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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Zivil- und Strafrichter

Ob und wie dem Überstände, der diese Richter, um es schroff, aber dra¬
stisch auszudrücken, im wesentlichen zu Handlanger" der Staatsanwaltschaft
macht, abzuhelfen sei, will ich an dieser Stelle nicht erörtern. Aber auf eine
bedenkliche Erscheinung, die eine Folge dieses Übelstandes ist, möchte ich doch
hinweisen, weil sie zugleich beweist, wie -- wenn auch teilweise nur unklar - -
die jetzige Abgrenzung der Machtbefugnisse zwischen der Staatsanwaltschaft und
dem Amtsrichter für Requisitionen in Strafsachen als des Richterstandes nicht
recht würdig empfunden wird: ich meine die sowohl von den Staatsanwülten
als auch von den Strafkammern der Landgerichte, die als Beschwerdeinstanz
diesen Amtsrichtern übergeordnet sind, vielfach gemachte Erfahrung, daß die
Amtsrichter für Requisitionen, wenn sie von dem Bewußtsein der Würde ihres
richterlichen Amtes ganz besonders durchdrungen sind, also namentlich, wenn
sie, wie dies jn meist der Fall ist, noch jung im Amte sind, sehr leicht in den
Fehler verfallen^ auf dem einzigen Gebiete, auf dem sie ihre selbständige Stel¬
lung als Richter beweisen können, also namentlich auf dem Gebiete der Ab¬
lehnung von Haftbefehlen u. f. w., der Staatsanwaltschaft die allerseltsamsten
Schwierigkeiten zu bereiten, die in der Sache selbst keine Begründung finden
und sich nur psychologisch ans dem unbestimmten Gefühle einer unbefriedigender
Stellung erklären lassen.

Was sodann die Strafrichter des Landgerichts betrifft, so kann ja gewiß
nicht verkannt werden, daß die Thätigkeit, oder besser gesagt Unthätigkeit der
Beisitzer im Schwurgerichte keineswegs dazu führen kann, die Stellung des
Strafrichters angesehen und beliebt zu machen, aber es darf doch auf diese Er¬
wägung kein entscheidendes Gewicht gelegt werden. Es giebt viele Landgerichte
mit zwei und mehr Strafkammern, in denen der einzelne Strafrichter nicht
mehr als einmal jährlich auf vierzehn Tage bis drei Wochen im Schwur¬
gerichte als Beisitzer thätig zu sein das zweifelhafte Glück hat, und doch be¬
steht in diesen Gerichten bei den einigermaßen begabten und strebsamen Richtern
ebenfalls die Neigung, möglichst schnell in die Zivilkammer" zu gelangen. Die
wesentliche Thätigkeit des Strafrichters im Landgerichte ist und bleibt, ab¬
gesehn von dem Untersuchungsrichter, dessen Posten keineswegs gemieden wird,
die Beschäftigung in der Strafkammer, und hier, wo gerade das Laienelemeut
ganz fehlt, ist auch die Ursache, daß die Thätigkeit des Strafrichters im Land¬
gerichte so wenig beliebt ist. Wie kommt es, daß die Thätigkeit des Beisitzers
in der Strafkammer allgemein als eine untergeordnete gegenüber der Beschäf¬
tigung als Beisitzer in der Zivilkammer angesehn wird?

Es ist gewiß richtig, daß Strafrecht und Strafprozeß einer wissenschaft¬
lichen Behandlung nicht nur wert sind, sondern ihr auch ebenso bedürfen,
wie Zivilrecht und Zivilprozeß, und daß daher an sich die Stellung eines
Strafrichters schon vom rein juristische" Standpunkte ans eine durchaus cm-
gesehne Stellung sein sollte. Aber in der praktischen Behandlung der zu


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Zivil- und Strafrichter

Ob und wie dem Überstände, der diese Richter, um es schroff, aber dra¬
stisch auszudrücken, im wesentlichen zu Handlanger» der Staatsanwaltschaft
macht, abzuhelfen sei, will ich an dieser Stelle nicht erörtern. Aber auf eine
bedenkliche Erscheinung, die eine Folge dieses Übelstandes ist, möchte ich doch
hinweisen, weil sie zugleich beweist, wie — wenn auch teilweise nur unklar - -
die jetzige Abgrenzung der Machtbefugnisse zwischen der Staatsanwaltschaft und
dem Amtsrichter für Requisitionen in Strafsachen als des Richterstandes nicht
recht würdig empfunden wird: ich meine die sowohl von den Staatsanwülten
als auch von den Strafkammern der Landgerichte, die als Beschwerdeinstanz
diesen Amtsrichtern übergeordnet sind, vielfach gemachte Erfahrung, daß die
Amtsrichter für Requisitionen, wenn sie von dem Bewußtsein der Würde ihres
richterlichen Amtes ganz besonders durchdrungen sind, also namentlich, wenn
sie, wie dies jn meist der Fall ist, noch jung im Amte sind, sehr leicht in den
Fehler verfallen^ auf dem einzigen Gebiete, auf dem sie ihre selbständige Stel¬
lung als Richter beweisen können, also namentlich auf dem Gebiete der Ab¬
lehnung von Haftbefehlen u. f. w., der Staatsanwaltschaft die allerseltsamsten
Schwierigkeiten zu bereiten, die in der Sache selbst keine Begründung finden
und sich nur psychologisch ans dem unbestimmten Gefühle einer unbefriedigender
Stellung erklären lassen.

