Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wie Ludwig Pietsch Schriftsteller wurde

gepriesen und verteidigt und ihm mit zu einem Siege verholfen hat, der heute
freilich schou vergessen ist. Makarts Kunst ist mit ihm selbst gestorben; aber
der unverwüstliche Optimismus, der die Erinnerungen von Ludwig Pietsch zu
einer so erquicklichen Lektüre macht, wird ihren Verfasser auch über diese Ent-
täuschung, die übrigens seinem guten Herzen und seiner Begeisterung Ehre
macht, längst hinweggeholfen haben.

Daß die Begeisterung des Menschen bester Teil ist, lehren uns seine Er¬
innerungen in jeder Zeile, in jedem Bilde, das er von einem der merkwürdigen
Menschen gezeichnet hat, mit denen er zusammengetroffen oder in Verkehr ge¬
treten ist. Bei solchen Charakterzeichuungen ist kritiklose, jugendliche Begeiste¬
rung für den besonnenen Leser und noch mehr für den Kulturhistoriker wert¬
voller, als eine kritische Analyse, bei der vielleicht Mißgunst, Neid, Gering¬
schätzung und Haß mitgewirkt haben. Ein enthusiastisch übertriebnes Bild
kann von dem kühler denkenden auf seiue richtigen Konturen zurückgeführt
werden, nicht aber ein durch Neid und Haß entstelltes.

Der junge Künstler, der zu Ende der vierziger Jahre ohne die geringste
materielle Grundlage, nur im Vertrauen auf die Verwertung seiner künstle¬
rischen Gaben eine Ehe geschlossen hatte, war in heißem Ringen um das täg¬
liche Brot, in der unaufhörlichen Jagd nach einem bescheidnen Erwerb darauf
angewiesen, jede Aufgabe anzunehmen, wie lustig auch die dabei gestelltem Be¬
dingungen, wie geringfügig auch das zu erwartende Honorar sein mochte.
Dabei hatte er noch das niederdrückende Gefühl, daß seiue technische Ausbil¬
dung seinen Absichten auch nicht entfernt entsprach, daß seine Hand dem
Schwunge der Phantasie nicht zu folgen vermochte, und daß sich bei seiner
Lebenslage und unter den damaligen künstlerischen Verhältnissen Berlins ihm
auch keine Aussicht eröffnete, daß er jemals die technischen Schwierigkeiten
überwinden würde. Vielleicht täuschte er sich auch selbst über seiue Begabung.
Zu einer wirklich schöpferischen Thätigkeit uns künstlerischem Gebiete ist er nie¬
mals gelaugt, wenigstens nicht vor der Öffentlichkeit, und auch in späterer Zeit,
als sein gesegneter schriftstellerischer Erwerb längst die Sorgen von seiner
Thür gescheucht hatte, ist er nur gewesen, was er im Anfange seiner Laufbahn
war: ein Zeichner und Illustrator mit nicht sehr umfangreichen Ausdrncks-
mitteln, ein Künstler, der das, was er mit leiblichen oder geistigen Augen ge¬
sehen hatte, mit der liebenswürdigen Galanterie wiedergab, die eine der
Haupteigenschaften des Schriftstellers geworden und geblieben ist.

Bei der Beurteilung seiner künstlerischen Anlagen und Leistungen, bei der
wir ohnehin schon den von der neuesten Zeit gebotnen Maßstab angelegt haben,
darf man übrigens nicht vergessen, daß Pietsch, anch wenn er nicht fast gänzlich
Autodidakt gewesen wäre, zu Anfang der fünfziger Jahre jede reproduzirende
Technik gleichsam auf eigne Hand von neuem zu erfinden oder doch für die
gestellten Aufgaben geschmeidig zu machen hatte. Er selbst erzählt uns


Wie Ludwig Pietsch Schriftsteller wurde

gepriesen und verteidigt und ihm mit zu einem Siege verholfen hat, der heute
freilich schou vergessen ist. Makarts Kunst ist mit ihm selbst gestorben; aber
der unverwüstliche Optimismus, der die Erinnerungen von Ludwig Pietsch zu
einer so erquicklichen Lektüre macht, wird ihren Verfasser auch über diese Ent-
täuschung, die übrigens seinem guten Herzen und seiner Begeisterung Ehre
macht, längst hinweggeholfen haben.

