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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Deutscheichas; bei unsern Nachbarn

ertennnng und VeN'Undrung von andern Monarchen, andern Feldherren, vor
allein von Kaiser Wilhelm dem Ersten in Menge zuströmten -- ich sah viele
derselben im Bibliothekzimmer des Grafen --, er hatte eine Deutsche zur Frau,
seine Kinder wurden von einer deutschen Erzieherin unterrichtet, er war deutsch
in seinem ganzen Wesen; aber Zornesröte bedeckte sein Gesicht, wenn er sein
russisches Vaterland von Deutschen beschimpfen hörte.

Man frage doch in den weiten Kreise" der Dentschrnssen nach dem
Deutschenhaß, der, nach den meisten unsrer Zeitungen zu schließen, über das
ganze russische Reich verbreitet sein soll; wir werden von den Vorurteilsfreien
die Antwort erhalten: Die Zunahme der Macht Deutschlands hat allerdings
in der Abnahme seiner Popularität im Auslande ein Gegengewicht erhalten,
wie es nicht anders zu erwarte" war, man ist in der Bemühung, den Fort¬
schritten des Deutschtums in Nußland Einhalt zu thun, zu stürmisch und zu
weit vorgegangen, deutsche Taktlosigkeiten haben russische Grobheiten hervor¬
gerufen, aber von einer Verfolgung der Deutschen in Rußland ist nicht die
Rede, selbst in der Presse, wenigstens in der anständigen Presse nicht. Daß
es, wie in Frankreich, so auch in Rußland Zeitungen giebt, die von der
Deutschenhetze zu leben scheinen, daß die Regierung schwach genug ist, selbst
gelegentlich den panslawistischen Wühlereien nachzugeben und deutschfeindliche
Strömungen zu unterstützen, darin liegen gewiß nicht mißzuverstehende War-
nungsrufe für uns, und es wäre die größte Thorheit, diese unbeachtet zu lassen.
Aber ebenso verderblich ist es, wenn ein Teil unsrer Presse bemüht ist, jeden
Versuch der Aussöhnung zwischen Deutschland und Rußland zu hintertreiben.
Hoffentlich ist sich die deutsche Presse darüber klar, was Deutschland an Ru߬
lands Freundschaft oder doch Neutralität verliert. Erinnern wir uns doch
daran, daß Deutschlands Erhebung 1813 zu einem nicht geringen Teile Ru߬
land zu verdanken ist, daß unsre Triumphe im Jahre 1870 nur möglich
waren, weil wir ein neutrales Nußland im Rücken hatten. Wie freundschaft¬
lich damals unsre Beziehungen waren, beweist allein die Thatsache, daß in diesem
Jahre 1870 Sonntag für Sonntag in den deutschen Kirchen Rußlands für
den Sieg der deutschen Waffen öffentlich gebetet werden durfte. Ob das heute
noch geschehen könnte? Ich glaube, es wäre unsinnig, so etwas anzunehmen.
Wir wollen uns in dieser Hinsicht keinerlei Täuschungen hingeben, sondern
klar mit den gegebnen unerfreulichen Verhältnissen rechnen; aber wir wollen
uns hüten, die letzte Brücke über die gähnende Kluft abzubrechen und unsre
Nachbar" im Osten mit denen im Westen in dein Verlangen zu vereinigen,
ein Volk zu demütigen, das im Vollbesitze seiner Macht nicht versteht, Gro߬
mut und Nachsicht zu üben.




Der Deutscheichas; bei unsern Nachbarn

ertennnng und VeN'Undrung von andern Monarchen, andern Feldherren, vor
allein von Kaiser Wilhelm dem Ersten in Menge zuströmten — ich sah viele
derselben im Bibliothekzimmer des Grafen —, er hatte eine Deutsche zur Frau,
seine Kinder wurden von einer deutschen Erzieherin unterrichtet, er war deutsch
in seinem ganzen Wesen; aber Zornesröte bedeckte sein Gesicht, wenn er sein
russisches Vaterland von Deutschen beschimpfen hörte.

Man frage doch in den weiten Kreise» der Dentschrnssen nach dem
Deutschenhaß, der, nach den meisten unsrer Zeitungen zu schließen, über das
ganze russische Reich verbreitet sein soll; wir werden von den Vorurteilsfreien
die Antwort erhalten: Die Zunahme der Macht Deutschlands hat allerdings
in der Abnahme seiner Popularität im Auslande ein Gegengewicht erhalten,
wie es nicht anders zu erwarte» war, man ist in der Bemühung, den Fort¬
schritten des Deutschtums in Nußland Einhalt zu thun, zu stürmisch und zu
weit vorgegangen, deutsche Taktlosigkeiten haben russische Grobheiten hervor¬
gerufen, aber von einer Verfolgung der Deutschen in Rußland ist nicht die
Rede, selbst in der Presse, wenigstens in der anständigen Presse nicht. Daß
es, wie in Frankreich, so auch in Rußland Zeitungen giebt, die von der
Deutschenhetze zu leben scheinen, daß die Regierung schwach genug ist, selbst
gelegentlich den panslawistischen Wühlereien nachzugeben und deutschfeindliche
Strömungen zu unterstützen, darin liegen gewiß nicht mißzuverstehende War-
nungsrufe für uns, und es wäre die größte Thorheit, diese unbeachtet zu lassen.
Aber ebenso verderblich ist es, wenn ein Teil unsrer Presse bemüht ist, jeden
Versuch der Aussöhnung zwischen Deutschland und Rußland zu hintertreiben.
Hoffentlich ist sich die deutsche Presse darüber klar, was Deutschland an Ru߬
lands Freundschaft oder doch Neutralität verliert. Erinnern wir uns doch
daran, daß Deutschlands Erhebung 1813 zu einem nicht geringen Teile Ru߬
land zu verdanken ist, daß unsre Triumphe im Jahre 1870 nur möglich
waren, weil wir ein neutrales Nußland im Rücken hatten. Wie freundschaft¬
lich damals unsre Beziehungen waren, beweist allein die Thatsache, daß in diesem
Jahre 1870 Sonntag für Sonntag in den deutschen Kirchen Rußlands für
den Sieg der deutschen Waffen öffentlich gebetet werden durfte. Ob das heute
noch geschehen könnte? Ich glaube, es wäre unsinnig, so etwas anzunehmen.
Wir wollen uns in dieser Hinsicht keinerlei Täuschungen hingeben, sondern
klar mit den gegebnen unerfreulichen Verhältnissen rechnen; aber wir wollen
uns hüten, die letzte Brücke über die gähnende Kluft abzubrechen und unsre
Nachbar» im Osten mit denen im Westen in dein Verlangen zu vereinigen,
ein Volk zu demütigen, das im Vollbesitze seiner Macht nicht versteht, Gro߬
mut und Nachsicht zu üben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/274>, abgerufen am 09.05.2024.