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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Unser Panama

gesunden Menschenverstand in der Parteischule eingebüßt hat, muß es mit
Entrüstung erfüllen, sich so als willenlose Stimmmaschine behandelt zu sehen,
mit Ekel, wenn er den öffentlichen Bettel um Geld -- für freie, den Willen
des Volks unverfälscht zum Ausdruck bringende Wahlen! -- liest. Aber Inter-
essenpolitik ist verpönt, die Landwirte werden förmlich wie Vaterlandsverrüter
behandelt, wenn sie bekennen, wo sie und ihresgleichen der Schuh drückt.
Mau darf begierig sein, ob auch die Industrie so wird zur Ruhe verwiesen
werden, die heute schon in viel schärferer Weise, als Bismarck dies gethan
hat, an der Sachkenntnis und Geschicklichkeit der deutschen Unterhändler wegen
des Handelsvertrags mit Österreich Kritik übt. Sie sieht sich um ihr bestes
Absatzgebiet gebracht und weiß nicht, wo sie Ersatz finden soll. Nun dürfte
wohl auch von dieser Seite die Frage aufgeworfen werden, ob es wahr sei
oder uicht, was das Gerücht behauptet, nämlich daß die Erneuerung eiues
Vertrages, der für den Fall eines deutsch-französischen Krieges die Neutralität
Rußlands gewährleistet habe, durch den Sturz Bismarcks vereitelt worden
sei. Denn es liegt auf der Hand, daß die Bejahung zu Folgerungen veran¬
lassen würde, die uicht bloß das Gebiet der hohen Politik berührten. Der
ernstesten Beachtung ist ferner die Enthüllung wert, welche Mittel (in jedem
Sinne) heutzutage in Bewegung gesetzt werdeu müssen, um in der öffentlichen
Meinung für wirklich große, segensreiche Unternehmungen den Boden zu bereiten.

Eine Figur, wie der dunkle Ehrenlegionsmcum Cornelius (Cohn?) Herz,
den die Franzosen seines Namens halber gern uns angehängt hätten, haben
wir hoffentlich noch nicht auszuweisen. Doch die Gattung internationaler Ge¬
schäftsleute mit dem Wahlspruch:


Ich bin überall zu Hause,
Ich bin überall bekannt,
Macht mein Glück im Norden Pause,
Ist der Süd mein Vaterland.
Handel hier, und Schwindel da:
tibi. bono, ibi patrin !

kennen auch wir leider uur zu genau. Unter diesen Leuten wird man kaum
begreifen, was an dem großen Manne auszusetzen sei, der jetzt beinahe wie
der geheime Regent der Republik aussieht, und über den der Kriegsminister
Freycinet aus Versehen den bösen Witz gemacht hat, er habe sich den höchsten
Orden Frankreichs durch "Kraftübertragungen" verdient. Da sieht man doch
den Segen des freien Spiels der Kräfte. Richtig ist schon die Lesart aus¬
gegeben worden, die ganze "Hetze" gegen brave Leute, die sich ihre lumpigen
paar Millionen im Schweiße ihres Angesichts erworben haben, sei von einer
antisemitisch-boulangistischen Verschwörung angezettelt worden.

Denn der Übel allergrößtes ist der Antisemitismus. So verkünden zahl¬
lose Zeitungen Tag sür Tag. Jedes Verbrechen darf man verzeihen, nur dies


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gesunden Menschenverstand in der Parteischule eingebüßt hat, muß es mit
Entrüstung erfüllen, sich so als willenlose Stimmmaschine behandelt zu sehen,
mit Ekel, wenn er den öffentlichen Bettel um Geld — für freie, den Willen
des Volks unverfälscht zum Ausdruck bringende Wahlen! — liest. Aber Inter-
essenpolitik ist verpönt, die Landwirte werden förmlich wie Vaterlandsverrüter
behandelt, wenn sie bekennen, wo sie und ihresgleichen der Schuh drückt.
Mau darf begierig sein, ob auch die Industrie so wird zur Ruhe verwiesen
werden, die heute schon in viel schärferer Weise, als Bismarck dies gethan
hat, an der Sachkenntnis und Geschicklichkeit der deutschen Unterhändler wegen
des Handelsvertrags mit Österreich Kritik übt. Sie sieht sich um ihr bestes
Absatzgebiet gebracht und weiß nicht, wo sie Ersatz finden soll. Nun dürfte
wohl auch von dieser Seite die Frage aufgeworfen werden, ob es wahr sei
oder uicht, was das Gerücht behauptet, nämlich daß die Erneuerung eiues
Vertrages, der für den Fall eines deutsch-französischen Krieges die Neutralität
Rußlands gewährleistet habe, durch den Sturz Bismarcks vereitelt worden
sei. Denn es liegt auf der Hand, daß die Bejahung zu Folgerungen veran¬
lassen würde, die uicht bloß das Gebiet der hohen Politik berührten. Der
ernstesten Beachtung ist ferner die Enthüllung wert, welche Mittel (in jedem
Sinne) heutzutage in Bewegung gesetzt werdeu müssen, um in der öffentlichen
Meinung für wirklich große, segensreiche Unternehmungen den Boden zu bereiten.