Daß die Begeisterung des Menschen bester Teil ist, lehren uns seine Er¬
innerungen in jeder Zeile, in jedem Bilde, das er von einem der merkwürdigen
Menschen gezeichnet hat, mit denen er zusammengetroffen oder in Verkehr ge¬
treten ist. Bei solchen Charakterzeichuungen ist kritiklose, jugendliche Begeiste¬
rung für den besonnenen Leser und noch mehr für den Kulturhistoriker wert¬
voller, als eine kritische Analyse, bei der vielleicht Mißgunst, Neid, Gering¬
schätzung und Haß mitgewirkt haben. Ein enthusiastisch übertriebnes Bild
kann von dem kühler denkenden auf seiue richtigen Konturen zurückgeführt
werden, nicht aber ein durch Neid und Haß entstelltes.

Der junge Künstler, der zu Ende der vierziger Jahre ohne die geringste
materielle Grundlage, nur im Vertrauen auf die Verwertung seiner künstle¬
rischen Gaben eine Ehe geschlossen hatte, war in heißem Ringen um das täg¬
liche Brot, in der unaufhörlichen Jagd nach einem bescheidnen Erwerb darauf
angewiesen, jede Aufgabe anzunehmen, wie lustig auch die dabei gestelltem Be¬
dingungen, wie geringfügig auch das zu erwartende Honorar sein mochte.
Dabei hatte er noch das niederdrückende Gefühl, daß seiue technische Ausbil¬
dung seinen Absichten auch nicht entfernt entsprach, daß seine Hand dem
Schwunge der Phantasie nicht zu folgen vermochte, und daß sich bei seiner
Lebenslage und unter den damaligen künstlerischen Verhältnissen Berlins ihm
auch keine Aussicht eröffnete, daß er jemals die technischen Schwierigkeiten
überwinden würde. Vielleicht täuschte er sich auch selbst über seiue Begabung.
Zu einer wirklich schöpferischen Thätigkeit uns künstlerischem Gebiete ist er nie¬
mals gelaugt, wenigstens nicht vor der Öffentlichkeit, und auch in späterer Zeit,
als sein gesegneter schriftstellerischer Erwerb längst die Sorgen von seiner
Thür gescheucht hatte, ist er nur gewesen, was er im Anfange seiner Laufbahn
war: ein Zeichner und Illustrator mit nicht sehr umfangreichen Ausdrncks-
mitteln, ein Künstler, der das, was er mit leiblichen oder geistigen Augen ge¬
sehen hatte, mit der liebenswürdigen Galanterie wiedergab, die eine der
Haupteigenschaften des Schriftstellers geworden und geblieben ist.

Bei der Beurteilung seiner künstlerischen Anlagen und Leistungen, bei der
wir ohnehin schon den von der neuesten Zeit gebotnen Maßstab angelegt haben,
darf man übrigens nicht vergessen, daß Pietsch, anch wenn er nicht fast gänzlich
Autodidakt gewesen wäre, zu Anfang der fünfziger Jahre jede reproduzirende
Technik gleichsam auf eigne Hand von neuem zu erfinden oder doch für die
gestellten Aufgaben geschmeidig zu machen hatte. Er selbst erzählt uns


