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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Unser Panama

mag auf unsrer Seite gefehlt, über das Ziel hinausgeschofseu werden; aber
wagt man deshalb den Widerstand der verschiednen Stämme gegen Unter¬
drückung oder allmähliche Aufsaugung als strafbar oder verächtlich zu brand¬
marken? Worin soll hier der Unterschied liegen? Darin, daß wir nicht nach
der Nationalität gesonderte Wohnsitze haben? Überall sitzen die Streitenden
nicht nur neben, sondern auch durch einander. Daß die Juden sich zum größten
Teil unsrer Sprache bedienen? Lono An-vo, erhält man in Friaul als Ant¬
wort ans die Frage nach der Nationalität des Fischers oder Bauern. Ge¬
radezu unglaublich ist die Kurzsichtigkeit, mit der hente noch erklärt wird:
"Entweder ist jemand ein Jude, dann ist er es eben; oder er ist Christ ge¬
worden, dann ist er eben Christ." Die Taufe ändert doch die Rasse nicht.
Mit dem Glaubensbekenntnis hat die Frage überhaupt nur insofern zu schaffen,
als die mosaische Religion eben eine nationale Religion ist. Niemand will
deren Bekenner in ihrem Glauben stören. Umgekehrt: was anderwärts die
Konfessionen in der Minderheit, oft vergeblich, erbitten, das lehnen bei uns
die Juden mit aller Entschiedenheit ab. Sie sind es, die sich am heftigsten
gegen konfessionelle Schulen sträuben und sich anstellen, als würde ihnen
damit das bitterste Unrecht zugefügt werden.

Deu jüdischen Zeitungen würden wir ihren Standpunkt in diesen An¬
gelegenheiten nicht verübeln, wenn sie sich wahrheitsgemäß als Organe ihres
Stammes bekennten. Allein sie maßen sich an, im Namen des deutschen Volks
zu sprechen, mischen sich in alle christlichen Angelegenheiten, die sie nichts an-
gehn, von denen sie nichts verstehn; ihre besondern Interessen geben sie für
die unsern aus, wagen jeden zu schmähen, der diese Gemeinsamkeit nicht an¬
erkennt; was das Judentum sür sein Wohlsein und seinen Geschäftsbetrieb
begehrt, das ist das Ideale, und wer diese Ansicht nicht teilt, ist ein Finster¬
ling, ein Unwürdiger, eine "Schmach sür Dentschland und das neunzehnte
Jahrhundert."

Ob sie wirklich nicht bemerken, daß nichts so sehr den Antisemitismus
fördert, wie ihre häufig deu Gipfel der Unverschämtheit erreichende Sprache?
Ob sie wirklich glauben, was sie glauben machen wollen, daß nur Leute das
Überwuchern des Judentums in Deutschland, vor allem im nördlichen und
östlichen, als Unheil empfänden, die sich dadurch in ihrem Erwerbe beeinträch¬
tigt sehn oder mit Neid ans die Paläste der Vörsenfürsten blicken? Dann
würden sie sich einer argen Täuschung hingeben. Allerdings halten Unzäh¬
lige mit ihrer wahren Meinung zurück, und aus mancherlei Gründen. Dieser
hat geschäftliche Rücksichten zu nehmen, jener fürchtet seinen Ruf als Liberaler
einzubüßen, und viele tragen begreifliche Scheu, sich die Feindschaft der Zei¬
tungen ans den Hals zu ziehen. Wie leicht ist es nicht, in den Beziehungen,
in der Verwandtschaft, im Umgange auch des rechtlichsten Menschen irgend
etwas aufzuspüren, dessen öffentliche Besprechung ihm unangenehm sein könnte!


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mag auf unsrer Seite gefehlt, über das Ziel hinausgeschofseu werden; aber
wagt man deshalb den Widerstand der verschiednen Stämme gegen Unter¬
drückung oder allmähliche Aufsaugung als strafbar oder verächtlich zu brand¬
marken? Worin soll hier der Unterschied liegen? Darin, daß wir nicht nach
der Nationalität gesonderte Wohnsitze haben? Überall sitzen die Streitenden
nicht nur neben, sondern auch durch einander. Daß die Juden sich zum größten
Teil unsrer Sprache bedienen? Lono An-vo, erhält man in Friaul als Ant¬
wort ans die Frage nach der Nationalität des Fischers oder Bauern. Ge¬
radezu unglaublich ist die Kurzsichtigkeit, mit der hente noch erklärt wird:
„Entweder ist jemand ein Jude, dann ist er es eben; oder er ist Christ ge¬
worden, dann ist er eben Christ." Die Taufe ändert doch die Rasse nicht.
Mit dem Glaubensbekenntnis hat die Frage überhaupt nur insofern zu schaffen,
als die mosaische Religion eben eine nationale Religion ist. Niemand will
deren Bekenner in ihrem Glauben stören. Umgekehrt: was anderwärts die
Konfessionen in der Minderheit, oft vergeblich, erbitten, das lehnen bei uns
die Juden mit aller Entschiedenheit ab. Sie sind es, die sich am heftigsten
gegen konfessionelle Schulen sträuben und sich anstellen, als würde ihnen
damit das bitterste Unrecht zugefügt werden.

