Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reformen auf dem Gebiete der Interessenvertretungen

Professor Richard von Kaufmann spricht sich für eine Regelung der In¬
teressenvertretung über ganz Deutschland aus. Er befürwortet zu diesem Zwecke
die Errichtung von Volkswirtschaftskammern, denen die Vertretung von Handel,
Industrie, Landwirtschaft und Kleingewerbe obliegen soll, doch nicht in ge¬
trennten Beratnngskörpern, sondern in einem vereinigten Kollegium, in dem acht¬
zehn Mitglieder dem Handels- und Gewerbestande, drei der Landwirtschaft und
drei dem Handwerke angehören sollen, Generalsekretär Stumpf in Osnabrück
stimmt in der Organisationsfrage mit Kaufmann im wesentlichen überein.
Geheimer Kommerzienrat Doms in Ratibor wünscht Gewerbekammern, die
einen ganzen Regierungsbezirk umfassen und in je eine Handelskammer, eine
landwirtschaftliche Kammer und eine Haudwerkerkammer zerfallen, Privat-
dozent Dr. Grätzer hält eine Vereinigung aller Lerufszweige in der untern
Instanz nicht sür angebracht und schlägt deshalb eine Trennung in 1. Handels-,
'2. Industrie-, 3. Handwerks-, 4. Landwirtschaftökammern vor, denen es frei¬
stehen soll, durch Ausschüsse Beziehungen unter einander herzustellen und zu
bewahren. Die Eisenacher Kommission des Zentralverbandes deutscher In¬
dustrielle hatte seiner Zeit eine Regelung der Interessenvertretung für das
ganze Reich, jedoch mit Ausschluß der Landwirtschaft (nur die landwirtschaft¬
lichen Nebenbetriebe sollten mit hereingezogen werden) beantragt. Im allge¬
meinen sollten die Erwerbsgruppen: Handel, Fabrikation und Handwerk zu
Handels- und Gewerbekammern zusammengefaßt werden, doch sollten sich unter
bestimmten Voraussetzungen auch die einzelnen Gruppen innerhalb der Handcls-
und Gewerbekammeru selbständig organisiren können.

Fragen wir nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge, so läßt sich etwa
folgendes sagen. Die preußische Staatsregierung beabsichtigt offenbar ebenso-
wenig wie die verbündeten Regierungen die Frage der Interessenvertretung
in ihrem weitesten Nahmen aufzunehmen. Bemerkenswert ist aber, daß das
Reich als solches die Reform eingeleitet und bereits für die nächste Session
des Reichstages einen Gesetzentwurf zur Regelung der Handwerkerverhältnisse,
insbesondre auch zur Errichtung von Handwerkerkammern vorbereitet hat.
Neben dem Handwerk beabsichtigt das Reich, nach einer offiziösen Andeutung,
gleichzeitig den Kleinhandel, der bisher eigentlich jeder Organisation entbehre,
in die Organisation mit hereinzuziehen. Wie weit die Mitteilung, daß mau
sich auch mit der Absicht trage, Schiffahrtskammern zu errichten, begründet
ist, können wir nicht übersehen. Dagegen ist es außer Zweifel, daß auch die
Preußischen Handelskammern in nächster Zeit, sobald die Veranlagung zur Ge¬
werbesteuer für das Jahr 1893/94 abgeschlossen sein wird, eine Umbildung
erfahren werden, und zwar hauptsächlich dahin, daß ihnen ihr Charakter als
Vertretung ausschließlich der größern industriellen und kaufmännischen Unter¬
nehmungen zurückgegeben wird. Eine weitere Bewegung macht sich ferner zu
Gunsten von Landwirtschaftslninmern geltend. Das Landesvkonomiekollegium


Reformen auf dem Gebiete der Interessenvertretungen

Professor Richard von Kaufmann spricht sich für eine Regelung der In¬
teressenvertretung über ganz Deutschland aus. Er befürwortet zu diesem Zwecke
die Errichtung von Volkswirtschaftskammern, denen die Vertretung von Handel,
Industrie, Landwirtschaft und Kleingewerbe obliegen soll, doch nicht in ge¬
trennten Beratnngskörpern, sondern in einem vereinigten Kollegium, in dem acht¬
zehn Mitglieder dem Handels- und Gewerbestande, drei der Landwirtschaft und
drei dem Handwerke angehören sollen, Generalsekretär Stumpf in Osnabrück
stimmt in der Organisationsfrage mit Kaufmann im wesentlichen überein.
Geheimer Kommerzienrat Doms in Ratibor wünscht Gewerbekammern, die
einen ganzen Regierungsbezirk umfassen und in je eine Handelskammer, eine
landwirtschaftliche Kammer und eine Haudwerkerkammer zerfallen, Privat-
dozent Dr. Grätzer hält eine Vereinigung aller Lerufszweige in der untern
Instanz nicht sür angebracht und schlägt deshalb eine Trennung in 1. Handels-,
'2. Industrie-, 3. Handwerks-, 4. Landwirtschaftökammern vor, denen es frei¬
stehen soll, durch Ausschüsse Beziehungen unter einander herzustellen und zu
bewahren. Die Eisenacher Kommission des Zentralverbandes deutscher In¬
dustrielle hatte seiner Zeit eine Regelung der Interessenvertretung für das
ganze Reich, jedoch mit Ausschluß der Landwirtschaft (nur die landwirtschaft¬
lichen Nebenbetriebe sollten mit hereingezogen werden) beantragt. Im allge¬
meinen sollten die Erwerbsgruppen: Handel, Fabrikation und Handwerk zu
Handels- und Gewerbekammern zusammengefaßt werden, doch sollten sich unter
bestimmten Voraussetzungen auch die einzelnen Gruppen innerhalb der Handcls-
und Gewerbekammeru selbständig organisiren können.