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214234"/>
          <fw type="header" place="top"> Wie Ludwig Pietsch Schriftsteller wurde</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1492" prev="#ID_1491"> gepriesen und verteidigt und ihm mit zu einem Siege verholfen hat, der heute<lb/>
freilich schou vergessen ist. Makarts Kunst ist mit ihm selbst gestorben; aber<lb/>
der unverwüstliche Optimismus, der die Erinnerungen von Ludwig Pietsch zu<lb/>
einer so erquicklichen Lektüre macht, wird ihren Verfasser auch über diese Ent-<lb/>
täuschung, die übrigens seinem guten Herzen und seiner Begeisterung Ehre<lb/>
macht, längst hinweggeholfen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1493"> Daß die Begeisterung des Menschen bester Teil ist, lehren uns seine Er¬<lb/>
innerungen in jeder Zeile, in jedem Bilde, das er von einem der merkwürdigen<lb/>
Menschen gezeichnet hat, mit denen er zusammengetroffen oder in Verkehr ge¬<lb/>
treten ist. Bei solchen Charakterzeichuungen ist kritiklose, jugendliche Begeiste¬<lb/>
rung für den besonnenen Leser und noch mehr für den Kulturhistoriker wert¬<lb/>
voller, als eine kritische Analyse, bei der vielleicht Mißgunst, Neid, Gering¬<lb/>
schätzung und Haß mitgewirkt haben. Ein enthusiastisch übertriebnes Bild<lb/>
kann von dem kühler denkenden auf seiue richtigen Konturen zurückgeführt<lb/>
werden, nicht aber ein durch Neid und Haß entstelltes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1494"> Der junge Künstler, der zu Ende der vierziger Jahre ohne die geringste<lb/>
materielle Grundlage, nur im Vertrauen auf die Verwertung seiner künstle¬<lb/>
rischen Gaben eine Ehe geschlossen hatte, war in heißem Ringen um das täg¬<lb/>
liche Brot, in der unaufhörlichen Jagd nach einem bescheidnen Erwerb darauf<lb/>
angewiesen, jede Aufgabe anzunehmen, wie lustig auch die dabei gestelltem Be¬<lb/>
dingungen, wie geringfügig auch das zu erwartende Honorar sein mochte.<lb/>
Dabei hatte er noch das niederdrückende Gefühl, daß seiue technische Ausbil¬<lb/>
dung seinen Absichten auch nicht entfernt entsprach, daß seine Hand dem<lb/>
Schwunge der Phantasie nicht zu folgen vermochte, und daß sich bei seiner<lb/>
Lebenslage und unter den damaligen künstlerischen Verhältnissen Berlins ihm<lb/>
auch keine Aussicht eröffnete, daß er jemals die technischen Schwierigkeiten<lb/>
überwinden würde. Vielleicht täuschte er sich auch selbst über seiue Begabung.<lb/>
Zu einer wirklich schöpferischen Thätigkeit uns künstlerischem Gebiete ist er nie¬<lb/>
mals gelaugt, wenigstens nicht vor der Öffentlichkeit, und auch in späterer Zeit,<lb/>
als sein gesegneter schriftstellerischer Erwerb längst die Sorgen von seiner<lb/>
Thür gescheucht hatte, ist er nur gewesen, was er im Anfange seiner Laufbahn<lb/>
war: ein Zeichner und Illustrator mit nicht sehr umfangreichen Ausdrncks-<lb/>
mitteln, ein Künstler, der das, was er mit leiblichen oder geistigen Augen ge¬<lb/>
sehen hatte, mit der liebenswürdigen Galanterie wiedergab, die eine der<lb/>
Haupteigenschaften des Schriftstellers geworden und geblieben ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1495" next="#ID_1496"> Bei der Beurteilung seiner künstlerischen Anlagen und Leistungen, bei der<lb/>
wir ohnehin schon den von der neuesten Zeit gebotnen Maßstab angelegt haben,<lb/>
darf man übrigens nicht vergessen, daß Pietsch, anch wenn er nicht fast gänzlich<lb/>
