennen. Auch die andre unsinnige Behauptung, die Juden
genössen überall die Früchte der modernen Kultur, ohne zu ihrer Entwicklung
etwas beizutragen, stellte er ins rechte Licht. Ohne das Alte Testament, d. h.
ohne den Geist des Judentums, sei weder die mittelalterliche noch die gegen¬
wärtige Kultur denkbar; in ihm liege der Grund aller modernen sittlichen
Anschauungen. Die amerikanischen Puritaner und Quäker hätten mit ihren
streng sittlichen Begriffen ganz im jüdischen Geiste gelebt, noch ehe überhaupt
ein Jude nach Amerika gekommen sei. Dieser sittliche Einfluß des Judentums
auf die ganze Menschheit lasse sich nicht abstreiten. Die Juden bekämpfen
und verfolgen sei daher eben so unklug, als ob der Baumeister seine Ziegel-
streichcr, die ihm die besten Bausteine liefern, fortjagen wollte. Die geistige
und sittliche Bildung jedes modernen Kulturvolkes bestehe zu gleichen Teilen
aus klassischem Altertum, Judentum und nationaler Eigenart; nur die dritte
Größe sei veränderlich und bilde die Unterschiede zwischen den einzelnen Kultur¬
völkern, aber der aus dein klassischen Altertum und dem Judentum über¬
nommene Geist sei bei allen ziemlich gleich an Umfang und Inhalt.

Hie und da regte sich freilich unter den Zuhörern eine gewisse Oppo¬
sition, aber der Redner trat sehr entschieden ans; und als sich einige Flegel
in ihren Äußerungen nicht müßigen wollten, ersuchte er die Unzufriednen, das
Kolleg zu verlassen. Dn standen denn drei Antisemiten auf und verließen
polternd den Hörsaal. Es ist doch eine unverschämte Gesellschaft!

Selten habe ich mich so frei, so gehoben, so hoffnungsfreudig gefühlt,
wie uach diesem Kolleg.

Bei uns ist heute alles still, Bruder und Schwägerin sind in die Oper
gefahren, da ist es dann in der That ein Genuß, in der schönen Villa zu
leben. Auch habe ich hier endlich eine teilnehmende Menschenseele gefunden:
für die fünfjährige Elfe ist heute eine neue Kindergärtnerin angekommen --
ich höre schon dein verständnisvolles Haha! Lieber Freund, du kennst mich
und weißt, wie sehr ich alles Gemeine verabscheue. Es ist ein liebes, kluges,
bescheidnes Mädchen, eine Christin, die Tochter eines früh verstorbnen Arztes.
Offen gesagt, ich bedaure das arme Wesen, daß es in diese Gesellschaft hinein¬
geraten ist. Aber ich werde sie zu beschützen wissen. Dasselbe Schicksal wie
ihre Vorgängerin, die Anna Schwarz, soll sie nicht haben. Sie ist auch keine
auffallende Schönheit wie die Anna und schon dadurch etwas mehr vor Nach¬
stellungen gesichert. Geärgert habe ich mich übrigens über die Heuchelei
meiner Schwägerin, die von sittlicher Entrüstung triefte, als ihr der ange¬
schwärmte Liebling, der Maler Klümer, sein letztes Bild: "Der Frühling"
zeigte, und sie sofort erkannte, daß Anna dazu Modell gestanden hatte. Ich


Bilder ans dein Universitätsleben

waren ausgezeichnet. Er wies schlagend nach, daß die Redensart vom Para-
sitentum der Juden falsch und lächerlich sei, man könne ebenso gut den
raupcnfressendcn Vogel, weil er auch hie und da ein paar Körner anspielt,
einen Parasiten nennen. Auch die andre unsinnige Behauptung, die Juden
genössen überall die Früchte der modernen Kultur, ohne zu ihrer Entwicklung
etwas beizutragen, stellte er ins rechte Licht. Ohne das Alte Testament, d. h.
ohne den Geist des Judentums, sei weder die mittelalterliche noch die gegen¬
wärtige Kultur denkbar; in ihm liege der Grund aller modernen sittlichen
Anschauungen. Die amerikanischen Puritaner und Quäker hätten mit ihren
streng sittlichen Begriffen ganz im jüdischen Geiste gelebt, noch ehe überhaupt
ein Jude nach Amerika gekommen sei. Dieser sittliche Einfluß des Judentums
auf die ganze Menschheit lasse sich nicht abstreiten. Die Juden bekämpfen
und verfolgen sei daher eben so unklug, als ob der Baumeister seine Ziegel-
streichcr, die ihm die besten Bausteine liefern, fortjagen wollte. Die geistige
und sittliche Bildung jedes modernen Kulturvolkes bestehe zu gleichen Teilen
aus klassischem Altertum, Judentum und nationaler Eigenart; nur die dritte
Größe sei veränderlich und bilde die Unterschiede zwischen den einzelnen Kultur¬
völkern, aber der aus dein klassischen Altertum und dem Judentum über¬
nommene Geist sei bei allen ziemlich gleich an Umfang und Inhalt.

Hie und da regte sich freilich unter den Zuhörern eine gewisse Oppo¬
sition, aber der Redner trat sehr entschieden ans; und als sich einige Flegel
in ihren Äußerungen nicht müßigen wollten, ersuchte er die Unzufriednen, das
Kolleg zu verlassen. Dn standen denn drei Antisemiten auf und verließen
polternd den Hörsaal. Es ist doch eine unverschämte Gesellschaft!

Selten habe ich mich so frei, so gehoben, so hoffnungsfreudig gefühlt,
wie uach diesem Kolleg.

Bei uns ist heute alles still, Bruder und Schwägerin sind in die Oper
gefahren, da ist es dann in der That ein Genuß, in der schönen Villa zu
leben. Auch habe ich hier endlich eine teilnehmende Menschenseele gefunden:
für die fünfjährige Elfe ist heute eine neue Kindergärtnerin angekommen —
ich höre schon dein verständnisvolles Haha! Lieber Freund, du kennst mich
und weißt, wie sehr ich alles Gemeine verabscheue. Es ist ein liebes, kluges,
bescheidnes Mädchen, eine Christin, die Tochter eines früh verstorbnen Arztes.
Offen gesagt, ich bedaure das arme Wesen, daß es in diese Gesellschaft hinein¬
geraten ist. Aber ich werde sie zu beschützen wissen. Dasselbe Schicksal wie
ihre Vorgängerin, die Anna Schwarz, soll sie nicht haben. Sie ist auch keine
auffallende Schönheit wie die Anna und schon dadurch etwas mehr vor Nach¬
stellungen gesichert. Geärgert habe ich mich übrigens über die Heuchelei
meiner Schwägerin, die von sittlicher Entrüstung triefte, als ihr der ange¬
schwärmte Liebling, der Maler Klümer, sein letztes Bild: „Der Frühling"
zeigte, und sie sofort erkannte, daß Anna dazu Modell gestanden hatte. Ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/336>, abgerufen am 08.05.2024.