Was sodann die Strafrichter des Landgerichts betrifft, so kann ja gewiß
nicht verkannt werden, daß die Thätigkeit, oder besser gesagt Unthätigkeit der
Beisitzer im Schwurgerichte keineswegs dazu führen kann, die Stellung des
Strafrichters angesehen und beliebt zu machen, aber es darf doch auf diese Er¬
wägung kein entscheidendes Gewicht gelegt werden. Es giebt viele Landgerichte
mit zwei und mehr Strafkammern, in denen der einzelne Strafrichter nicht
mehr als einmal jährlich auf vierzehn Tage bis drei Wochen im Schwur¬
gerichte als Beisitzer thätig zu sein das zweifelhafte Glück hat, und doch be¬
steht in diesen Gerichten bei den einigermaßen begabten und strebsamen Richtern
ebenfalls die Neigung, möglichst schnell in die Zivilkammer« zu gelangen. Die
wesentliche Thätigkeit des Strafrichters im Landgerichte ist und bleibt, ab¬
gesehn von dem Untersuchungsrichter, dessen Posten keineswegs gemieden wird,
die Beschäftigung in der Strafkammer, und hier, wo gerade das Laienelemeut
ganz fehlt, ist auch die Ursache, daß die Thätigkeit des Strafrichters im Land¬
gerichte so wenig beliebt ist. Wie kommt es, daß die Thätigkeit des Beisitzers
in der Strafkammer allgemein als eine untergeordnete gegenüber der Beschäf¬
tigung als Beisitzer in der Zivilkammer angesehn wird?

Es ist gewiß richtig, daß Strafrecht und Strafprozeß einer wissenschaft¬
lichen Behandlung nicht nur wert sind, sondern ihr auch ebenso bedürfen,
wie Zivilrecht und Zivilprozeß, und daß daher an sich die Stellung eines
Strafrichters schon vom rein juristische» Standpunkte ans eine durchaus cm-
gesehne Stellung sein sollte. Aber in der praktischen Behandlung der zu


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[0283] Zivil- und Strafrichter Ob und wie dem Überstände, der diese Richter, um es schroff, aber dra¬ stisch auszudrücken, im wesentlichen zu Handlanger» der Staatsanwaltschaft macht, abzuhelfen sei, will ich an dieser Stelle nicht erörtern. Aber auf eine bedenkliche Erscheinung, die eine Folge dieses Übelstandes ist, möchte ich doch hinweisen, weil sie zugleich beweist, wie — wenn auch teilweise nur unklar - - die jetzige Abgrenzung der Machtbefugnisse zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Amtsrichter für Requisitionen in Strafsachen als des Richterstandes nicht recht würdig empfunden wird: ich meine die sowohl von den Staatsanwülten als auch von den Strafkammern der Landgerichte, die als Beschwerdeinstanz diesen Amtsrichtern übergeordnet sind, vielfach gemachte Erfahrung, daß die Amtsrichter für Requisitionen, wenn sie von dem Bewußtsein der Würde ihres richterlichen Amtes ganz besonders durchdrungen sind, also namentlich, wenn sie, wie dies jn meist der Fall ist, noch jung im Amte sind, sehr leicht in den Fehler verfallen^ auf dem einzigen Gebiete, auf dem sie ihre selbständige Stel¬ lung als Richter beweisen können, also namentlich auf dem Gebiete der Ab¬ lehnung von Haftbefehlen u. f. w., der Staatsanwaltschaft die allerseltsamsten Schwierigkeiten zu bereiten, die in der Sache selbst keine Begründung finden und sich nur psychologisch ans dem unbestimmten Gefühle einer unbefriedigender Stellung erklären lassen. Was sodann die Strafrichter des Landgerichts betrifft, so kann ja gewiß nicht verkannt werden, daß die Thätigkeit, oder besser gesagt Unthätigkeit der Beisitzer im Schwurgerichte keineswegs dazu führen kann, die Stellung des Strafrichters angesehen und beliebt zu machen, aber es darf doch auf diese Er¬ wägung kein entscheidendes Gewicht gelegt werden. Es giebt viele Landgerichte mit zwei und mehr Strafkammern, in denen der einzelne Strafrichter nicht mehr als einmal jährlich auf vierzehn Tage bis drei Wochen im Schwur¬ gerichte als Beisitzer thätig zu sein das zweifelhafte Glück hat, und doch be¬ steht in diesen Gerichten bei den einigermaßen begabten und strebsamen Richtern ebenfalls die Neigung, möglichst schnell in die Zivilkammer« zu gelangen. Die wesentliche Thätigkeit des Strafrichters im Landgerichte ist und bleibt, ab¬ gesehn von dem Untersuchungsrichter, dessen Posten keineswegs gemieden wird, die Beschäftigung in der Strafkammer, und hier, wo gerade das Laienelemeut ganz fehlt, ist auch die Ursache, daß die Thätigkeit des Strafrichters im Land¬ gerichte so wenig beliebt ist. Wie kommt es, daß die Thätigkeit des Beisitzers in der Strafkammer allgemein als eine untergeordnete gegenüber der Beschäf¬ tigung als Beisitzer in der Zivilkammer angesehn wird? Es ist gewiß richtig, daß Strafrecht und Strafprozeß einer wissenschaft¬ lichen Behandlung nicht nur wert sind, sondern ihr auch ebenso bedürfen, wie Zivilrecht und Zivilprozeß, und daß daher an sich die Stellung eines Strafrichters schon vom rein juristische» Standpunkte ans eine durchaus cm- gesehne Stellung sein sollte. Aber in der praktischen Behandlung der zu Grnizboten 1 5!5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/283>, abgerufen am 14.05.2024.