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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Wie Ludwig Pietsch Schriftsteller wurde

Kunstblattes" (1858) ziert als Titelblatt eine Lithographie des "Löwenbezwingers"
von Albert Wolff, die alle Nndirungen von Pietsch übertrifft. Daß die rege
Thätigkeit in den Berliner Bildhanerwerkstätten gerade in die Zeit fiel, wo
er verzweiflungsvoll nach Arbeit umherlief, hat nicht nur seiner eignen künst¬
lerischen Thätigkeit die ersten Wurzeln, sondern mich den ersten Anlaß zu dem
Versuch mit der Feder gegeben. Als Pietsch durch seine Zeichnungen und
Radirungen nach den Gruppen für die Berliner Schloßbrücke mit den Bild¬
hauern, die in den Werkstätten in der Münzstraße an diesen und an andern
Aufgaben arbeiteten, mehr und mehr vertraut wurde, obwohl sich manche
spröde Natur uur langsam dem Bittenden und Gedruckten erschloß, kam ihm
in einem Augenblicke höchster Not der Gedanke, einmal eine Zeichnung mich
einer solchen plastischen Arbeit, einem von Wilhelm Wolff modellirten Tafel¬
aufsatz, von einem erläuternden Texte begleitet, an die Webersche Jllustrirte
Zeitung nach Leipzig zu senden. Dieser erste schriftstellerische Versuch fand
nicht nur wohlwollende Aufnahme, sondert? auch die Aufforderung zu fernern
Sendungen ähnlicher Art, und diese Verbindung zwischen Ludwig Pietsch und
der ältesten illustrirten Zeitung Deutschlands hat sich, soweit der Schriftsteller
in Betracht kommt, bis auf den heutigen Tag erhalten. Zu einer regel¬
mäßigen schriftstellerischen Thätigkeit aber kam Pietsch erst sechs Jahre später,
im Herbst 1858, durch die Vermittlung Lübkes, der sich auch außerhalb seines
Machtbereichs im "Deutschen Kunstblatt" des jungen Künstlers durch Zuwen¬
dung von Aufträgen annahm. Lübke schrieb damals die Kunstkritiken für die
Spenersche Zeitung, und da er im August 1858 eine Studienreise nach Italien
antreten wollte, schlug er Pietsch als seinen Stellvertreter vor, der zunächst
über die akademische Kunstausstellung des Jahres berichten sollte. Pietsch
erschrak anfangs über diese Zumutung, da er zunächst an seine "eignen künst¬
lerischen Schwächen und UnVollkommenheiten" dachte; ,,aber, so erzählt er
selbst, ich war mir andrerseits auch wieder bewußt, manches, dank meiner
Eigenschaft als ausübender Künstler, in den Kunstwerken besser und richtiger
sehen, auffassen und gerechter würdigen zu können, vielleicht anch vertrauter
mit dem Entwicklungsgange, mit den Werken und den Meistern der modernen
bildenden Kunst zu sein, als die Mehrzahl der für unsre Zeitungen schreibenden
Herren Kunstrezensenten." Bei der Schilderung dieses Wendepunkts in seinem
Leben spricht Pietsch auch die Grundsätze aus, die ihn seitdem in seinen tünst-
tritischeu Arbeiten geleitet haben. ,,Jch habe, sagt er, in jenen ersten, wie in
allen seitdem von mir geschriebn"! Knnstausstellungsbesprechungen mich stets
gehütet, mir das Ansehen eines an künstlerischer Weisheit den Künstlern selbst
überlegnen Richters zu geben, sie gleichsam vom Katheder des ästhetischen
Dozenten her abzukanzeln. Ebenso fern lag es mir immer, meine Leser auf
Kosten der ausgestellten schwächern Werke lachen zu machen, meinen satirischen
Humor und Witz an diesen zu üben. Auf das Große, Aufrichtige, Gute,