Eine Figur, wie der dunkle Ehrenlegionsmcum Cornelius (Cohn?) Herz,
den die Franzosen seines Namens halber gern uns angehängt hätten, haben
wir hoffentlich noch nicht auszuweisen. Doch die Gattung internationaler Ge¬
schäftsleute mit dem Wahlspruch:


Ich bin überall zu Hause,
Ich bin überall bekannt,
Macht mein Glück im Norden Pause,
Ist der Süd mein Vaterland.
Handel hier, und Schwindel da:
tibi. bono, ibi patrin !

kennen auch wir leider uur zu genau. Unter diesen Leuten wird man kaum
begreifen, was an dem großen Manne auszusetzen sei, der jetzt beinahe wie
der geheime Regent der Republik aussieht, und über den der Kriegsminister
Freycinet aus Versehen den bösen Witz gemacht hat, er habe sich den höchsten
Orden Frankreichs durch „Kraftübertragungen" verdient. Da sieht man doch
den Segen des freien Spiels der Kräfte. Richtig ist schon die Lesart aus¬
gegeben worden, die ganze „Hetze" gegen brave Leute, die sich ihre lumpigen
paar Millionen im Schweiße ihres Angesichts erworben haben, sei von einer
antisemitisch-boulangistischen Verschwörung angezettelt worden.

Denn der Übel allergrößtes ist der Antisemitismus. So verkünden zahl¬
lose Zeitungen Tag sür Tag. Jedes Verbrechen darf man verzeihen, nur dies


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[0175] Unser Panama gesunden Menschenverstand in der Parteischule eingebüßt hat, muß es mit Entrüstung erfüllen, sich so als willenlose Stimmmaschine behandelt zu sehen, mit Ekel, wenn er den öffentlichen Bettel um Geld — für freie, den Willen des Volks unverfälscht zum Ausdruck bringende Wahlen! — liest. Aber Inter- essenpolitik ist verpönt, die Landwirte werden förmlich wie Vaterlandsverrüter behandelt, wenn sie bekennen, wo sie und ihresgleichen der Schuh drückt. Mau darf begierig sein, ob auch die Industrie so wird zur Ruhe verwiesen werden, die heute schon in viel schärferer Weise, als Bismarck dies gethan hat, an der Sachkenntnis und Geschicklichkeit der deutschen Unterhändler wegen des Handelsvertrags mit Österreich Kritik übt. Sie sieht sich um ihr bestes Absatzgebiet gebracht und weiß nicht, wo sie Ersatz finden soll. Nun dürfte wohl auch von dieser Seite die Frage aufgeworfen werden, ob es wahr sei oder uicht, was das Gerücht behauptet, nämlich daß die Erneuerung eiues Vertrages, der für den Fall eines deutsch-französischen Krieges die Neutralität Rußlands gewährleistet habe, durch den Sturz Bismarcks vereitelt worden sei. Denn es liegt auf der Hand, daß die Bejahung zu Folgerungen veran¬ lassen würde, die uicht bloß das Gebiet der hohen Politik berührten. Der ernstesten Beachtung ist ferner die Enthüllung wert, welche Mittel (in jedem Sinne) heutzutage in Bewegung gesetzt werdeu müssen, um in der öffentlichen Meinung für wirklich große, segensreiche Unternehmungen den Boden zu bereiten. Eine Figur, wie der dunkle Ehrenlegionsmcum Cornelius (Cohn?) Herz, den die Franzosen seines Namens halber gern uns angehängt hätten, haben wir hoffentlich noch nicht auszuweisen. Doch die Gattung internationaler Ge¬ schäftsleute mit dem Wahlspruch: Ich bin überall zu Hause, Ich bin überall bekannt, Macht mein Glück im Norden Pause, Ist der Süd mein Vaterland. Handel hier, und Schwindel da: tibi. bono, ibi patrin ! kennen auch wir leider uur zu genau. Unter diesen Leuten wird man kaum begreifen, was an dem großen Manne auszusetzen sei, der jetzt beinahe wie der geheime Regent der Republik aussieht, und über den der Kriegsminister Freycinet aus Versehen den bösen Witz gemacht hat, er habe sich den höchsten Orden Frankreichs durch „Kraftübertragungen" verdient. Da sieht man doch den Segen des freien Spiels der Kräfte. Richtig ist schon die Lesart aus¬ gegeben worden, die ganze „Hetze" gegen brave Leute, die sich ihre lumpigen paar Millionen im Schweiße ihres Angesichts erworben haben, sei von einer antisemitisch-boulangistischen Verschwörung angezettelt worden. Denn der Übel allergrößtes ist der Antisemitismus. So verkünden zahl¬ lose Zeitungen Tag sür Tag. Jedes Verbrechen darf man verzeihen, nur dies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/175>, abgerufen am 14.05.2024.