Fragen wir nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge, so läßt sich etwa
folgendes sagen. Die preußische Staatsregierung beabsichtigt offenbar ebenso-
wenig wie die verbündeten Regierungen die Frage der Interessenvertretung
in ihrem weitesten Nahmen aufzunehmen. Bemerkenswert ist aber, daß das
Reich als solches die Reform eingeleitet und bereits für die nächste Session
des Reichstages einen Gesetzentwurf zur Regelung der Handwerkerverhältnisse,
insbesondre auch zur Errichtung von Handwerkerkammern vorbereitet hat.
Neben dem Handwerk beabsichtigt das Reich, nach einer offiziösen Andeutung,
gleichzeitig den Kleinhandel, der bisher eigentlich jeder Organisation entbehre,
in die Organisation mit hereinzuziehen. Wie weit die Mitteilung, daß mau
sich auch mit der Absicht trage, Schiffahrtskammern zu errichten, begründet
ist, können wir nicht übersehen. Dagegen ist es außer Zweifel, daß auch die
Preußischen Handelskammern in nächster Zeit, sobald die Veranlagung zur Ge¬
werbesteuer für das Jahr 1893/94 abgeschlossen sein wird, eine Umbildung
erfahren werden, und zwar hauptsächlich dahin, daß ihnen ihr Charakter als
Vertretung ausschließlich der größern industriellen und kaufmännischen Unter¬
nehmungen zurückgegeben wird. Eine weitere Bewegung macht sich ferner zu
Gunsten von Landwirtschaftslninmern geltend. Das Landesvkonomiekollegium


