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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Kapitalismus

reihe wird nun die Grundlinie immer breiter, die Seitenlinien nähern sich ihr,
sodaß der untre Teil der Figur Tellerform annimmt; gleichzeitig schwillt die
Spitze zum Turmknvpf an, der verbindende Hals wird dünner und dünner,
bis er eines schönen Tages reißt und der dicke Millivnärklnmpen ohne Stütze
über dem breiten Teller des Elends schwebt. In der andern Fignrenrcihe
schwillt der untre Teil an, sodaß die Biegung nach innen in die Biegung
"ach außen umschlägt und wir zuletzt eine Kuppel vor uns haben, aus der
ein schlanker Kegel als Turmspitze ohne Knopf hervorschießt. Den Wert und
die Wahrheit dieser Zeichnungen zu prüfen, können wir den Lesern überlassen.
Nur ein einziges Sätzchen der Erläuterung, die Wolf seinen Zeichnungen nach¬
schickt, wollen wir heute kritisiren. Die Gesellschaft, so deutet er seine Figuren,
"ist von einer fortschrittlichen Bewegung ergriffen. Mächtig regt es sich vor
allem unten, und die Armut macht der Dürftigkeit, die Dürftigkeit der Hab-
lichkeit ^hübsches Wort^ Platz. Immer solider, in sich gefestigter wird der
Gesellschaftsbau. Auch die mittler" Schichte" gewinnen an Stärke, und wenn
gleichzeitig die Spitze in die Höhe wächst, so verschlägt das nichts." Verschläge
das nichts? Wirklich nichts? Wollen sehen!

Der Satz der Mechanik, daß die Erhöhung der Spitze den Druck ver¬
mehrt, den sie auf die tragende" Unterschichten ausübt, gilt doch wohl auch
hier. Um diesen Druck zu veranschaulichen, müßten wir "un allerdings nicht
eine" einfachen Turmhelm zeichnen, sondern ein sehr verwickeltes System
neben einander stehender, in einander eingreifender und einander überdachender
Turmhelme. Eine Fabrik, deren Besitzer hohe Einnahmen erzielt und seine
Arbeiter schlecht bezahlt, ist el" flacher Eleiidsteller, a"s dessen Mitte die
Spitze ohne vermittelnde Vöschnngslinien unmittelbar emporsteigt. Ob ihre
Wucht, der Druck, den sie ausübt, durch ihre Höhe oder durch eine kropf-
artige Verdichtung am obern Ende ausgedrückt wird, bleibt sich gleich. Haben
wir es mit einer Aktienfabrik zu thun, die hohe Dividenden abwirft, so trägt
der Teller mehrere Spitze". Der Druck des Gewichts eines Rentners, dessen
Arnheim Aktien verschiedner Fabriken, Bergwerke und Eisenbahnen birgt, ver¬
teilt sich auf mehrere Teller. Ein Geldfürst endlich, der sein Vermögen der
modernen Staatsschuldenpvlitik verdankt, drückt auf das ganze Volk oder auf
mehrere Völker.

Um uns nun die Art dieses einem Sangpumpenwerk dienenden Drucks
klar zu machen, müssen wir vor allem bedenken, daß der heutige Reichtum
seiner Natur nach von dem Reichtum auf andern, z. V. den mittelalterlichen
Kulturstufen grundverschieden ist. Im frühen Mittelalter gab es nur eine
Klasse von Reichen, die große" Grundherre". Deren Reichtum war nun aber
so unlöslich mit dem Wohlbefinden des Bauernstandes verknüpft, daß einer¬
seits der Grundherr desto reicher war, je mehr und wohlhabendere Bauern
er hatte, andrerseits es dem Bauern gleichgültig sein konnte, ob er einen: kleinern


Weder Kommunismus noch Kapitalismus

reihe wird nun die Grundlinie immer breiter, die Seitenlinien nähern sich ihr,
sodaß der untre Teil der Figur Tellerform annimmt; gleichzeitig schwillt die
Spitze zum Turmknvpf an, der verbindende Hals wird dünner und dünner,
bis er eines schönen Tages reißt und der dicke Millivnärklnmpen ohne Stütze
über dem breiten Teller des Elends schwebt. In der andern Fignrenrcihe
schwillt der untre Teil an, sodaß die Biegung nach innen in die Biegung
»ach außen umschlägt und wir zuletzt eine Kuppel vor uns haben, aus der
ein schlanker Kegel als Turmspitze ohne Knopf hervorschießt. Den Wert und
die Wahrheit dieser Zeichnungen zu prüfen, können wir den Lesern überlassen.
Nur ein einziges Sätzchen der Erläuterung, die Wolf seinen Zeichnungen nach¬
schickt, wollen wir heute kritisiren. Die Gesellschaft, so deutet er seine Figuren,
„ist von einer fortschrittlichen Bewegung ergriffen. Mächtig regt es sich vor
allem unten, und die Armut macht der Dürftigkeit, die Dürftigkeit der Hab-
lichkeit ^hübsches Wort^ Platz. Immer solider, in sich gefestigter wird der
Gesellschaftsbau. Auch die mittler» Schichte» gewinnen an Stärke, und wenn
gleichzeitig die Spitze in die Höhe wächst, so verschlägt das nichts." Verschläge
das nichts? Wirklich nichts? Wollen sehen!

