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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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hat 1870 den Krieg gewollt, sondern eine Minderheit, aber diese Minderheit gab
den Ausschlag, und nicht nur sie, ja sie vielleicht am wenigsten, hat dafür gebüßt,
sondern das ganze französische Volk. Die schweren Vorwürfe, die sich in der
Reformationszeit gegen die sittliche Haltung der katholischen Geistlichkeit rich¬
teten, trafen gewiß sehr viele unverdient, und doch hat die Vergeltung den
ganzen Stand ereilt. In beiden Fällen mit Recht, denn wenn die Gesamtheit
Vorteile zieht von den hervorragenden Eigenschaften und Leistungen einzelner
Mitglieder, so ist es auch billig, daß sie die Folgen ihrer Sünden trägt. Die
Juden rechnen sich doch die Verdienste eines Spinoza und Mendelssohn zum
Ruhme an, da mögen sie auch die Schmach der Schurkenstreiche eines Herz,
Arton und Reinach tragen. Es giebt nur ein Mittel, sich dem zu entziehen:
die Ausstoßung solcher rändigen Schafe, die energische Lossagung von ihnen.
Aber in der jüdischen Presse ist davon herzlich wenig zu sehen. Der zweite Satz
ist der, daß nicht die Abkunft oder "Rasse" über die politischen Rechte u. tgi.
entscheiden dürfe. Das darf und muß sie aber ganz gewiß und hat es mich
immer gethan, nur weichlicher Humanitätsdusel kann das verkennen. Es ist im
christlichen Mittelalter den Deutschen, die die Slawen und Littauer unter¬
warfen, nicht im Traume eingefallen -- wenige Ausnahmen abgerechnet--,
den Besiegten gleiche politische Rechte zu gewähren, obwohl diese doch das
Christentum annahmen und arischer Nasse waren, und um bei der neuesten
Zeit zu bleiben, es wird auch dem begeistertsten Lobredner der "Humanität"
nicht in den Sinn kommen, unsre afrikanischen Neger oder auch nnr die dortigen
doch viel höher stehenden Araber als gleichberechtigte Neichsgenossen anzuer¬
kennen. In Nordamerika ist die farbige Bevölkerung seit etwa dreißig Jahren
befreit und spricht längst englisch, aber von einer thatsächlichen Gleichberech¬
tigung mit den Weißen ist bekanntlich gar keine Rede, und den Chinesen, die
schon zu vielen Tausenden in Kalifornien leben, die Bürgerrechte einzuräumen,
daran denken die freien Amerikaner gar nicht, einfach deshalb nicht, weil sie
wissen, daß sonst in wenigen Jahrzehnten die Staaten am Großen Ozean
chinesisch sein würden. Solange die natürlichen Unterschiede in der Menschheit
dauern, so lange wird es keine politische Gleichberechtigung aller Menschen geben.

Nun sind allerdings die europäischen Juden keine Neger und keine Mon¬
golen, sie leben seit vielen Jahrhunderten unter uns, haben ihre eigne Sprache
längst verlernt und sich die Sprachen der Völker, unter denen sie leben, an¬
geeignet, sie haben die politische Gleichberechtigung erlaugt, und viele von ihnen
sind in den Geist unsrer europäischen, d. h. christlichen Kultur ehrlich ein¬
gegangen. Aber die ungeheure Mehrzahl ist jüdisch geblieben, und zwar keines¬
wegs nur der Religion nach. Die Emanzipation der Juden beruht auf der
ersten Voraussetzung, daß sie in uns aufgehen, nicht auf der zweiten, daß sie etwas
besondres über uns sein wollen, und am allerwenigsten hat sie der jüdischen


(^uiäcMtl äslirant rsZös, pisotuntur ^.«zlüvi. Nicht die gesamte französische Nation
hat 1870 den Krieg gewollt, sondern eine Minderheit, aber diese Minderheit gab
den Ausschlag, und nicht nur sie, ja sie vielleicht am wenigsten, hat dafür gebüßt,
sondern das ganze französische Volk. Die schweren Vorwürfe, die sich in der
Reformationszeit gegen die sittliche Haltung der katholischen Geistlichkeit rich¬
teten, trafen gewiß sehr viele unverdient, und doch hat die Vergeltung den
ganzen Stand ereilt. In beiden Fällen mit Recht, denn wenn die Gesamtheit
Vorteile zieht von den hervorragenden Eigenschaften und Leistungen einzelner
Mitglieder, so ist es auch billig, daß sie die Folgen ihrer Sünden trägt. Die
Juden rechnen sich doch die Verdienste eines Spinoza und Mendelssohn zum
Ruhme an, da mögen sie auch die Schmach der Schurkenstreiche eines Herz,
Arton und Reinach tragen. Es giebt nur ein Mittel, sich dem zu entziehen:
die Ausstoßung solcher rändigen Schafe, die energische Lossagung von ihnen.
Aber in der jüdischen Presse ist davon herzlich wenig zu sehen. Der zweite Satz
ist der, daß nicht die Abkunft oder „Rasse" über die politischen Rechte u. tgi.
entscheiden dürfe. Das darf und muß sie aber ganz gewiß und hat es mich
immer gethan, nur weichlicher Humanitätsdusel kann das verkennen. Es ist im
christlichen Mittelalter den Deutschen, die die Slawen und Littauer unter¬
warfen, nicht im Traume eingefallen — wenige Ausnahmen abgerechnet—,
den Besiegten gleiche politische Rechte zu gewähren, obwohl diese doch das
Christentum annahmen und arischer Nasse waren, und um bei der neuesten
Zeit zu bleiben, es wird auch dem begeistertsten Lobredner der „Humanität"
nicht in den Sinn kommen, unsre afrikanischen Neger oder auch nnr die dortigen
doch viel höher stehenden Araber als gleichberechtigte Neichsgenossen anzuer¬
kennen. In Nordamerika ist die farbige Bevölkerung seit etwa dreißig Jahren
befreit und spricht längst englisch, aber von einer thatsächlichen Gleichberech¬
tigung mit den Weißen ist bekanntlich gar keine Rede, und den Chinesen, die
schon zu vielen Tausenden in Kalifornien leben, die Bürgerrechte einzuräumen,
daran denken die freien Amerikaner gar nicht, einfach deshalb nicht, weil sie
wissen, daß sonst in wenigen Jahrzehnten die Staaten am Großen Ozean
chinesisch sein würden. Solange die natürlichen Unterschiede in der Menschheit
dauern, so lange wird es keine politische Gleichberechtigung aller Menschen geben.

Nun sind allerdings die europäischen Juden keine Neger und keine Mon¬
golen, sie leben seit vielen Jahrhunderten unter uns, haben ihre eigne Sprache
längst verlernt und sich die Sprachen der Völker, unter denen sie leben, an¬
geeignet, sie haben die politische Gleichberechtigung erlaugt, und viele von ihnen
sind in den Geist unsrer europäischen, d. h. christlichen Kultur ehrlich ein¬
gegangen. Aber die ungeheure Mehrzahl ist jüdisch geblieben, und zwar keines¬
wegs nur der Religion nach. Die Emanzipation der Juden beruht auf der
ersten Voraussetzung, daß sie in uns aufgehen, nicht auf der zweiten, daß sie etwas
besondres über uns sein wollen, und am allerwenigsten hat sie der jüdischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/316>, abgerufen am 12.05.2024.