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213175"/>
          <fw type="header" place="top"> Reformen auf dem Gebiete der Interessenvertretungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_157"> Professor Richard von Kaufmann spricht sich für eine Regelung der In¬<lb/>
teressenvertretung über ganz Deutschland aus. Er befürwortet zu diesem Zwecke<lb/>
die Errichtung von Volkswirtschaftskammern, denen die Vertretung von Handel,<lb/>
Industrie, Landwirtschaft und Kleingewerbe obliegen soll, doch nicht in ge¬<lb/>
trennten Beratnngskörpern, sondern in einem vereinigten Kollegium, in dem acht¬<lb/>
zehn Mitglieder dem Handels- und Gewerbestande, drei der Landwirtschaft und<lb/>
drei dem Handwerke angehören sollen,  Generalsekretär Stumpf in Osnabrück<lb/>
stimmt in der Organisationsfrage mit Kaufmann im wesentlichen überein.<lb/>
Geheimer Kommerzienrat Doms in Ratibor wünscht Gewerbekammern, die<lb/>
einen ganzen Regierungsbezirk umfassen und in je eine Handelskammer, eine<lb/>
landwirtschaftliche Kammer und eine Haudwerkerkammer zerfallen, Privat-<lb/>
dozent Dr. Grätzer hält eine Vereinigung aller Lerufszweige in der untern<lb/>
Instanz nicht sür angebracht und schlägt deshalb eine Trennung in 1. Handels-,<lb/>
'2. Industrie-, 3. Handwerks-, 4. Landwirtschaftökammern vor, denen es frei¬<lb/>
stehen soll, durch Ausschüsse Beziehungen unter einander herzustellen und zu<lb/>
bewahren.  Die Eisenacher Kommission des Zentralverbandes deutscher In¬<lb/>
dustrielle hatte seiner Zeit eine Regelung der Interessenvertretung für das<lb/>
ganze Reich, jedoch mit Ausschluß der Landwirtschaft (nur die landwirtschaft¬<lb/>
lichen Nebenbetriebe sollten mit hereingezogen werden) beantragt.  Im allge¬<lb/>
meinen sollten die Erwerbsgruppen: Handel, Fabrikation und Handwerk zu<lb/>
Handels- und Gewerbekammern zusammengefaßt werden, doch sollten sich unter<lb/>
bestimmten Voraussetzungen auch die einzelnen Gruppen innerhalb der Handcls-<lb/>
und Gewerbekammeru selbständig organisiren können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_158" next="#ID_159"> Fragen wir nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge, so läßt sich etwa<lb/>
folgendes sagen. Die preußische Staatsregierung beabsichtigt offenbar ebenso-<lb/>
wenig wie die verbündeten Regierungen die Frage der Interessenvertretung<lb/>
in ihrem weitesten Nahmen aufzunehmen. Bemerkenswert ist aber, daß das<lb/>
Reich als solches die Reform eingeleitet und bereits für die nächste Session<lb/>
des Reichstages einen Gesetzentwurf zur Regelung der Handwerkerverhältnisse,<lb/>
insbesondre auch zur Errichtung von Handwerkerkammern vorbereitet hat.<lb/>
Neben dem Handwerk beabsichtigt das Reich, nach einer offiziösen Andeutung,<lb/>
gleichzeitig den Kleinhandel, der bisher eigentlich jeder Organisation entbehre,<lb/>
in die Organisation mit hereinzuziehen. Wie weit die Mitteilung, daß mau<lb/>
sich auch mit der Absicht trage, Schiffahrtskammern zu errichten, begründet<lb/>
ist, können wir nicht übersehen. Dagegen ist es außer Zweifel, daß auch die<lb/>
Preußischen Handelskammern in nächster Zeit, sobald die Veranlagung zur Ge¬<lb/>
werbesteuer für das Jahr 1893/94 abgeschlossen sein wird, eine Umbildung<lb/>
erfahren werden, und zwar hauptsächlich dahin, daß ihnen ihr Charakter als<lb/>
Vertretung ausschließlich der größern industriellen und kaufmännischen Unter¬<lb/>
nehmungen zurückgegeben wird. Eine weitere Bewegung macht sich ferner zu<lb/>
Gunsten von Landwirtschaftslninmern geltend. Das Landesvkonomiekollegium</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] Reformen auf dem Gebiete der Interessenvertretungen Professor Richard von Kaufmann spricht sich für eine Regelung der In¬ teressenvertretung über ganz Deutschland aus. Er befürwortet zu diesem Zwecke die Errichtung von Volkswirtschaftskammern, denen die Vertretung von Handel, Industrie, Landwirtschaft und Kleingewerbe obliegen soll, doch nicht in ge¬ trennten Beratnngskörpern, sondern in einem vereinigten Kollegium, in dem acht¬ zehn Mitglieder dem Handels- und Gewerbestande, drei der Landwirtschaft und drei dem Handwerke angehören sollen, Generalsekretär Stumpf in Osnabrück stimmt in der Organisationsfrage mit Kaufmann im wesentlichen überein. Geheimer Kommerzienrat Doms in Ratibor wünscht Gewerbekammern, die einen ganzen Regierungsbezirk umfassen und in je eine Handelskammer, eine landwirtschaftliche Kammer und eine Haudwerkerkammer zerfallen, Privat- dozent Dr. Grätzer hält eine Vereinigung aller Lerufszweige in der untern Instanz nicht sür angebracht und schlägt deshalb eine Trennung in 1. Handels-, '2. Industrie-, 3. Handwerks-, 4. Landwirtschaftökammern vor, denen es frei¬ stehen soll, durch Ausschüsse Beziehungen unter einander herzustellen und zu bewahren. Die Eisenacher Kommission des Zentralverbandes deutscher In¬ dustrielle hatte seiner Zeit eine Regelung der Interessenvertretung für das ganze Reich, jedoch mit Ausschluß der Landwirtschaft (nur die landwirtschaft¬ lichen Nebenbetriebe sollten mit hereingezogen werden) beantragt. Im allge¬ meinen sollten die Erwerbsgruppen: Handel, Fabrikation und Handwerk zu Handels- und Gewerbekammern zusammengefaßt werden, doch sollten sich unter bestimmten Voraussetzungen auch die einzelnen Gruppen innerhalb der Handcls- und Gewerbekammeru selbständig organisiren können. Fragen wir nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge, so läßt sich etwa folgendes sagen. Die preußische Staatsregierung beabsichtigt offenbar ebenso- wenig wie die verbündeten Regierungen die Frage der Interessenvertretung in ihrem weitesten Nahmen aufzunehmen. Bemerkenswert ist aber, daß das Reich als solches die Reform eingeleitet und bereits für die nächste Session des Reichstages einen Gesetzentwurf zur Regelung der Handwerkerverhältnisse, insbesondre auch zur Errichtung von Handwerkerkammern vorbereitet hat. Neben dem Handwerk beabsichtigt das Reich, nach einer offiziösen Andeutung, gleichzeitig den Kleinhandel, der bisher eigentlich jeder Organisation entbehre, in die Organisation mit hereinzuziehen. Wie weit die Mitteilung, daß mau sich auch mit der Absicht trage, Schiffahrtskammern zu errichten, begründet ist, können wir nicht übersehen. Dagegen ist es außer Zweifel, daß auch die Preußischen Handelskammern in nächster Zeit, sobald die Veranlagung zur Ge¬ werbesteuer für das Jahr 1893/94 abgeschlossen sein wird, eine Umbildung erfahren werden, und zwar hauptsächlich dahin, daß ihnen ihr Charakter als Vertretung ausschließlich der größern industriellen und kaufmännischen Unter¬ nehmungen zurückgegeben wird. Eine weitere Bewegung macht sich ferner zu Gunsten von Landwirtschaftslninmern geltend. Das Landesvkonomiekollegium

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/61>, abgerufen am 09.05.2024.