Der Satz der Mechanik, daß die Erhöhung der Spitze den Druck ver¬
mehrt, den sie auf die tragende» Unterschichten ausübt, gilt doch wohl auch
hier. Um diesen Druck zu veranschaulichen, müßten wir »un allerdings nicht
eine» einfachen Turmhelm zeichnen, sondern ein sehr verwickeltes System
neben einander stehender, in einander eingreifender und einander überdachender
Turmhelme. Eine Fabrik, deren Besitzer hohe Einnahmen erzielt und seine
Arbeiter schlecht bezahlt, ist el» flacher Eleiidsteller, a»s dessen Mitte die
Spitze ohne vermittelnde Vöschnngslinien unmittelbar emporsteigt. Ob ihre
Wucht, der Druck, den sie ausübt, durch ihre Höhe oder durch eine kropf-
artige Verdichtung am obern Ende ausgedrückt wird, bleibt sich gleich. Haben
wir es mit einer Aktienfabrik zu thun, die hohe Dividenden abwirft, so trägt
der Teller mehrere Spitze». Der Druck des Gewichts eines Rentners, dessen
Arnheim Aktien verschiedner Fabriken, Bergwerke und Eisenbahnen birgt, ver¬
teilt sich auf mehrere Teller. Ein Geldfürst endlich, der sein Vermögen der
modernen Staatsschuldenpvlitik verdankt, drückt auf das ganze Volk oder auf
mehrere Völker.

Um uns nun die Art dieses einem Sangpumpenwerk dienenden Drucks
klar zu machen, müssen wir vor allem bedenken, daß der heutige Reichtum
seiner Natur nach von dem Reichtum auf andern, z. V. den mittelalterlichen
Kulturstufen grundverschieden ist. Im frühen Mittelalter gab es nur eine
Klasse von Reichen, die große» Grundherre». Deren Reichtum war nun aber
so unlöslich mit dem Wohlbefinden des Bauernstandes verknüpft, daß einer¬
seits der Grundherr desto reicher war, je mehr und wohlhabendere Bauern
er hatte, andrerseits es dem Bauern gleichgültig sein konnte, ob er einen: kleinern


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[0224] Weder Kommunismus noch Kapitalismus reihe wird nun die Grundlinie immer breiter, die Seitenlinien nähern sich ihr, sodaß der untre Teil der Figur Tellerform annimmt; gleichzeitig schwillt die Spitze zum Turmknvpf an, der verbindende Hals wird dünner und dünner, bis er eines schönen Tages reißt und der dicke Millivnärklnmpen ohne Stütze über dem breiten Teller des Elends schwebt. In der andern Fignrenrcihe schwillt der untre Teil an, sodaß die Biegung nach innen in die Biegung »ach außen umschlägt und wir zuletzt eine Kuppel vor uns haben, aus der ein schlanker Kegel als Turmspitze ohne Knopf hervorschießt. Den Wert und die Wahrheit dieser Zeichnungen zu prüfen, können wir den Lesern überlassen. Nur ein einziges Sätzchen der Erläuterung, die Wolf seinen Zeichnungen nach¬ schickt, wollen wir heute kritisiren. Die Gesellschaft, so deutet er seine Figuren, „ist von einer fortschrittlichen Bewegung ergriffen. Mächtig regt es sich vor allem unten, und die Armut macht der Dürftigkeit, die Dürftigkeit der Hab- lichkeit ^hübsches Wort^ Platz. Immer solider, in sich gefestigter wird der Gesellschaftsbau. Auch die mittler» Schichte» gewinnen an Stärke, und wenn gleichzeitig die Spitze in die Höhe wächst, so verschlägt das nichts." Verschläge das nichts? Wirklich nichts? Wollen sehen! Der Satz der Mechanik, daß die Erhöhung der Spitze den Druck ver¬ mehrt, den sie auf die tragende» Unterschichten ausübt, gilt doch wohl auch hier. Um diesen Druck zu veranschaulichen, müßten wir »un allerdings nicht eine» einfachen Turmhelm zeichnen, sondern ein sehr verwickeltes System neben einander stehender, in einander eingreifender und einander überdachender Turmhelme. Eine Fabrik, deren Besitzer hohe Einnahmen erzielt und seine Arbeiter schlecht bezahlt, ist el» flacher Eleiidsteller, a»s dessen Mitte die Spitze ohne vermittelnde Vöschnngslinien unmittelbar emporsteigt. Ob ihre Wucht, der Druck, den sie ausübt, durch ihre Höhe oder durch eine kropf- artige Verdichtung am obern Ende ausgedrückt wird, bleibt sich gleich. Haben wir es mit einer Aktienfabrik zu thun, die hohe Dividenden abwirft, so trägt der Teller mehrere Spitze». Der Druck des Gewichts eines Rentners, dessen Arnheim Aktien verschiedner Fabriken, Bergwerke und Eisenbahnen birgt, ver¬ teilt sich auf mehrere Teller. Ein Geldfürst endlich, der sein Vermögen der modernen Staatsschuldenpvlitik verdankt, drückt auf das ganze Volk oder auf mehrere Völker. Um uns nun die Art dieses einem Sangpumpenwerk dienenden Drucks klar zu machen, müssen wir vor allem bedenken, daß der heutige Reichtum seiner Natur nach von dem Reichtum auf andern, z. V. den mittelalterlichen Kulturstufen grundverschieden ist. Im frühen Mittelalter gab es nur eine Klasse von Reichen, die große» Grundherre». Deren Reichtum war nun aber so unlöslich mit dem Wohlbefinden des Bauernstandes verknüpft, daß einer¬ seits der Grundherr desto reicher war, je mehr und wohlhabendere Bauern er hatte, andrerseits es dem Bauern gleichgültig sein konnte, ob er einen: kleinern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/224>, abgerufen am 11.05.2024.