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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der Arbeiterwohnungsfrage

Hannover erbaut hat, ebenso wie die Zweifamilienhäuser der Kolonie Friedrichs-
vrt bei Kiel, die an die Arbeiter der Tvrpedvwerkstatt vermietet sind, und
die in beiden Orten als Muster derartiger Bauten gelten, machen den Wert
der Kleiufamilieuhnuser recht augenscheinlich.

Auch andre Arbeitgeber, Gesellschaften wie Privatbesitzer, sind dem vom
Staate gegebnen Beispiele gefolgt. Auch sie sind allmählich vom Kauf- zum
Miethause und vom Kleinfamilicnhause zu Miethäuseru, in denen mehrere
Familien Unterkunft finden, übergegangen. Im allgemeinen muß man sagen,
daß sie wenig Neigung gezeigt haben, sich in der Gewührnug von Vauprämien
und Bandarlehen der Regierung anzuschließen. Häufiger schon begegnet man
Fällen, wo sie als Bauherren Arbeiterhäuser errichten, deren Ankauf durch
Arbeiter sie unterstützen. Es geschieht dies aber doch verhältnismäßig nur
selten und erheischt große Borsicht und Umsicht in der Auswahl der in Frage
kommenden Arbeiter. In deu meisten Fällen, wo sich Arbeitgeber um die
Wohnungen ihrer Arbeiter kümmern, handelt es sich um Mietwohnungen. Da
begegnet mau einer großen Mannichfaltigkeit in dem Umfange der Häuser.
Überall da, wo es nicht an verwendbaren Grund und Boden fehlte, oder wo
die Grundstücke nicht unerschwinglich im Preise waren, oder endlich wo nicht
unterirdische Kohleuschätze die Bebauung als verschwenderisch hinderten, wie
beispielsweise in der Umgegend von Waldenburg in Schlesien, hat man mit er¬
klärlicher und anerkennenswerter Vorliebe an Ein-, Zwei- und Vierfamilien-
häuseru festgehalten. Dagegen hat die Firma Friedrich Krupp in Essen und
ebenso der Bochumer Berein für Bergbau und Gußftahlfabrikation, jene, was
Ausdehnung der Werke und Zahl der beschäftigten Arbeiter betrifft, unter den
Privatarbeitgebern, wie diese uuter deu Aktiengesellschaften vbennnfteheud, sich
dem System dcrZwölffamilienhäuser für Essen und Neunfamilienhäuser für Bochum
zugewendet. Trotzdem hat allein die Firma Krupp, die von ihren 73 769 Werk¬
augehörigen 24193 (Beamte, Arbeiter und Familienglieder) zur Miete wohnen
hat, über zwölf Millionen Mark für Arbeiterwohnungen verbraucht, die sich,
trotz der Beschränkung auf größere Häuser, uur zu höchstens 2 bis 2,5 Pro¬
zent verzinsen und mit den notwendigen Abschreibungen auf schwerlich mehr
als 1,5 Prozent.

Aber selbst wenn alle Arbeitgeber, was leider bei der großen Mehrzahl
nicht der Fall ist, eine verhältnismäßig gleiche Fürsorge für das Wohlergehen
ihrer Arbeiter an den Tag legten, vermöchten sie doch die Wohnungsnot nicht
zu beseitigen. Es ist auch die Sache der Arbeiter, sich in dieser Frage zu
rühren. Das ist denn auch bereits hie und da geschehen. Der einzelne Ar¬
beiter kann dabei für sich allein nichts erreichen, er muß sich mit andern zu
Genossenschaften zusammenthun. Unverkennbar ist die moralische Wirkung solcher
Versuche, sich auf eigne Füße zu stellen, groß. Aus dem Grunde wurde wohl
auch auf der Konferenz hervorgehoben, man müsse jede Beihilfe, die den


Grenzboten I 1W 16
Der gegenwärtige Stand der Arbeiterwohnungsfrage

Hannover erbaut hat, ebenso wie die Zweifamilienhäuser der Kolonie Friedrichs-
vrt bei Kiel, die an die Arbeiter der Tvrpedvwerkstatt vermietet sind, und
die in beiden Orten als Muster derartiger Bauten gelten, machen den Wert
der Kleiufamilieuhnuser recht augenscheinlich.

Auch andre Arbeitgeber, Gesellschaften wie Privatbesitzer, sind dem vom
Staate gegebnen Beispiele gefolgt. Auch sie sind allmählich vom Kauf- zum
Miethause und vom Kleinfamilicnhause zu Miethäuseru, in denen mehrere
Familien Unterkunft finden, übergegangen. Im allgemeinen muß man sagen,
daß sie wenig Neigung gezeigt haben, sich in der Gewührnug von Vauprämien
und Bandarlehen der Regierung anzuschließen. Häufiger schon begegnet man
Fällen, wo sie als Bauherren Arbeiterhäuser errichten, deren Ankauf durch
Arbeiter sie unterstützen. Es geschieht dies aber doch verhältnismäßig nur
selten und erheischt große Borsicht und Umsicht in der Auswahl der in Frage
kommenden Arbeiter. In deu meisten Fällen, wo sich Arbeitgeber um die
Wohnungen ihrer Arbeiter kümmern, handelt es sich um Mietwohnungen. Da
begegnet mau einer großen Mannichfaltigkeit in dem Umfange der Häuser.
Überall da, wo es nicht an verwendbaren Grund und Boden fehlte, oder wo
die Grundstücke nicht unerschwinglich im Preise waren, oder endlich wo nicht
unterirdische Kohleuschätze die Bebauung als verschwenderisch hinderten, wie
beispielsweise in der Umgegend von Waldenburg in Schlesien, hat man mit er¬
klärlicher und anerkennenswerter Vorliebe an Ein-, Zwei- und Vierfamilien-
häuseru festgehalten. Dagegen hat die Firma Friedrich Krupp in Essen und
ebenso der Bochumer Berein für Bergbau und Gußftahlfabrikation, jene, was
Ausdehnung der Werke und Zahl der beschäftigten Arbeiter betrifft, unter den
Privatarbeitgebern, wie diese uuter deu Aktiengesellschaften vbennnfteheud, sich
dem System dcrZwölffamilienhäuser für Essen und Neunfamilienhäuser für Bochum
zugewendet. Trotzdem hat allein die Firma Krupp, die von ihren 73 769 Werk¬
augehörigen 24193 (Beamte, Arbeiter und Familienglieder) zur Miete wohnen
hat, über zwölf Millionen Mark für Arbeiterwohnungen verbraucht, die sich,
trotz der Beschränkung auf größere Häuser, uur zu höchstens 2 bis 2,5 Pro¬
zent verzinsen und mit den notwendigen Abschreibungen auf schwerlich mehr
als 1,5 Prozent.

