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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Brüder Grimm

sein, die sich bei jeder Episode die ganze Zeit, bei den einzelnen Zügen zu
Goethes Bilde und zu den Bildern der Grünin die Männer zu vergegenwär¬
tigen wissen.

Die ersten Anknüpfungen der hessischen Brüder mit Goethe, in dem sie
von Jugend auf den größten Mann ihres Volks und ihrer Zeit verehrt hatten,
erfolgte im ersten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts. "Als unter dem sich meh¬
renden Druck der Zeitverhältnisse jüngere Talente, mit klassischer Bildung und
poetischer Begabung ausgerüstet, Goethes Jugendtendenzen ausnahmen und fort¬
führten, war für ihn die Zeit gekommen, aus einer lange nach außen bewahrten
Zurückhaltung herauszutreten. Er griff fördernd in die neue Richtung ein,
doch immer mit der Vorsicht eines Mannes, der sein schwer erworbnes Gut
auf keinen Fall verlieren will. Er hielt erst inne, als er manches mit an¬
sehen mußte, was er nicht gutheißen konnte. Die weitere Entwicklung der
Dinge aber vollzog sich unter thätiger Teilnahme der Kreise, aus denen auch
die Brüder Grimm hervorgingen." Mit diesem Satze leitet der Verfasser eine
genaue Darstellung von Goethes Verhalten zu der Romantikergruppe ein und
berichtet von der Auziehungs- und gelegentlichen Abstoßungskraft, die Goethes ge¬
waltige Natur auf die Clemens Brentano, Achin von Arnim, die Grimm und
andre Vertreter der altdeutschen Studien äußerte. In dem Auf und Ab dieses
durch lange Jahre sich erstreckenden Verhältnisses verleugnet der Dichter nie¬
mals die Achtung, die ihm der Ernst, die Tüchtigkeit und der weite geistige
Horizont der Brüder Grimm einflößten, auch wo er ihren Enthusiasmus für
einzelne Erscheinungen nicht teilen konnte und mochte, und umgekehrt ließen
sich die mannhaften und schlichten Hessen durch die gelegentliche Kühle und
Zurückhaltung des Dichters nicht irremachen und am allerwenigsten in pietät¬
losen Groll hineintreiben. Im vollständigsten Gegensatz zu den jungen Geistern
unsrer Zeit, die die leiseste Abweichung von ihren Tendenzen und jeden Zweifel
an der Vortrefflichkeit ihrer Ziele mit ingrimmiger Verlnsteruug auch an den
verdientesten Männern strafen, nahmen Wilhelm und Jakob Grimm die Ab¬
wendung Goethes von den Tendenzen der Jüngern wie etwas hin, was man
sich erklären, worüber man sich allenfalls betrüben, was man aber nicht lästern
dürfe. Jakob Grimm, der sich schon damals keinen Augenblick bedachte, die
Ausbildung der Sprache "in unserm Faust oder den sprachgewaltigen Wahl¬
verwandtschaften" über alle Vergleichung hinauszuheben, antwortete (1810)
seinem Freunde Arnim: "Ihn selbst ^Goethe^ kann ich mir einmal unmöglich
anders als gut, lieb und darum auch recht denken, was er für sich selbst thut,
ist ihm gewiß notwendig, und ob es mich gleich überraschte, so finde ich es
doch nicht tadelnswert, daß er sich von dem Äußeren abwendet und zu sich selber
sammelt, es ist das ein uralter Trieb, der alle alte Helden aus dem Geräusch
in die Einsamkeit zieht. Sein Abweisen des Äußeren und Neuen ist daher er¬
klärlich, uur daß er es nicht mit Liebe und manchmal mit Spott thun soll,


Grenzboten IV 18V2 46
Goethe und die Brüder Grimm

sein, die sich bei jeder Episode die ganze Zeit, bei den einzelnen Zügen zu
Goethes Bilde und zu den Bildern der Grünin die Männer zu vergegenwär¬
tigen wissen.

