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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

Gründen des besondern Nachdrucks, des Wvhlklcings (z. B. um das Aufein¬
anderstoßen zweier sich zu vermeiden) oder dadurch, daß im Satze mehrere
Zeitwörter erscheinen, von denen nur eins das persönliche Fürwort hat. Aber
die Regel steht fest. Sie findet ihre natürliche Begründung in einem Haupt¬
gebote der Satzbaukunst: den Hörer oder Leser mit Hilfe des Satzbaus so bald
als möglich aufzuklären. Wird das sich möglichst weit vorangestellt, so dient
es wesentlich zur Aufklärung, insofern es das später folgende Zeitwort schon
halb erraten läßt. So sagt und schreibt denn auch jedermann: wir haben
uns in deu Garten begeben -- wir haben uns trotz des unfreundlichen
Wetters in den Garten begeben -- wir haben uns sofort nach der Ankunft
trotz des schlechten Wetters in den Garten begeben. Es mögen noch so viele
Bestandteile eingeschoben werden: das uns wird immer an die Spitze gestellt.
Kein Mensch sagt: wir haben in den Garten uns begeben -- ich werde in
nächster Zeit ins Ausland mich verfügen. Aber bei sich möchte man durch¬
aus eine Ausnahme machen; da heißt es: der Reichskanzler hat zur Kur nach
Karlsbad sich begeben -- die Abgeordneten haben einmütig dahin sich aus¬
gesprochen. Das ist eine grobe Verletzung des Sprachgefühls.

Wie verhält sich der Entwurf dazu? Planlos. Bald erscheint das sich
vorn, also am richtigen Platze, bald ganz hinten; aber auch mitten im Satze.
In Z 1160 findet es sich einmal ganz vorn, zweimal ganz hinten, einmal
mitten drin. In 365 heißt es richtig: sich in Verzug befinden, in der
Anmerkung dazu unrichtig: in Verzug der Annahme sich befinden. Als ob
jemals ein Mensch sagte: ich,habe in Verzug der Annahme mich befunden!
Ausnahmslos falsch gestellt ist das sich in der stehenden Wendung: "soweit
nicht aus dem Gesetze ein Anderes sich ergiebt." In 589 heißt es: "hat
er eines Gehilfen sich bedient"; in 8 ^62: "soweit die Urkunden in seinen
Händen sich befinden"; in 8 1675: "eine solche Ermächtigung soll ertheilt
werden, wenn sie als erforderlich sich ergiebt." Es ist jedesmal, als ob man
über einen Stein stolperte, deun jedesmal hat man ein andres Zeitwort er¬
wartet. Auch bringt die Verschiebung des sich eine falsche Betonung hervor,
insofern seine Zusammenstellung mit dem Zeitworte dazu verleitet, dieses Zeit¬
wort zu betonen.

Oster weist der Entwurf die Verschmelzung im, am, zum, vom u. s. w.
auf, wo sie nicht am Platze ist, während er sie an vielen ander" Stellen, wo
sie angewendet werden müßte, vermissen läßt.

In 8 1692 heißt es: "Der Vater sowie die eheliche Mutter des Kindes
können anordnen"; in § 1696: "Der Vormund sowie der Gegenvormuud
haftet" u. s. w. Aber nur die Einzahl im Zeitwort ist hier richtig. Falsch ist die
Einzahl dagegen in § 1328 Abs. 4: "Ist der Rechtsstreit wegen Aufhebung
der ehelichen Nutznießung und Verwaltung und der die Anfechtung des Ent-
mündigungsverfahrens betreffende Rechtsstreit gleichzeitig anhängig." Ist


Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

Gründen des besondern Nachdrucks, des Wvhlklcings (z. B. um das Aufein¬
anderstoßen zweier sich zu vermeiden) oder dadurch, daß im Satze mehrere
Zeitwörter erscheinen, von denen nur eins das persönliche Fürwort hat. Aber
die Regel steht fest. Sie findet ihre natürliche Begründung in einem Haupt¬
gebote der Satzbaukunst: den Hörer oder Leser mit Hilfe des Satzbaus so bald
als möglich aufzuklären. Wird das sich möglichst weit vorangestellt, so dient
es wesentlich zur Aufklärung, insofern es das später folgende Zeitwort schon
halb erraten läßt. So sagt und schreibt denn auch jedermann: wir haben
uns in deu Garten begeben — wir haben uns trotz des unfreundlichen
Wetters in den Garten begeben — wir haben uns sofort nach der Ankunft
trotz des schlechten Wetters in den Garten begeben. Es mögen noch so viele
Bestandteile eingeschoben werden: das uns wird immer an die Spitze gestellt.
Kein Mensch sagt: wir haben in den Garten uns begeben — ich werde in
nächster Zeit ins Ausland mich verfügen. Aber bei sich möchte man durch¬
aus eine Ausnahme machen; da heißt es: der Reichskanzler hat zur Kur nach
Karlsbad sich begeben — die Abgeordneten haben einmütig dahin sich aus¬
gesprochen. Das ist eine grobe Verletzung des Sprachgefühls.

Wie verhält sich der Entwurf dazu? Planlos. Bald erscheint das sich
vorn, also am richtigen Platze, bald ganz hinten; aber auch mitten im Satze.
In Z 1160 findet es sich einmal ganz vorn, zweimal ganz hinten, einmal
mitten drin. In 365 heißt es richtig: sich in Verzug befinden, in der
Anmerkung dazu unrichtig: in Verzug der Annahme sich befinden. Als ob
jemals ein Mensch sagte: ich,habe in Verzug der Annahme mich befunden!
Ausnahmslos falsch gestellt ist das sich in der stehenden Wendung: „soweit
nicht aus dem Gesetze ein Anderes sich ergiebt." In 589 heißt es: „hat
er eines Gehilfen sich bedient"; in 8 ^62: „soweit die Urkunden in seinen
Händen sich befinden"; in 8 1675: „eine solche Ermächtigung soll ertheilt
werden, wenn sie als erforderlich sich ergiebt." Es ist jedesmal, als ob man
über einen Stein stolperte, deun jedesmal hat man ein andres Zeitwort er¬
wartet. Auch bringt die Verschiebung des sich eine falsche Betonung hervor,
insofern seine Zusammenstellung mit dem Zeitworte dazu verleitet, dieses Zeit¬
wort zu betonen.

Oster weist der Entwurf die Verschmelzung im, am, zum, vom u. s. w.
auf, wo sie nicht am Platze ist, während er sie an vielen ander» Stellen, wo
sie angewendet werden müßte, vermissen läßt.

In 8 1692 heißt es: „Der Vater sowie die eheliche Mutter des Kindes
können anordnen"; in § 1696: „Der Vormund sowie der Gegenvormuud
haftet" u. s. w. Aber nur die Einzahl im Zeitwort ist hier richtig. Falsch ist die
Einzahl dagegen in § 1328 Abs. 4: „Ist der Rechtsstreit wegen Aufhebung
der ehelichen Nutznießung und Verwaltung und der die Anfechtung des Ent-
mündigungsverfahrens betreffende Rechtsstreit gleichzeitig anhängig." Ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/44>, abgerufen am 13.05.2024.