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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Aapitalismus

geschickt, "als Anerkennung für aufmerksame Bedienung." Diesmal soll es
sich um ein anständiges Mädchen und wirklich bloß um aufmerksame Bedie¬
nung gehandelt haben. In andern Fällen, die nicht in die Zeitung zu kommen
pflegen, handelt es sich um etwas andres; und abgesehn von solchen Geschenken,
werden Rufnamen mit solchen Mädchen verpraßt, Summen, von denen noch
dazu der größte Teil jenen Blutsaugern in den Rachen fällt, die als Wirte
anrüchiger Lokale mit doppelter und dreifacher Kreide rechnen. Nichts hindert
einen reichen Mann oder seinen flotten Sohn, in einem Jahre solchen Schma¬
rotzern 10000V Mark in den Rachen zu werfen. Dagegen würde es mit
Schwierigkeiten verbunden sein, wenn er als Fabrikant seinen 500 Fabrik¬
arbeiterinnen jeder 200 Mark jährlich zulegen wollte. Seine Kollegen
würden das für höchst unkollegialisch erklären und alle modernen Kunstgriffe
der Konkurrenz aufbieten, ihn zu vernichten. Wie viel besser wäre es, die
unstandesgemäßen Personen, mit denen er sich in den Vlnmensülen, bei Ro-
nacher oder sonstwo vergnügt, wären seine persönlichen Sklavinnen, dann hätte
er wenigstens die Verpflichtung, sie lebenslänglich zu ernähren!

Zum Schluß dürfen wir noch einen andern Unterschied des heutigen Reich¬
tums von dem mittelalterlichen nicht unerwähnt lassen. Der mittelalterliche
Grundherr genoß seine Einkünfte nicht ohne Gegenleistung. Wir meinen damit
nicht, daß seine Gutswirtschaft die Musterwirtschaft für die Bauern war, und
daß nicht selten der Wirtschaftsbetrieb des ganzen Dorfes unter seiner Aufsicht
stand, daß er also Betriebsleiter war; das sind ja die heutigen Reichen zum
Teil ^ nur sehr zum Teil -- ebenfalls. Sondern, daß er die Obrigkeit der
Bauern war. Mit seinen Reisigen schützte er sie vor feindlichen Überfällen,'
und sein Vogt besorgte, unter Beiziehung der Bauern, die Rechtspflege. Ver¬
waltung und Regierung kosteten den gemeinen Mann nichts; die Kosten waren
in dem enthalten, was er dem gnädigen Herrn leistete. Der heutige Reichtum
verpflichtet zu keinen solchen Gegenleistungen. In einzelnen Fällen werden sie
freiwillig gewährt, indem der reiche Mann Ehrenämter der Selbstverwaltung
bekleidet oder -- was mitunter ein Dienst von recht zweifelhaftem Wert ist --
indem er im Parlamente sitzt oder für eine Partei agitirt. Aber sehr viele
Reichen leisten fürs Gemeinwesen rein gar nichts. Jedenfalls wird der bei
weitem größte Teil der Staatsverwaltung, ebenso wie die Landesverteidigung,
von besouders dafür bestimmten Personen besorgt, deren Besoldung das Volk
noch neben dem Reichtum der Reichen dnrch seine Arbeit aufbringen muß.
Nun ist es ja vielleicht gerade kein Unglück, daß die Herren Rothschild, Bleich-
rüder, Krupp, Fürst Pleß u. s. w. nicht unsre geborne, von Gott gesetzte Obrig¬
keit sind (owvhl schon ein starker monarchischer Wille dazu gehört, zu verhüten,
daß die Staatsbeamten, deren allerhöchste für den Landtag in der dritten Klasse
wühlen, zu Werkzeugen der reichen Schlächtermeister der zweiten und der Ma¬
gnaten und Finanzfürsten der ersten Klasse herabsinken), allein jedenfalls wird


