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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Deuischlands wirtschaftliche Lage

Die natürliche Grundlage für den Wohlstand jedes Volkes bildet der
Grund und Boden seines Landes. Er ist gleichsam der gedeckte Tisch, auf
dem das Volk seine Nahrung findet. Auch die Industrie ist für die Stoffe,
die sie verarbeitet, in erster Linie uns den Boden ihres Landes angewiesen.
Deutschland ist nicht arm an fruchtbarem Gelände und an wertvollen Boden¬
schätzen. Aber es steht damit nicht in erster Linie. Südlicher gelegne Länder
haben eine größere Fruchtbarkeit; auch sind andre Länder noch reicher an
Mineralien. Die Fruchtbarkeit des Bodens hat man im Laufe dieses Jahr¬
hunderts durch bessere Bewirtschaftung wesentlich steigern gelernt. Aber während
dieser Zeit hat sich auch die Bevölkerung Deutschlands fast verdoppelt.
Nun ist es bekannt, daß, wenn sich noch einmal so viel Personen um
einen Tisch setzen, die Portionen für jeden einzelnen um so kleiner werden.
Was ist es nun, was unsern Wohlstand in so hohem Maße hat wachsen
lassen, daß, trotz der gewaltige" Vermehrung der Bevölkerung, unser heutiges
Wohlleben mit dem Leben früherer Zeiten gar nicht zu vergleichen ist? Ohne
Zweifel ist es die herangewachsene Industrie. Sie erzeugt in großem Massen
wertvolle Güter, die teils unmittelbar, teils mittelbar unsern Wohlstand er¬
höhen, mittelbar dadurch, daß uns die Möglichkeit gewährt ist, gegen sie die
reichern Naturerzeugnisse andrer Länder einzutauschen. Dadurch allein ist es
gekommen, daß wir zur Zeit einen Wohlstand genießen, der die natürliche
Ausstattung unsers Landes weit überragt.

Wir haben uns also dnrch unsre Ausfuhrindustrie andre Länder gewisser¬
maßen wirtschaftlich dienstbar gemacht. Daß aber dieses Verhältnis andauert,
hängt von zweierlei ab: von nnserm Fleiß und von unsrer höhern Ge-
schicklichkeit.

Unsern Fleiß haben wir einigermaßen in der Hand, und bisher haben
wir es nicht daran fehlen lasse". Wollten wir aber darin nachlassen, so würde
die Folge sein, daß wir auch weniger Güter erzeugten, sowohl sür unsern
eignen Bedarf, als für die Ausführung in fremde Länder, und daß wir dem¬
entsprechend auch weniger gut leben könnten. Dies würde also z. B. eintreten,
wenn nach dem Begehren der Sozialdemokratie der achtstündige Arbeitstag ein¬
geführt würde. Nehmen wir an, daß bisher zehn Stunden gearbeitet worden
wäre, so würde die Einführung des achtstündigen Arbeitstages bedeuten, daß
fortan nur vier Fünftel der bisher erzeugten Güter geschaffen würden. Und
die Folge würde sein, daß eben so viel weniger Güter für unsern Lebens-
bedarf vorhanden wären. Diese Folge würde aber nicht etwa bloß die Ar¬
beitgeber, sondern in ganz gleichem Verhältnis auch die Arbeiter treffe".*)



Dieser Folge und ihren Nachteilen wollen sich aber die Sozialdemokraten selbst
durchaus uicht aussetzen; ihre Forderung geht dahin, daß die Arbeiter sür die acht¬
stündige Arbeit denselben Lohn erhalten wie bisher für die zehnstündige, und daß ferner so¬
viel Händen wehr Beschäftigung gewährt werde, als bei der verkürzten Arbeitszeit für die
Deuischlands wirtschaftliche Lage

Die natürliche Grundlage für den Wohlstand jedes Volkes bildet der
Grund und Boden seines Landes. Er ist gleichsam der gedeckte Tisch, auf
dem das Volk seine Nahrung findet. Auch die Industrie ist für die Stoffe,
die sie verarbeitet, in erster Linie uns den Boden ihres Landes angewiesen.
Deutschland ist nicht arm an fruchtbarem Gelände und an wertvollen Boden¬
schätzen. Aber es steht damit nicht in erster Linie. Südlicher gelegne Länder
haben eine größere Fruchtbarkeit; auch sind andre Länder noch reicher an
Mineralien. Die Fruchtbarkeit des Bodens hat man im Laufe dieses Jahr¬
hunderts durch bessere Bewirtschaftung wesentlich steigern gelernt. Aber während
dieser Zeit hat sich auch die Bevölkerung Deutschlands fast verdoppelt.
Nun ist es bekannt, daß, wenn sich noch einmal so viel Personen um
einen Tisch setzen, die Portionen für jeden einzelnen um so kleiner werden.
Was ist es nun, was unsern Wohlstand in so hohem Maße hat wachsen
lassen, daß, trotz der gewaltige» Vermehrung der Bevölkerung, unser heutiges
Wohlleben mit dem Leben früherer Zeiten gar nicht zu vergleichen ist? Ohne
Zweifel ist es die herangewachsene Industrie. Sie erzeugt in großem Massen
wertvolle Güter, die teils unmittelbar, teils mittelbar unsern Wohlstand er¬
höhen, mittelbar dadurch, daß uns die Möglichkeit gewährt ist, gegen sie die
reichern Naturerzeugnisse andrer Länder einzutauschen. Dadurch allein ist es
gekommen, daß wir zur Zeit einen Wohlstand genießen, der die natürliche
Ausstattung unsers Landes weit überragt.

