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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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vier und fünf Auflagen weniger, also, die Auflage zu 1000 Stück gerechnet,
!)000 Stück weniger gekauft ^haben! Als ob sich irgend ein vernünftiger
Mensch abhalten ließe, ein gutes Schrift- oder Kunstwerk, das ihm gefällt,
zu kaufen, weil ein minderwertiges Werk desselben Meisters daneben besteht!
Und ist denn etwa jedem, der in einen Laden trat, um eine ältere Mappe
von Alters zu kaufen, sofort anch die neue Mappe vorgelegt worden, um zu
prüfen, ob darnach die ältere auch noch des Kaufes würdig sei? War denn
anch wirklich die neue Mappe so entsetzlich erschreckend? Wein sie nicht gefiel,
der brauchte sie ja uicht zu kaufen. Wenn nach dem Zeugnis der Kunst¬
händler die ältern Mappen im Jahre 1891 schlecht gegangen sind, so erklärt
sich das einfach daraus, daß das Publikum mit Mappen von Alters befriedigt
war. Der Absatz einer Ware, deren Erwerb auf besondrer Liebhaberei beruht,
ist stets wandelbar.

Das Berliner Gericht hat sich nun zwar jene Aufstellung nicht in ihrem
ganzen Umfange angeeignet. Aber es nimmt doch an, daß durch die ab¬
schreckende Wirkung der neuen Mappe von den beiden im Verlage von Griese
befindlichen Mappen mindestens zwei Auflagen, also 4000 Stück, weniger ab¬
gesetzt worden seien. Darnach rechnet es auch seinerseits für Nllers einen
Schaden von 20000 Mark heraus und hält es für Recht, den beiden Ange¬
klagten eine Buße von 12000 Mark nnfznlegen.

Zunächst entsteht auch hier wieder die Frage: Wann erfuhr denn Alters
von der Herausgabe der neuen Mappe? Für die Zeit, wo er etwa still saß
und den Schaden über sich ergehn ließ, würde er doch keine Entschädigung in
Anspruch nehmen können.

Aber auch abgesehn hiervon, ist die Schadenberechnung ohne jeden innern
Halt. Wir fragen jeden unsrer (nicht juristischen) Leser, ob er glaube, daß
wegen der abschreckenden Wirkung der neuen Mappe 4000 oder auch nur 2400
oder auch nur 1200 Stück der ältern Mappen weniger verkauft worden seien?

Wohl hätte sich ein Schadenersatzanspruch für Alters in andrer Weise
begründen lassen, wobei aber nicht die abschreckende, sondern die anziehende
Kraft der neuen Mappe die Grundlage hätte abgebe" müssen. Es ist un¬
zweifelhaft, daß die neue Mappe den ältern Konkurrenz machte, und es mag
dadurch der Absatz der ältern eine gewisse Verminderung erfahren haben. Die
äußerste Folge, die man hieran knüpfen könnte, wäre die, daß man sagte: für
jedes verkaufte Stück der neuen Mappe ist mutmaßlich ein Stück der ältern
Mappen weniger verkauft worden. Diese Aufstellung wäre freilich keinesfalls
im vollen Umfange richtig. Denn es mögen anch solche die neue Mappe ge¬
kauft haben, die die älteren Mappen schon besaßen, oder solche, die an der
neuen Mappe besonders Gefallen fanden und sie kauften, ohne daß sie sonst
eine ältere Mappe gekauft hätten. Aber es hätte diese Aufstellung doch einen
gewissen haltbaren Kern gehabt. Mit jener äußersten Folgeziehung würde


vier und fünf Auflagen weniger, also, die Auflage zu 1000 Stück gerechnet,
!)000 Stück weniger gekauft ^haben! Als ob sich irgend ein vernünftiger
Mensch abhalten ließe, ein gutes Schrift- oder Kunstwerk, das ihm gefällt,
zu kaufen, weil ein minderwertiges Werk desselben Meisters daneben besteht!
Und ist denn etwa jedem, der in einen Laden trat, um eine ältere Mappe
von Alters zu kaufen, sofort anch die neue Mappe vorgelegt worden, um zu
prüfen, ob darnach die ältere auch noch des Kaufes würdig sei? War denn
anch wirklich die neue Mappe so entsetzlich erschreckend? Wein sie nicht gefiel,
der brauchte sie ja uicht zu kaufen. Wenn nach dem Zeugnis der Kunst¬
händler die ältern Mappen im Jahre 1891 schlecht gegangen sind, so erklärt
sich das einfach daraus, daß das Publikum mit Mappen von Alters befriedigt
war. Der Absatz einer Ware, deren Erwerb auf besondrer Liebhaberei beruht,
ist stets wandelbar.

Das Berliner Gericht hat sich nun zwar jene Aufstellung nicht in ihrem
ganzen Umfange angeeignet. Aber es nimmt doch an, daß durch die ab¬
schreckende Wirkung der neuen Mappe von den beiden im Verlage von Griese
befindlichen Mappen mindestens zwei Auflagen, also 4000 Stück, weniger ab¬
gesetzt worden seien. Darnach rechnet es auch seinerseits für Nllers einen
Schaden von 20000 Mark heraus und hält es für Recht, den beiden Ange¬
klagten eine Buße von 12000 Mark nnfznlegen.

