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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Bibelrevision und Bibelübersetzung

treue Wiedergabe des Sinnes in gutem, verstündlichem Deutsch, der Übersetzer
muß es auch verstehen, die Poesie der Bibel wiederzugeben, wie es Luther,
der selbst ein Dichter von Gottes Gnaden war, in einziger Weise verstanden
hat. Auch in dieser Beziehung läßt die neue Übersetzung, soweit man es bis
jetzt beurteilen kann, nichts zu wünschen übrig. Als Probe mag eine Stelle
aus dem Propheten Jescna dienen. Jesaia weissagt im 14. Kapitel den Unter¬
gang Babels durch die Meder. Von großartiger Schönheit ist die Schilde¬
rung von dem Sturze des babylonischen Königs. In unsrer Übersetzung heißt
es da:

Dann aber, wenn dir Jahve Ruhe verliehen hat von deiner Qual und Un¬
ruhe und der harten Knechtschaft, zu der dn geknechtet wurdest, wirst du dieses
Spottlied auf den König von Babel anstimmen und sprechen:

Wie hat der Bedrücker geendet, geendet die Mißhandlung! Zerbrochen hat
Jahve den Stab der Gottlosen, den Stock des Tyrannen, der Nationen im Grimme
schlug mit unaufhörlichem Schlagen, der Völker im Zorn unterjochte mit schonungs¬
loser Unterjochung. Es ruhet, es rastet die ganze Welt: sie brechen in Jubel aus!
Selbst die Cypressen haben ihre Schadenfreude über dich, die Cedern des Libanon:
Seitdem du daliegst, steigt keiner mehr zu uns herauf, um uns zu fällen. Die
Unterwelt drunten geriet deinetwegen in Aufruhr, deiner Ankunft entgegen; sie
jagte um deinetwillen die Schatten auf, alle Führer der Erde, ließ von ihren
Thronen aufstehen alle Könige der Völker. Sie alle heben an und sprechen zu
dir: Auch du bist schwach geworden wie wir, bist uns gleich geworden? In die
Unterwelt ist dein Stolz hinabgestürzt, das Rauschen deiner Harfen. Unter dir ist
Verwesung ausgebreitet, und Würmer sind deine Decke. Wie bist du vom Himmel
gefallen, du strahlender Morgenstern! Wie bist du zu Voden gehauen, der du Völker
niederstrecktest! Du freilich gedachtest bei dir: Zum Himmel will ich emporsteigen,
hoch über die Sterne Gottes empor will ich meinen Thron setzen und auf dem
Götterberge mich niederlassen im äußersten Norden. Ich will zu Wvlkeuhöhen
emporsteigen, dem Höchsten mich gleichstellen! Aber in die Unterwelt wirst dn hinab¬
gestürzt, in die tiefunterste Grube!

Unsre Nachkommen mögen getrost hebräisch studiren und alles besser
mache", hat Luther gesagt. Es hat lange gewährt, bis sich dieser Wunsch er¬
füllt hat. Aber ob man nun die alte Lutherbibel verbessert oder eine neue
Bibelübersetzung herstellt, beides kann nur glücken, wenn es im Sinn und
Geiste Luthers geschieht, der ein- für allemal den Weg zu einer guten Ver¬
deutschung der Bibel gezeigt hat.




Bibelrevision und Bibelübersetzung

treue Wiedergabe des Sinnes in gutem, verstündlichem Deutsch, der Übersetzer
muß es auch verstehen, die Poesie der Bibel wiederzugeben, wie es Luther,
der selbst ein Dichter von Gottes Gnaden war, in einziger Weise verstanden
hat. Auch in dieser Beziehung läßt die neue Übersetzung, soweit man es bis
jetzt beurteilen kann, nichts zu wünschen übrig. Als Probe mag eine Stelle
aus dem Propheten Jescna dienen. Jesaia weissagt im 14. Kapitel den Unter¬
gang Babels durch die Meder. Von großartiger Schönheit ist die Schilde¬
rung von dem Sturze des babylonischen Königs. In unsrer Übersetzung heißt
es da:

Dann aber, wenn dir Jahve Ruhe verliehen hat von deiner Qual und Un¬
ruhe und der harten Knechtschaft, zu der dn geknechtet wurdest, wirst du dieses
Spottlied auf den König von Babel anstimmen und sprechen:

Wie hat der Bedrücker geendet, geendet die Mißhandlung! Zerbrochen hat
Jahve den Stab der Gottlosen, den Stock des Tyrannen, der Nationen im Grimme
schlug mit unaufhörlichem Schlagen, der Völker im Zorn unterjochte mit schonungs¬
loser Unterjochung. Es ruhet, es rastet die ganze Welt: sie brechen in Jubel aus!
Selbst die Cypressen haben ihre Schadenfreude über dich, die Cedern des Libanon:
Seitdem du daliegst, steigt keiner mehr zu uns herauf, um uns zu fällen. Die
Unterwelt drunten geriet deinetwegen in Aufruhr, deiner Ankunft entgegen; sie
jagte um deinetwillen die Schatten auf, alle Führer der Erde, ließ von ihren
Thronen aufstehen alle Könige der Völker. Sie alle heben an und sprechen zu
dir: Auch du bist schwach geworden wie wir, bist uns gleich geworden? In die
Unterwelt ist dein Stolz hinabgestürzt, das Rauschen deiner Harfen. Unter dir ist
Verwesung ausgebreitet, und Würmer sind deine Decke. Wie bist du vom Himmel
gefallen, du strahlender Morgenstern! Wie bist du zu Voden gehauen, der du Völker
niederstrecktest! Du freilich gedachtest bei dir: Zum Himmel will ich emporsteigen,
hoch über die Sterne Gottes empor will ich meinen Thron setzen und auf dem
Götterberge mich niederlassen im äußersten Norden. Ich will zu Wvlkeuhöhen
emporsteigen, dem Höchsten mich gleichstellen! Aber in die Unterwelt wirst dn hinab¬
gestürzt, in die tiefunterste Grube!

Unsre Nachkommen mögen getrost hebräisch studiren und alles besser
mache», hat Luther gesagt. Es hat lange gewährt, bis sich dieser Wunsch er¬
füllt hat. Aber ob man nun die alte Lutherbibel verbessert oder eine neue
Bibelübersetzung herstellt, beides kann nur glücken, wenn es im Sinn und
Geiste Luthers geschieht, der ein- für allemal den Weg zu einer guten Ver¬
deutschung der Bibel gezeigt hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/329>, abgerufen am 14.05.2024.