Wir haben uns also dnrch unsre Ausfuhrindustrie andre Länder gewisser¬
maßen wirtschaftlich dienstbar gemacht. Daß aber dieses Verhältnis andauert,
hängt von zweierlei ab: von nnserm Fleiß und von unsrer höhern Ge-
schicklichkeit.

Unsern Fleiß haben wir einigermaßen in der Hand, und bisher haben
wir es nicht daran fehlen lasse». Wollten wir aber darin nachlassen, so würde
die Folge sein, daß wir auch weniger Güter erzeugten, sowohl sür unsern
eignen Bedarf, als für die Ausführung in fremde Länder, und daß wir dem¬
entsprechend auch weniger gut leben könnten. Dies würde also z. B. eintreten,
wenn nach dem Begehren der Sozialdemokratie der achtstündige Arbeitstag ein¬
geführt würde. Nehmen wir an, daß bisher zehn Stunden gearbeitet worden
wäre, so würde die Einführung des achtstündigen Arbeitstages bedeuten, daß
fortan nur vier Fünftel der bisher erzeugten Güter geschaffen würden. Und
die Folge würde sein, daß eben so viel weniger Güter für unsern Lebens-
bedarf vorhanden wären. Diese Folge würde aber nicht etwa bloß die Ar¬
beitgeber, sondern in ganz gleichem Verhältnis auch die Arbeiter treffe».*)



Dieser Folge und ihren Nachteilen wollen sich aber die Sozialdemokraten selbst
durchaus uicht aussetzen; ihre Forderung geht dahin, daß die Arbeiter sür die acht¬
stündige Arbeit denselben Lohn erhalten wie bisher für die zehnstündige, und daß ferner so¬
viel Händen wehr Beschäftigung gewährt werde, als bei der verkürzten Arbeitszeit für die
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[0276] Deuischlands wirtschaftliche Lage Die natürliche Grundlage für den Wohlstand jedes Volkes bildet der Grund und Boden seines Landes. Er ist gleichsam der gedeckte Tisch, auf dem das Volk seine Nahrung findet. Auch die Industrie ist für die Stoffe, die sie verarbeitet, in erster Linie uns den Boden ihres Landes angewiesen. Deutschland ist nicht arm an fruchtbarem Gelände und an wertvollen Boden¬ schätzen. Aber es steht damit nicht in erster Linie. Südlicher gelegne Länder haben eine größere Fruchtbarkeit; auch sind andre Länder noch reicher an Mineralien. Die Fruchtbarkeit des Bodens hat man im Laufe dieses Jahr¬ hunderts durch bessere Bewirtschaftung wesentlich steigern gelernt. Aber während dieser Zeit hat sich auch die Bevölkerung Deutschlands fast verdoppelt. Nun ist es bekannt, daß, wenn sich noch einmal so viel Personen um einen Tisch setzen, die Portionen für jeden einzelnen um so kleiner werden. Was ist es nun, was unsern Wohlstand in so hohem Maße hat wachsen lassen, daß, trotz der gewaltige» Vermehrung der Bevölkerung, unser heutiges Wohlleben mit dem Leben früherer Zeiten gar nicht zu vergleichen ist? Ohne Zweifel ist es die herangewachsene Industrie. Sie erzeugt in großem Massen wertvolle Güter, die teils unmittelbar, teils mittelbar unsern Wohlstand er¬ höhen, mittelbar dadurch, daß uns die Möglichkeit gewährt ist, gegen sie die reichern Naturerzeugnisse andrer Länder einzutauschen. Dadurch allein ist es gekommen, daß wir zur Zeit einen Wohlstand genießen, der die natürliche Ausstattung unsers Landes weit überragt. Wir haben uns also dnrch unsre Ausfuhrindustrie andre Länder gewisser¬ maßen wirtschaftlich dienstbar gemacht. Daß aber dieses Verhältnis andauert, hängt von zweierlei ab: von nnserm Fleiß und von unsrer höhern Ge- schicklichkeit. Unsern Fleiß haben wir einigermaßen in der Hand, und bisher haben wir es nicht daran fehlen lasse». Wollten wir aber darin nachlassen, so würde die Folge sein, daß wir auch weniger Güter erzeugten, sowohl sür unsern eignen Bedarf, als für die Ausführung in fremde Länder, und daß wir dem¬ entsprechend auch weniger gut leben könnten. Dies würde also z. B. eintreten, wenn nach dem Begehren der Sozialdemokratie der achtstündige Arbeitstag ein¬ geführt würde. Nehmen wir an, daß bisher zehn Stunden gearbeitet worden wäre, so würde die Einführung des achtstündigen Arbeitstages bedeuten, daß fortan nur vier Fünftel der bisher erzeugten Güter geschaffen würden. Und die Folge würde sein, daß eben so viel weniger Güter für unsern Lebens- bedarf vorhanden wären. Diese Folge würde aber nicht etwa bloß die Ar¬ beitgeber, sondern in ganz gleichem Verhältnis auch die Arbeiter treffe».*) Dieser Folge und ihren Nachteilen wollen sich aber die Sozialdemokraten selbst durchaus uicht aussetzen; ihre Forderung geht dahin, daß die Arbeiter sür die acht¬ stündige Arbeit denselben Lohn erhalten wie bisher für die zehnstündige, und daß ferner so¬ viel Händen wehr Beschäftigung gewährt werde, als bei der verkürzten Arbeitszeit für die

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/276>, abgerufen am 09.05.2024.