Weder Kommunismus noch Aapitalismus

geschickt, „als Anerkennung für aufmerksame Bedienung." Diesmal soll es
sich um ein anständiges Mädchen und wirklich bloß um aufmerksame Bedie¬
nung gehandelt haben. In andern Fällen, die nicht in die Zeitung zu kommen
pflegen, handelt es sich um etwas andres; und abgesehn von solchen Geschenken,
werden Rufnamen mit solchen Mädchen verpraßt, Summen, von denen noch
dazu der größte Teil jenen Blutsaugern in den Rachen fällt, die als Wirte
anrüchiger Lokale mit doppelter und dreifacher Kreide rechnen. Nichts hindert
einen reichen Mann oder seinen flotten Sohn, in einem Jahre solchen Schma¬
rotzern 10000V Mark in den Rachen zu werfen. Dagegen würde es mit
Schwierigkeiten verbunden sein, wenn er als Fabrikant seinen 500 Fabrik¬
arbeiterinnen jeder 200 Mark jährlich zulegen wollte. Seine Kollegen
würden das für höchst unkollegialisch erklären und alle modernen Kunstgriffe
der Konkurrenz aufbieten, ihn zu vernichten. Wie viel besser wäre es, die
unstandesgemäßen Personen, mit denen er sich in den Vlnmensülen, bei Ro-
nacher oder sonstwo vergnügt, wären seine persönlichen Sklavinnen, dann hätte
er wenigstens die Verpflichtung, sie lebenslänglich zu ernähren!

Zum Schluß dürfen wir noch einen andern Unterschied des heutigen Reich¬
tums von dem mittelalterlichen nicht unerwähnt lassen. Der mittelalterliche
Grundherr genoß seine Einkünfte nicht ohne Gegenleistung. Wir meinen damit
nicht, daß seine Gutswirtschaft die Musterwirtschaft für die Bauern war, und
daß nicht selten der Wirtschaftsbetrieb des ganzen Dorfes unter seiner Aufsicht
stand, daß er also Betriebsleiter war; das sind ja die heutigen Reichen zum
Teil ^ nur sehr zum Teil — ebenfalls. Sondern, daß er die Obrigkeit der
Bauern war. Mit seinen Reisigen schützte er sie vor feindlichen Überfällen,'
und sein Vogt besorgte, unter Beiziehung der Bauern, die Rechtspflege. Ver¬
waltung und Regierung kosteten den gemeinen Mann nichts; die Kosten waren
in dem enthalten, was er dem gnädigen Herrn leistete. Der heutige Reichtum
verpflichtet zu keinen solchen Gegenleistungen. In einzelnen Fällen werden sie
freiwillig gewährt, indem der reiche Mann Ehrenämter der Selbstverwaltung
bekleidet oder — was mitunter ein Dienst von recht zweifelhaftem Wert ist —
indem er im Parlamente sitzt oder für eine Partei agitirt. Aber sehr viele
Reichen leisten fürs Gemeinwesen rein gar nichts. Jedenfalls wird der bei
weitem größte Teil der Staatsverwaltung, ebenso wie die Landesverteidigung,
von besouders dafür bestimmten Personen besorgt, deren Besoldung das Volk
noch neben dem Reichtum der Reichen dnrch seine Arbeit aufbringen muß.
Nun ist es ja vielleicht gerade kein Unglück, daß die Herren Rothschild, Bleich-
rüder, Krupp, Fürst Pleß u. s. w. nicht unsre geborne, von Gott gesetzte Obrig¬
keit sind (owvhl schon ein starker monarchischer Wille dazu gehört, zu verhüten,
daß die Staatsbeamten, deren allerhöchste für den Landtag in der dritten Klasse
wühlen, zu Werkzeugen der reichen Schlächtermeister der zweiten und der Ma¬
gnaten und Finanzfürsten der ersten Klasse herabsinken), allein jedenfalls wird