Aber selbst wenn alle Arbeitgeber, was leider bei der großen Mehrzahl
nicht der Fall ist, eine verhältnismäßig gleiche Fürsorge für das Wohlergehen
ihrer Arbeiter an den Tag legten, vermöchten sie doch die Wohnungsnot nicht
zu beseitigen. Es ist auch die Sache der Arbeiter, sich in dieser Frage zu
rühren. Das ist denn auch bereits hie und da geschehen. Der einzelne Ar¬
beiter kann dabei für sich allein nichts erreichen, er muß sich mit andern zu
Genossenschaften zusammenthun. Unverkennbar ist die moralische Wirkung solcher
Versuche, sich auf eigne Füße zu stellen, groß. Aus dem Grunde wurde wohl
auch auf der Konferenz hervorgehoben, man müsse jede Beihilfe, die den


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[0123] Der gegenwärtige Stand der Arbeiterwohnungsfrage Hannover erbaut hat, ebenso wie die Zweifamilienhäuser der Kolonie Friedrichs- vrt bei Kiel, die an die Arbeiter der Tvrpedvwerkstatt vermietet sind, und die in beiden Orten als Muster derartiger Bauten gelten, machen den Wert der Kleiufamilieuhnuser recht augenscheinlich. Auch andre Arbeitgeber, Gesellschaften wie Privatbesitzer, sind dem vom Staate gegebnen Beispiele gefolgt. Auch sie sind allmählich vom Kauf- zum Miethause und vom Kleinfamilicnhause zu Miethäuseru, in denen mehrere Familien Unterkunft finden, übergegangen. Im allgemeinen muß man sagen, daß sie wenig Neigung gezeigt haben, sich in der Gewührnug von Vauprämien und Bandarlehen der Regierung anzuschließen. Häufiger schon begegnet man Fällen, wo sie als Bauherren Arbeiterhäuser errichten, deren Ankauf durch Arbeiter sie unterstützen. Es geschieht dies aber doch verhältnismäßig nur selten und erheischt große Borsicht und Umsicht in der Auswahl der in Frage kommenden Arbeiter. In deu meisten Fällen, wo sich Arbeitgeber um die Wohnungen ihrer Arbeiter kümmern, handelt es sich um Mietwohnungen. Da begegnet mau einer großen Mannichfaltigkeit in dem Umfange der Häuser. Überall da, wo es nicht an verwendbaren Grund und Boden fehlte, oder wo die Grundstücke nicht unerschwinglich im Preise waren, oder endlich wo nicht unterirdische Kohleuschätze die Bebauung als verschwenderisch hinderten, wie beispielsweise in der Umgegend von Waldenburg in Schlesien, hat man mit er¬ klärlicher und anerkennenswerter Vorliebe an Ein-, Zwei- und Vierfamilien- häuseru festgehalten. Dagegen hat die Firma Friedrich Krupp in Essen und ebenso der Bochumer Berein für Bergbau und Gußftahlfabrikation, jene, was Ausdehnung der Werke und Zahl der beschäftigten Arbeiter betrifft, unter den Privatarbeitgebern, wie diese uuter deu Aktiengesellschaften vbennnfteheud, sich dem System dcrZwölffamilienhäuser für Essen und Neunfamilienhäuser für Bochum zugewendet. Trotzdem hat allein die Firma Krupp, die von ihren 73 769 Werk¬ augehörigen 24193 (Beamte, Arbeiter und Familienglieder) zur Miete wohnen hat, über zwölf Millionen Mark für Arbeiterwohnungen verbraucht, die sich, trotz der Beschränkung auf größere Häuser, uur zu höchstens 2 bis 2,5 Pro¬ zent verzinsen und mit den notwendigen Abschreibungen auf schwerlich mehr als 1,5 Prozent. Aber selbst wenn alle Arbeitgeber, was leider bei der großen Mehrzahl nicht der Fall ist, eine verhältnismäßig gleiche Fürsorge für das Wohlergehen ihrer Arbeiter an den Tag legten, vermöchten sie doch die Wohnungsnot nicht zu beseitigen. Es ist auch die Sache der Arbeiter, sich in dieser Frage zu rühren. Das ist denn auch bereits hie und da geschehen. Der einzelne Ar¬ beiter kann dabei für sich allein nichts erreichen, er muß sich mit andern zu Genossenschaften zusammenthun. Unverkennbar ist die moralische Wirkung solcher Versuche, sich auf eigne Füße zu stellen, groß. Aus dem Grunde wurde wohl auch auf der Konferenz hervorgehoben, man müsse jede Beihilfe, die den Grenzboten I 1W 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/123>, abgerufen am 28.05.2024.