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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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weder Rominunismus noch Uapitalismus

ihren Bankiers überlassen hatten, im Utrechter Frieden durch den Assiento-
znsatz. Die Laturä^ Ksvievv fragte bei Gelegenheit der Kolumbusfeier, ob
die in Genua versammelten Herren wohl dieses Gegenstandes gedacht haben
möchten, der ein paar hundert Jahre lang für die Seemächte der interessan¬
teste gewesen sei unter allen kolonialen Angelegenheiten? Wahrscheinlich nicht,
"denn man spricht nicht vom Strick im Hause des Gehenkten, wie man ja
auch in Liverpool von der Flüssigkeit (Negerblut) nicht sprechen darf, womit
der Mörtel für seine Häuser cmgemncht ist." Liverpool beschäftigte 1730 nur
15, 1792 schon 132 Sklavenschiffe. Ein Dr. Aikin pries in einer 1795 er¬
schienenen Schrift den Sklavenhandel, der "den Unternehmungsgeist bis zur
Leidenschaft steigere, famose Seeleute bilde und enormes Geld einbringe."
Wie die Engländer das indische Volk ausgebeutet, und daß sie noch in unserm
Jahrhundert den Kaiser von China durch einen Krieg gezwungen haben, sein
Volk durch Opium vergiften zu lassen, ist allgemein bekannt. Macaulay tröstet
sich über die bittre Wahrheit, daß die englischen Eroberer Indiens und die
Leute der Ostindischen Kompagnie eigentlich große Schurken gewesen seien, mit
dem Gedanken, die verdrängten muhammedanischen Fürsten wären noch größere
Halunken gewesen, und Hartpole Lecky beschreibt, wie die mit ungeheuern
Reichtümern aus Indien zurückkehrenden Nabvbs jeden Rest von Scham ver¬
nichtet, das Parlament und die ganze Nation käuflich gemacht und der Allein¬
herrschaft des Geldes die offne Anerkennung erzwungen haben. Noch heute
ist die englische Verwaltung Indiens und die gelegentliche Kriegführung gegen
rebellische Fürsten und Stämme nicht ganz zweifelsohne; der Maharadscha
Dhulip Singh, den die Russen eine Zeit lang als Werkzeug gebraucht habe",
beschwerte sich vor ein paar Jahren n. a. darüber, daß Ihrer britischen
Majestät Diener seinem Vater nebst andern Kleinodien auch den Kohiuur ge¬
stohlen hatten. Auch ihre eignen Kolonisten, d. h. die wirklich arbeitenden
unter ihnen, die Bauern Neuenglands, behandelten sie bis zum Unabhängig¬
keitskriege, der ja eben hierdurch veranlaßt wurde, als reine Ausbeutungs-
vbjet'te. Nur englische Jndustrieerzeuguisse durften sie gebrauchen, und nur
aus englischen Schiffen durften sie sie empfangen; sogar sich ihre Pflüge
selbst zu machen, war ihnen verboten. Den Iren haben die Engländer nicht
allein ihr ganzes Land geraubt, sondern anch jede Industrie, mit der sie sich
zu helfen suchten, im Keime erstickt und den Heringsfang an ihrer eignen
Küste verwehrt. Bis auf deu heutigen Tag arbeiten sogar die nach Amerika
ausgewanderten Jrlcinder noch für die englischen Landräuber, indem sie ihren
Verwandten daheim den Pachtzins schicken; freilich immer öfter auch das Geld
zur Überfahrt uach Amerika. Aber die Entvölkerung der grünen Insel kümmert
die in England residirenden Besitzer nicht; solange nur uoch Schäfer vorhanden
sind, kommen sie zu ihrem Gelde. Nentirt doch die Weidewirtschaft desto
besser, je höher in der alten Welt die Fleischpreise steigen. Und zugleich haben


weder Rominunismus noch Uapitalismus

ihren Bankiers überlassen hatten, im Utrechter Frieden durch den Assiento-
znsatz. Die Laturä^ Ksvievv fragte bei Gelegenheit der Kolumbusfeier, ob
die in Genua versammelten Herren wohl dieses Gegenstandes gedacht haben
möchten, der ein paar hundert Jahre lang für die Seemächte der interessan¬
teste gewesen sei unter allen kolonialen Angelegenheiten? Wahrscheinlich nicht,
„denn man spricht nicht vom Strick im Hause des Gehenkten, wie man ja
auch in Liverpool von der Flüssigkeit (Negerblut) nicht sprechen darf, womit
der Mörtel für seine Häuser cmgemncht ist." Liverpool beschäftigte 1730 nur
15, 1792 schon 132 Sklavenschiffe. Ein Dr. Aikin pries in einer 1795 er¬
schienenen Schrift den Sklavenhandel, der „den Unternehmungsgeist bis zur
Leidenschaft steigere, famose Seeleute bilde und enormes Geld einbringe."
Wie die Engländer das indische Volk ausgebeutet, und daß sie noch in unserm
Jahrhundert den Kaiser von China durch einen Krieg gezwungen haben, sein
Volk durch Opium vergiften zu lassen, ist allgemein bekannt. Macaulay tröstet
sich über die bittre Wahrheit, daß die englischen Eroberer Indiens und die
Leute der Ostindischen Kompagnie eigentlich große Schurken gewesen seien, mit
dem Gedanken, die verdrängten muhammedanischen Fürsten wären noch größere
Halunken gewesen, und Hartpole Lecky beschreibt, wie die mit ungeheuern
Reichtümern aus Indien zurückkehrenden Nabvbs jeden Rest von Scham ver¬
nichtet, das Parlament und die ganze Nation käuflich gemacht und der Allein¬
herrschaft des Geldes die offne Anerkennung erzwungen haben. Noch heute
ist die englische Verwaltung Indiens und die gelegentliche Kriegführung gegen
rebellische Fürsten und Stämme nicht ganz zweifelsohne; der Maharadscha
Dhulip Singh, den die Russen eine Zeit lang als Werkzeug gebraucht habe»,
beschwerte sich vor ein paar Jahren n. a. darüber, daß Ihrer britischen
Majestät Diener seinem Vater nebst andern Kleinodien auch den Kohiuur ge¬
stohlen hatten. Auch ihre eignen Kolonisten, d. h. die wirklich arbeitenden
unter ihnen, die Bauern Neuenglands, behandelten sie bis zum Unabhängig¬
keitskriege, der ja eben hierdurch veranlaßt wurde, als reine Ausbeutungs-
vbjet'te. Nur englische Jndustrieerzeuguisse durften sie gebrauchen, und nur
aus englischen Schiffen durften sie sie empfangen; sogar sich ihre Pflüge
selbst zu machen, war ihnen verboten. Den Iren haben die Engländer nicht
allein ihr ganzes Land geraubt, sondern anch jede Industrie, mit der sie sich
zu helfen suchten, im Keime erstickt und den Heringsfang an ihrer eignen
Küste verwehrt. Bis auf deu heutigen Tag arbeiten sogar die nach Amerika
ausgewanderten Jrlcinder noch für die englischen Landräuber, indem sie ihren
Verwandten daheim den Pachtzins schicken; freilich immer öfter auch das Geld
zur Überfahrt uach Amerika. Aber die Entvölkerung der grünen Insel kümmert
die in England residirenden Besitzer nicht; solange nur uoch Schäfer vorhanden
sind, kommen sie zu ihrem Gelde. Nentirt doch die Weidewirtschaft desto
besser, je höher in der alten Welt die Fleischpreise steigen. Und zugleich haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/23>, abgerufen am 13.05.2024.