Zunächst entsteht auch hier wieder die Frage: Wann erfuhr denn Alters
von der Herausgabe der neuen Mappe? Für die Zeit, wo er etwa still saß
und den Schaden über sich ergehn ließ, würde er doch keine Entschädigung in
Anspruch nehmen können.

Aber auch abgesehn hiervon, ist die Schadenberechnung ohne jeden innern
Halt. Wir fragen jeden unsrer (nicht juristischen) Leser, ob er glaube, daß
wegen der abschreckenden Wirkung der neuen Mappe 4000 oder auch nur 2400
oder auch nur 1200 Stück der ältern Mappen weniger verkauft worden seien?

Wohl hätte sich ein Schadenersatzanspruch für Alters in andrer Weise
begründen lassen, wobei aber nicht die abschreckende, sondern die anziehende
Kraft der neuen Mappe die Grundlage hätte abgebe« müssen. Es ist un¬
zweifelhaft, daß die neue Mappe den ältern Konkurrenz machte, und es mag
dadurch der Absatz der ältern eine gewisse Verminderung erfahren haben. Die
äußerste Folge, die man hieran knüpfen könnte, wäre die, daß man sagte: für
jedes verkaufte Stück der neuen Mappe ist mutmaßlich ein Stück der ältern
Mappen weniger verkauft worden. Diese Aufstellung wäre freilich keinesfalls
im vollen Umfange richtig. Denn es mögen anch solche die neue Mappe ge¬
kauft haben, die die älteren Mappen schon besaßen, oder solche, die an der
neuen Mappe besonders Gefallen fanden und sie kauften, ohne daß sie sonst
eine ältere Mappe gekauft hätten. Aber es hätte diese Aufstellung doch einen
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[0520] vier und fünf Auflagen weniger, also, die Auflage zu 1000 Stück gerechnet, !)000 Stück weniger gekauft ^haben! Als ob sich irgend ein vernünftiger Mensch abhalten ließe, ein gutes Schrift- oder Kunstwerk, das ihm gefällt, zu kaufen, weil ein minderwertiges Werk desselben Meisters daneben besteht! Und ist denn etwa jedem, der in einen Laden trat, um eine ältere Mappe von Alters zu kaufen, sofort anch die neue Mappe vorgelegt worden, um zu prüfen, ob darnach die ältere auch noch des Kaufes würdig sei? War denn anch wirklich die neue Mappe so entsetzlich erschreckend? Wein sie nicht gefiel, der brauchte sie ja uicht zu kaufen. Wenn nach dem Zeugnis der Kunst¬ händler die ältern Mappen im Jahre 1891 schlecht gegangen sind, so erklärt sich das einfach daraus, daß das Publikum mit Mappen von Alters befriedigt war. Der Absatz einer Ware, deren Erwerb auf besondrer Liebhaberei beruht, ist stets wandelbar. Das Berliner Gericht hat sich nun zwar jene Aufstellung nicht in ihrem ganzen Umfange angeeignet. Aber es nimmt doch an, daß durch die ab¬ schreckende Wirkung der neuen Mappe von den beiden im Verlage von Griese befindlichen Mappen mindestens zwei Auflagen, also 4000 Stück, weniger ab¬ gesetzt worden seien. Darnach rechnet es auch seinerseits für Nllers einen Schaden von 20000 Mark heraus und hält es für Recht, den beiden Ange¬ klagten eine Buße von 12000 Mark nnfznlegen. Zunächst entsteht auch hier wieder die Frage: Wann erfuhr denn Alters von der Herausgabe der neuen Mappe? Für die Zeit, wo er etwa still saß und den Schaden über sich ergehn ließ, würde er doch keine Entschädigung in Anspruch nehmen können. Aber auch abgesehn hiervon, ist die Schadenberechnung ohne jeden innern Halt. Wir fragen jeden unsrer (nicht juristischen) Leser, ob er glaube, daß wegen der abschreckenden Wirkung der neuen Mappe 4000 oder auch nur 2400 oder auch nur 1200 Stück der ältern Mappen weniger verkauft worden seien? Wohl hätte sich ein Schadenersatzanspruch für Alters in andrer Weise begründen lassen, wobei aber nicht die abschreckende, sondern die anziehende Kraft der neuen Mappe die Grundlage hätte abgebe« müssen. Es ist un¬ zweifelhaft, daß die neue Mappe den ältern Konkurrenz machte, und es mag dadurch der Absatz der ältern eine gewisse Verminderung erfahren haben. Die äußerste Folge, die man hieran knüpfen könnte, wäre die, daß man sagte: für jedes verkaufte Stück der neuen Mappe ist mutmaßlich ein Stück der ältern Mappen weniger verkauft worden. Diese Aufstellung wäre freilich keinesfalls im vollen Umfange richtig. Denn es mögen anch solche die neue Mappe ge¬ kauft haben, die die älteren Mappen schon besaßen, oder solche, die an der neuen Mappe besonders Gefallen fanden und sie kauften, ohne daß sie sonst eine ältere Mappe gekauft hätten. Aber es hätte diese Aufstellung doch einen gewissen haltbaren Kern gehabt. Mit jener äußersten Folgeziehung würde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/520>, abgerufen am 20.05.2024.