Die ersten Anknüpfungen der hessischen Brüder mit Goethe, in dem sie
von Jugend auf den größten Mann ihres Volks und ihrer Zeit verehrt hatten,
erfolgte im ersten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts. „Als unter dem sich meh¬
renden Druck der Zeitverhältnisse jüngere Talente, mit klassischer Bildung und
poetischer Begabung ausgerüstet, Goethes Jugendtendenzen ausnahmen und fort¬
führten, war für ihn die Zeit gekommen, aus einer lange nach außen bewahrten
Zurückhaltung herauszutreten. Er griff fördernd in die neue Richtung ein,
doch immer mit der Vorsicht eines Mannes, der sein schwer erworbnes Gut
auf keinen Fall verlieren will. Er hielt erst inne, als er manches mit an¬
sehen mußte, was er nicht gutheißen konnte. Die weitere Entwicklung der
Dinge aber vollzog sich unter thätiger Teilnahme der Kreise, aus denen auch
die Brüder Grimm hervorgingen." Mit diesem Satze leitet der Verfasser eine
genaue Darstellung von Goethes Verhalten zu der Romantikergruppe ein und
berichtet von der Auziehungs- und gelegentlichen Abstoßungskraft, die Goethes ge¬
waltige Natur auf die Clemens Brentano, Achin von Arnim, die Grimm und
andre Vertreter der altdeutschen Studien äußerte. In dem Auf und Ab dieses
durch lange Jahre sich erstreckenden Verhältnisses verleugnet der Dichter nie¬
mals die Achtung, die ihm der Ernst, die Tüchtigkeit und der weite geistige
Horizont der Brüder Grimm einflößten, auch wo er ihren Enthusiasmus für
einzelne Erscheinungen nicht teilen konnte und mochte, und umgekehrt ließen
sich die mannhaften und schlichten Hessen durch die gelegentliche Kühle und
Zurückhaltung des Dichters nicht irremachen und am allerwenigsten in pietät¬
losen Groll hineintreiben. Im vollständigsten Gegensatz zu den jungen Geistern
unsrer Zeit, die die leiseste Abweichung von ihren Tendenzen und jeden Zweifel
an der Vortrefflichkeit ihrer Ziele mit ingrimmiger Verlnsteruug auch an den
verdientesten Männern strafen, nahmen Wilhelm und Jakob Grimm die Ab¬
wendung Goethes von den Tendenzen der Jüngern wie etwas hin, was man
sich erklären, worüber man sich allenfalls betrüben, was man aber nicht lästern
dürfe. Jakob Grimm, der sich schon damals keinen Augenblick bedachte, die
Ausbildung der Sprache „in unserm Faust oder den sprachgewaltigen Wahl¬
verwandtschaften" über alle Vergleichung hinauszuheben, antwortete (1810)
seinem Freunde Arnim: „Ihn selbst ^Goethe^ kann ich mir einmal unmöglich
anders als gut, lieb und darum auch recht denken, was er für sich selbst thut,
ist ihm gewiß notwendig, und ob es mich gleich überraschte, so finde ich es
doch nicht tadelnswert, daß er sich von dem Äußeren abwendet und zu sich selber
sammelt, es ist das ein uralter Trieb, der alle alte Helden aus dem Geräusch
in die Einsamkeit zieht. Sein Abweisen des Äußeren und Neuen ist daher er¬
klärlich, uur daß er es nicht mit Liebe und manchmal mit Spott thun soll,


Grenzboten IV 18V2 46
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[0369] Goethe und die Brüder Grimm sein, die sich bei jeder Episode die ganze Zeit, bei den einzelnen Zügen zu Goethes Bilde und zu den Bildern der Grünin die Männer zu vergegenwär¬ tigen wissen. Die ersten Anknüpfungen der hessischen Brüder mit Goethe, in dem sie von Jugend auf den größten Mann ihres Volks und ihrer Zeit verehrt hatten, erfolgte im ersten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts. „Als unter dem sich meh¬ renden Druck der Zeitverhältnisse jüngere Talente, mit klassischer Bildung und poetischer Begabung ausgerüstet, Goethes Jugendtendenzen ausnahmen und fort¬ führten, war für ihn die Zeit gekommen, aus einer lange nach außen bewahrten Zurückhaltung herauszutreten. Er griff fördernd in die neue Richtung ein, doch immer mit der Vorsicht eines Mannes, der sein schwer erworbnes Gut auf keinen Fall verlieren will. Er hielt erst inne, als er manches mit an¬ sehen mußte, was er nicht gutheißen konnte. Die weitere Entwicklung der Dinge aber vollzog sich unter thätiger Teilnahme der Kreise, aus denen auch die Brüder Grimm hervorgingen." Mit diesem Satze leitet der Verfasser eine genaue Darstellung von Goethes Verhalten zu der Romantikergruppe ein und berichtet von der Auziehungs- und gelegentlichen Abstoßungskraft, die Goethes ge¬ waltige Natur auf die Clemens Brentano, Achin von Arnim, die Grimm und andre Vertreter der altdeutschen Studien äußerte. In dem Auf und Ab dieses durch lange Jahre sich erstreckenden Verhältnisses verleugnet der Dichter nie¬ mals die Achtung, die ihm der Ernst, die Tüchtigkeit und der weite geistige Horizont der Brüder Grimm einflößten, auch wo er ihren Enthusiasmus für einzelne Erscheinungen nicht teilen konnte und mochte, und umgekehrt ließen sich die mannhaften und schlichten Hessen durch die gelegentliche Kühle und Zurückhaltung des Dichters nicht irremachen und am allerwenigsten in pietät¬ losen Groll hineintreiben. Im vollständigsten Gegensatz zu den jungen Geistern unsrer Zeit, die die leiseste Abweichung von ihren Tendenzen und jeden Zweifel an der Vortrefflichkeit ihrer Ziele mit ingrimmiger Verlnsteruug auch an den verdientesten Männern strafen, nahmen Wilhelm und Jakob Grimm die Ab¬ wendung Goethes von den Tendenzen der Jüngern wie etwas hin, was man sich erklären, worüber man sich allenfalls betrüben, was man aber nicht lästern dürfe. Jakob Grimm, der sich schon damals keinen Augenblick bedachte, die Ausbildung der Sprache „in unserm Faust oder den sprachgewaltigen Wahl¬ verwandtschaften" über alle Vergleichung hinauszuheben, antwortete (1810) seinem Freunde Arnim: „Ihn selbst ^Goethe^ kann ich mir einmal unmöglich anders als gut, lieb und darum auch recht denken, was er für sich selbst thut, ist ihm gewiß notwendig, und ob es mich gleich überraschte, so finde ich es doch nicht tadelnswert, daß er sich von dem Äußeren abwendet und zu sich selber sammelt, es ist das ein uralter Trieb, der alle alte Helden aus dem Geräusch in die Einsamkeit zieht. Sein Abweisen des Äußeren und Neuen ist daher er¬ klärlich, uur daß er es nicht mit Liebe und manchmal mit Spott thun soll, Grenzboten IV 18V2 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/369>, abgerufen am 09.05.2024.