Deu jüdischen Zeitungen würden wir ihren Standpunkt in diesen An¬
gelegenheiten nicht verübeln, wenn sie sich wahrheitsgemäß als Organe ihres
Stammes bekennten. Allein sie maßen sich an, im Namen des deutschen Volks
zu sprechen, mischen sich in alle christlichen Angelegenheiten, die sie nichts an-
gehn, von denen sie nichts verstehn; ihre besondern Interessen geben sie für
die unsern aus, wagen jeden zu schmähen, der diese Gemeinsamkeit nicht an¬
erkennt; was das Judentum sür sein Wohlsein und seinen Geschäftsbetrieb
begehrt, das ist das Ideale, und wer diese Ansicht nicht teilt, ist ein Finster¬
ling, ein Unwürdiger, eine „Schmach sür Dentschland und das neunzehnte
Jahrhundert."

Ob sie wirklich nicht bemerken, daß nichts so sehr den Antisemitismus
fördert, wie ihre häufig deu Gipfel der Unverschämtheit erreichende Sprache?
Ob sie wirklich glauben, was sie glauben machen wollen, daß nur Leute das
Überwuchern des Judentums in Deutschland, vor allem im nördlichen und
östlichen, als Unheil empfänden, die sich dadurch in ihrem Erwerbe beeinträch¬
tigt sehn oder mit Neid ans die Paläste der Vörsenfürsten blicken? Dann
würden sie sich einer argen Täuschung hingeben. Allerdings halten Unzäh¬
lige mit ihrer wahren Meinung zurück, und aus mancherlei Gründen. Dieser
hat geschäftliche Rücksichten zu nehmen, jener fürchtet seinen Ruf als Liberaler
einzubüßen, und viele tragen begreifliche Scheu, sich die Feindschaft der Zei¬
tungen ans den Hals zu ziehen. Wie leicht ist es nicht, in den Beziehungen,
in der Verwandtschaft, im Umgange auch des rechtlichsten Menschen irgend
etwas aufzuspüren, dessen öffentliche Besprechung ihm unangenehm sein könnte!


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[0177] Unser Panama mag auf unsrer Seite gefehlt, über das Ziel hinausgeschofseu werden; aber wagt man deshalb den Widerstand der verschiednen Stämme gegen Unter¬ drückung oder allmähliche Aufsaugung als strafbar oder verächtlich zu brand¬ marken? Worin soll hier der Unterschied liegen? Darin, daß wir nicht nach der Nationalität gesonderte Wohnsitze haben? Überall sitzen die Streitenden nicht nur neben, sondern auch durch einander. Daß die Juden sich zum größten Teil unsrer Sprache bedienen? Lono An-vo, erhält man in Friaul als Ant¬ wort ans die Frage nach der Nationalität des Fischers oder Bauern. Ge¬ radezu unglaublich ist die Kurzsichtigkeit, mit der hente noch erklärt wird: „Entweder ist jemand ein Jude, dann ist er es eben; oder er ist Christ ge¬ worden, dann ist er eben Christ." Die Taufe ändert doch die Rasse nicht. Mit dem Glaubensbekenntnis hat die Frage überhaupt nur insofern zu schaffen, als die mosaische Religion eben eine nationale Religion ist. Niemand will deren Bekenner in ihrem Glauben stören. Umgekehrt: was anderwärts die Konfessionen in der Minderheit, oft vergeblich, erbitten, das lehnen bei uns die Juden mit aller Entschiedenheit ab. Sie sind es, die sich am heftigsten gegen konfessionelle Schulen sträuben und sich anstellen, als würde ihnen damit das bitterste Unrecht zugefügt werden. Deu jüdischen Zeitungen würden wir ihren Standpunkt in diesen An¬ gelegenheiten nicht verübeln, wenn sie sich wahrheitsgemäß als Organe ihres Stammes bekennten. Allein sie maßen sich an, im Namen des deutschen Volks zu sprechen, mischen sich in alle christlichen Angelegenheiten, die sie nichts an- gehn, von denen sie nichts verstehn; ihre besondern Interessen geben sie für die unsern aus, wagen jeden zu schmähen, der diese Gemeinsamkeit nicht an¬ erkennt; was das Judentum sür sein Wohlsein und seinen Geschäftsbetrieb begehrt, das ist das Ideale, und wer diese Ansicht nicht teilt, ist ein Finster¬ ling, ein Unwürdiger, eine „Schmach sür Dentschland und das neunzehnte Jahrhundert." Ob sie wirklich nicht bemerken, daß nichts so sehr den Antisemitismus fördert, wie ihre häufig deu Gipfel der Unverschämtheit erreichende Sprache? Ob sie wirklich glauben, was sie glauben machen wollen, daß nur Leute das Überwuchern des Judentums in Deutschland, vor allem im nördlichen und östlichen, als Unheil empfänden, die sich dadurch in ihrem Erwerbe beeinträch¬ tigt sehn oder mit Neid ans die Paläste der Vörsenfürsten blicken? Dann würden sie sich einer argen Täuschung hingeben. Allerdings halten Unzäh¬ lige mit ihrer wahren Meinung zurück, und aus mancherlei Gründen. Dieser hat geschäftliche Rücksichten zu nehmen, jener fürchtet seinen Ruf als Liberaler einzubüßen, und viele tragen begreifliche Scheu, sich die Feindschaft der Zei¬ tungen ans den Hals zu ziehen. Wie leicht ist es nicht, in den Beziehungen, in der Verwandtschaft, im Umgange auch des rechtlichsten Menschen irgend etwas aufzuspüren, dessen öffentliche Besprechung ihm unangenehm sein könnte!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/177>, abgerufen am 14.05.2024.