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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Uleder Kommunismus noch Kapitalismus

Arbeit ruht, sondern teils im Auslande zusammengeraubt, teils der ürmern
heimischen Bevölkerung abgepreßt ist, und dessen Ertrag nicht in den Früchten
des Bodens, sondern in Zinsen, d. h. in dem Anspruch auf die Arbeit andrer
Nationen besteht, wenn dieser Reichtum wie eine Seifenblase zerplatzt sein
wird, weil es die ausländischen Schuldner gleich den Argentiniern und Portu¬
giesen satt haben, für England zu arbeiten, und weil bei der gleichmäßigen
industriellen Entwicklung aller Völker das letzte Stündlein der englischen
Exportindustrieu geschlagen hat, dann wird das deutsche Volk, die Gefahr
gleichen Verderbens fürchtend, mit seinen Professoren, Nationalökonomen und
Publizisten ins Gericht gehen. Es wird sie fragen: Wo bleibt nun diese deutsche
Wissenschaft, die die Wahrheit, uur die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit
sucht? Warum habt ihr uns über die Natur und die Bedingungen des Reich¬
tums getäuscht? Warum habt ihr uns verschwiegen, daß dieser vielgerühmte
Nationalreichtnm, wie Destut de Tracy schon vor hundert Jahren erkannt hat,
weiter nichts ist als Volkselend, durch Volkselend erkauft und geschaffen?
Warum habt ihr uns vorgelogen, die Engländer, die ökonomischen Muster
der modernen Welt, hätten ihren Reichtum durch Arbeit und Sparsamkeit*)
erworben? Warum erzählt ihr uus immer wieder von den grausamen Spaniern,
den Greueln der Inquisition und der Bartholomäusnacht, die doch gar kein
praktisches Interesse für uns haben, und warum verliert ihr kein Wort über
die englischen Fabrikgreuel, ohne die die englische Kapitalbildung gar uicht
verstanden werdeu kann, die also so notwendig in die Nationalökonomie ge¬
hören, wie die Eigenschaften des Dampfes in die Maschinenlehre? Und ist
es vielleicht reiner Zufall, daß Pierer, Meyer und Vrockhaus alle drei unter
dem Worte Rogers zwar ein paar obskure Dichter und Schriftsteller dieses
Namens behandeln, daß aber keiner von den dreien den großen noch lebenden
Volkswirt und Historiker kennt, dem wir die beste Ausgabe von Adam Smiths
berühmtem Werke und höchst wertvolle Anmerkungen dazu, sowie die gro߬
artige Geschichte der englischen Arbeit verdanken? So wird das deutsche Volk
über kurz oder lang fragen und sich Antwort erzwingen, und in den Fa¬
milienblättern, Schcinbnden und Panoptiknms werden die alten spanischen
Folterkammern den englischen Platz machen.

Wir haben hier nur den Kniff aufzudecken und dadurch unschädlich zu
>machen, mit dem Wolf die Aufmerksamkeit vou diesen Dingen abzulenken sucht.
S. 141 schreibt er: "Wir haben oben bemerkt, daß Marx, wenn es gilt, sich
und seinem Leser Klarheit über den sozialen Thatbestand der Zeit zu ver¬
schaffen, mit Vorliebe Detailschilderunge", Berichte aus Enqueten, vereinzelte



Sparsam ist überhaupt kein Engländer, weder der vornehme noch der gemeine;
wüsten und vergeuden ist ihre Natur, wie Karl Hillebrand, ein eutschieduer Freund der Eng¬
länder, in seinen Briefen aus England sehr schön beschrieben hat ("Aus und über England,"
S. 27y).
Uleder Kommunismus noch Kapitalismus

Arbeit ruht, sondern teils im Auslande zusammengeraubt, teils der ürmern
heimischen Bevölkerung abgepreßt ist, und dessen Ertrag nicht in den Früchten
des Bodens, sondern in Zinsen, d. h. in dem Anspruch auf die Arbeit andrer
Nationen besteht, wenn dieser Reichtum wie eine Seifenblase zerplatzt sein
wird, weil es die ausländischen Schuldner gleich den Argentiniern und Portu¬
giesen satt haben, für England zu arbeiten, und weil bei der gleichmäßigen
industriellen Entwicklung aller Völker das letzte Stündlein der englischen
Exportindustrieu geschlagen hat, dann wird das deutsche Volk, die Gefahr
gleichen Verderbens fürchtend, mit seinen Professoren, Nationalökonomen und
Publizisten ins Gericht gehen. Es wird sie fragen: Wo bleibt nun diese deutsche
Wissenschaft, die die Wahrheit, uur die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit
sucht? Warum habt ihr uns über die Natur und die Bedingungen des Reich¬
tums getäuscht? Warum habt ihr uns verschwiegen, daß dieser vielgerühmte
Nationalreichtnm, wie Destut de Tracy schon vor hundert Jahren erkannt hat,
weiter nichts ist als Volkselend, durch Volkselend erkauft und geschaffen?
Warum habt ihr uns vorgelogen, die Engländer, die ökonomischen Muster
der modernen Welt, hätten ihren Reichtum durch Arbeit und Sparsamkeit*)
erworben? Warum erzählt ihr uus immer wieder von den grausamen Spaniern,
den Greueln der Inquisition und der Bartholomäusnacht, die doch gar kein
praktisches Interesse für uns haben, und warum verliert ihr kein Wort über
die englischen Fabrikgreuel, ohne die die englische Kapitalbildung gar uicht
verstanden werdeu kann, die also so notwendig in die Nationalökonomie ge¬
hören, wie die Eigenschaften des Dampfes in die Maschinenlehre? Und ist
es vielleicht reiner Zufall, daß Pierer, Meyer und Vrockhaus alle drei unter
dem Worte Rogers zwar ein paar obskure Dichter und Schriftsteller dieses
Namens behandeln, daß aber keiner von den dreien den großen noch lebenden
Volkswirt und Historiker kennt, dem wir die beste Ausgabe von Adam Smiths
berühmtem Werke und höchst wertvolle Anmerkungen dazu, sowie die gro߬
artige Geschichte der englischen Arbeit verdanken? So wird das deutsche Volk
über kurz oder lang fragen und sich Antwort erzwingen, und in den Fa¬
milienblättern, Schcinbnden und Panoptiknms werden die alten spanischen
Folterkammern den englischen Platz machen.

Wir haben hier nur den Kniff aufzudecken und dadurch unschädlich zu
>machen, mit dem Wolf die Aufmerksamkeit vou diesen Dingen abzulenken sucht.
S. 141 schreibt er: „Wir haben oben bemerkt, daß Marx, wenn es gilt, sich
und seinem Leser Klarheit über den sozialen Thatbestand der Zeit zu ver¬
schaffen, mit Vorliebe Detailschilderunge», Berichte aus Enqueten, vereinzelte



Sparsam ist überhaupt kein Engländer, weder der vornehme noch der gemeine;
wüsten und vergeuden ist ihre Natur, wie Karl Hillebrand, ein eutschieduer Freund der Eng¬
länder, in seinen Briefen aus England sehr schön beschrieben hat („Aus und über England,"
S. 27y).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/25>, abgerufen am 13.05.2024.