Autodidakt gewesen wäre, zu Anfang der fünfziger Jahre jede reproduzirende<lb/>
Technik gleichsam auf eigne Hand von neuem zu erfinden oder doch für die<lb/>
gestellten Aufgaben geschmeidig zu machen hatte.  Er selbst erzählt uns</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] Wie Ludwig Pietsch Schriftsteller wurde gepriesen und verteidigt und ihm mit zu einem Siege verholfen hat, der heute freilich schou vergessen ist. Makarts Kunst ist mit ihm selbst gestorben; aber der unverwüstliche Optimismus, der die Erinnerungen von Ludwig Pietsch zu einer so erquicklichen Lektüre macht, wird ihren Verfasser auch über diese Ent- täuschung, die übrigens seinem guten Herzen und seiner Begeisterung Ehre macht, längst hinweggeholfen haben. Daß die Begeisterung des Menschen bester Teil ist, lehren uns seine Er¬ innerungen in jeder Zeile, in jedem Bilde, das er von einem der merkwürdigen Menschen gezeichnet hat, mit denen er zusammengetroffen oder in Verkehr ge¬ treten ist. Bei solchen Charakterzeichuungen ist kritiklose, jugendliche Begeiste¬ rung für den besonnenen Leser und noch mehr für den Kulturhistoriker wert¬ voller, als eine kritische Analyse, bei der vielleicht Mißgunst, Neid, Gering¬ schätzung und Haß mitgewirkt haben. Ein enthusiastisch übertriebnes Bild kann von dem kühler denkenden auf seiue richtigen Konturen zurückgeführt werden, nicht aber ein durch Neid und Haß entstelltes. Der junge Künstler, der zu Ende der vierziger Jahre ohne die geringste materielle Grundlage, nur im Vertrauen auf die Verwertung seiner künstle¬ rischen Gaben eine Ehe geschlossen hatte, war in heißem Ringen um das täg¬ liche Brot, in der unaufhörlichen Jagd nach einem bescheidnen Erwerb darauf angewiesen, jede Aufgabe anzunehmen, wie lustig auch die dabei gestelltem Be¬ dingungen, wie geringfügig auch das zu erwartende Honorar sein mochte. Dabei hatte er noch das niederdrückende Gefühl, daß seiue technische Ausbil¬ dung seinen Absichten auch nicht entfernt entsprach, daß seine Hand dem Schwunge der Phantasie nicht zu folgen vermochte, und daß sich bei seiner Lebenslage und unter den damaligen künstlerischen Verhältnissen Berlins ihm auch keine Aussicht eröffnete, daß er jemals die technischen Schwierigkeiten überwinden würde. Vielleicht täuschte er sich auch selbst über seiue Begabung. Zu einer wirklich schöpferischen Thätigkeit uns künstlerischem Gebiete ist er nie¬ mals gelaugt, wenigstens nicht vor der Öffentlichkeit, und auch in späterer Zeit, als sein gesegneter schriftstellerischer Erwerb längst die Sorgen von seiner Thür gescheucht hatte, ist er nur gewesen, was er im Anfange seiner Laufbahn war: ein Zeichner und Illustrator mit nicht sehr umfangreichen Ausdrncks- mitteln, ein Künstler, der das, was er mit leiblichen oder geistigen Augen ge¬ sehen hatte, mit der liebenswürdigen Galanterie wiedergab, die eine der Haupteigenschaften des Schriftstellers geworden und geblieben ist. Bei der Beurteilung seiner künstlerischen Anlagen und Leistungen, bei der wir ohnehin schon den von der neuesten Zeit gebotnen Maßstab angelegt haben, darf man übrigens nicht vergessen, daß Pietsch, anch wenn er nicht fast gänzlich Autodidakt gewesen wäre, zu Anfang der fünfziger Jahre jede reproduzirende Technik gleichsam auf eigne Hand von neuem zu erfinden oder doch für die gestellten Aufgaben geschmeidig zu machen hatte. Er selbst erzählt uns

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/442>, abgerufen am 06.06.2024.