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[0232] Weder Kommunismus noch Aapitalismus geschickt, „als Anerkennung für aufmerksame Bedienung." Diesmal soll es sich um ein anständiges Mädchen und wirklich bloß um aufmerksame Bedie¬ nung gehandelt haben. In andern Fällen, die nicht in die Zeitung zu kommen pflegen, handelt es sich um etwas andres; und abgesehn von solchen Geschenken, werden Rufnamen mit solchen Mädchen verpraßt, Summen, von denen noch dazu der größte Teil jenen Blutsaugern in den Rachen fällt, die als Wirte anrüchiger Lokale mit doppelter und dreifacher Kreide rechnen. Nichts hindert einen reichen Mann oder seinen flotten Sohn, in einem Jahre solchen Schma¬ rotzern 10000V Mark in den Rachen zu werfen. Dagegen würde es mit Schwierigkeiten verbunden sein, wenn er als Fabrikant seinen 500 Fabrik¬ arbeiterinnen jeder 200 Mark jährlich zulegen wollte. Seine Kollegen würden das für höchst unkollegialisch erklären und alle modernen Kunstgriffe der Konkurrenz aufbieten, ihn zu vernichten. Wie viel besser wäre es, die unstandesgemäßen Personen, mit denen er sich in den Vlnmensülen, bei Ro- nacher oder sonstwo vergnügt, wären seine persönlichen Sklavinnen, dann hätte er wenigstens die Verpflichtung, sie lebenslänglich zu ernähren! Zum Schluß dürfen wir noch einen andern Unterschied des heutigen Reich¬ tums von dem mittelalterlichen nicht unerwähnt lassen. Der mittelalterliche Grundherr genoß seine Einkünfte nicht ohne Gegenleistung. Wir meinen damit nicht, daß seine Gutswirtschaft die Musterwirtschaft für die Bauern war, und daß nicht selten der Wirtschaftsbetrieb des ganzen Dorfes unter seiner Aufsicht stand, daß er also Betriebsleiter war; das sind ja die heutigen Reichen zum Teil ^ nur sehr zum Teil — ebenfalls. Sondern, daß er die Obrigkeit der Bauern war. Mit seinen Reisigen schützte er sie vor feindlichen Überfällen,' und sein Vogt besorgte, unter Beiziehung der Bauern, die Rechtspflege. Ver¬ waltung und Regierung kosteten den gemeinen Mann nichts; die Kosten waren in dem enthalten, was er dem gnädigen Herrn leistete. Der heutige Reichtum verpflichtet zu keinen solchen Gegenleistungen. In einzelnen Fällen werden sie freiwillig gewährt, indem der reiche Mann Ehrenämter der Selbstverwaltung bekleidet oder — was mitunter ein Dienst von recht zweifelhaftem Wert ist — indem er im Parlamente sitzt oder für eine Partei agitirt. Aber sehr viele Reichen leisten fürs Gemeinwesen rein gar nichts. Jedenfalls wird der bei weitem größte Teil der Staatsverwaltung, ebenso wie die Landesverteidigung, von besouders dafür bestimmten Personen besorgt, deren Besoldung das Volk noch neben dem Reichtum der Reichen dnrch seine Arbeit aufbringen muß. Nun ist es ja vielleicht gerade kein Unglück, daß die Herren Rothschild, Bleich- rüder, Krupp, Fürst Pleß u. s. w. nicht unsre geborne, von Gott gesetzte Obrig¬ keit sind (owvhl schon ein starker monarchischer Wille dazu gehört, zu verhüten, daß die Staatsbeamten, deren allerhöchste für den Landtag in der dritten Klasse wühlen, zu Werkzeugen der reichen Schlächtermeister der zweiten und der Ma¬ gnaten und Finanzfürsten der ersten Klasse herabsinken), allein jedenfalls wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/232>, abgerufen am 11.05.2024.