Wie Ludwig Pietsch Schriftsteller wurde

Kunstblattes" (1858) ziert als Titelblatt eine Lithographie des „Löwenbezwingers"
von Albert Wolff, die alle Nndirungen von Pietsch übertrifft. Daß die rege
Thätigkeit in den Berliner Bildhanerwerkstätten gerade in die Zeit fiel, wo
er verzweiflungsvoll nach Arbeit umherlief, hat nicht nur seiner eignen künst¬
lerischen Thätigkeit die ersten Wurzeln, sondern mich den ersten Anlaß zu dem
Versuch mit der Feder gegeben. Als Pietsch durch seine Zeichnungen und
Radirungen nach den Gruppen für die Berliner Schloßbrücke mit den Bild¬
hauern, die in den Werkstätten in der Münzstraße an diesen und an andern
Aufgaben arbeiteten, mehr und mehr vertraut wurde, obwohl sich manche
spröde Natur uur langsam dem Bittenden und Gedruckten erschloß, kam ihm
in einem Augenblicke höchster Not der Gedanke, einmal eine Zeichnung mich
einer solchen plastischen Arbeit, einem von Wilhelm Wolff modellirten Tafel¬
aufsatz, von einem erläuternden Texte begleitet, an die Webersche Jllustrirte
Zeitung nach Leipzig zu senden. Dieser erste schriftstellerische Versuch fand
nicht nur wohlwollende Aufnahme, sondert? auch die Aufforderung zu fernern
Sendungen ähnlicher Art, und diese Verbindung zwischen Ludwig Pietsch und
der ältesten illustrirten Zeitung Deutschlands hat sich, soweit der Schriftsteller
in Betracht kommt, bis auf den heutigen Tag erhalten. Zu einer regel¬
mäßigen schriftstellerischen Thätigkeit aber kam Pietsch erst sechs Jahre später,
im Herbst 1858, durch die Vermittlung Lübkes, der sich auch außerhalb seines
Machtbereichs im „Deutschen Kunstblatt" des jungen Künstlers durch Zuwen¬
dung von Aufträgen annahm. Lübke schrieb damals die Kunstkritiken für die
Spenersche Zeitung, und da er im August 1858 eine Studienreise nach Italien
antreten wollte, schlug er Pietsch als seinen Stellvertreter vor, der zunächst
über die akademische Kunstausstellung des Jahres berichten sollte. Pietsch
erschrak anfangs über diese Zumutung, da er zunächst an seine „eignen künst¬
lerischen Schwächen und UnVollkommenheiten" dachte; ,,aber, so erzählt er
selbst, ich war mir andrerseits auch wieder bewußt, manches, dank meiner
Eigenschaft als ausübender Künstler, in den Kunstwerken besser und richtiger
sehen, auffassen und gerechter würdigen zu können, vielleicht anch vertrauter
mit dem Entwicklungsgange, mit den Werken und den Meistern der modernen
bildenden Kunst zu sein, als die Mehrzahl der für unsre Zeitungen schreibenden
Herren Kunstrezensenten." Bei der Schilderung dieses Wendepunkts in seinem
Leben spricht Pietsch auch die Grundsätze aus, die ihn seitdem in seinen tünst-
tritischeu Arbeiten geleitet haben. ,,Jch habe, sagt er, in jenen ersten, wie in
allen seitdem von mir geschriebn«! Knnstausstellungsbesprechungen mich stets
gehütet, mir das Ansehen eines an künstlerischer Weisheit den Künstlern selbst
überlegnen Richters zu geben, sie gleichsam vom Katheder des ästhetischen
Dozenten her abzukanzeln. Ebenso fern lag es mir immer, meine Leser auf
Kosten der ausgestellten schwächern Werke lachen zu machen, meinen satirischen
Humor und Witz an diesen zu üben. Auf das Große, Aufrichtige, Gute,


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[0444] Wie Ludwig Pietsch Schriftsteller wurde Kunstblattes" (1858) ziert als Titelblatt eine Lithographie des „Löwenbezwingers" von Albert Wolff, die alle Nndirungen von Pietsch übertrifft. Daß die rege Thätigkeit in den Berliner Bildhanerwerkstätten gerade in die Zeit fiel, wo er verzweiflungsvoll nach Arbeit umherlief, hat nicht nur seiner eignen künst¬ lerischen Thätigkeit die ersten Wurzeln, sondern mich den ersten Anlaß zu dem Versuch mit der Feder gegeben. Als Pietsch durch seine Zeichnungen und Radirungen nach den Gruppen für die Berliner Schloßbrücke mit den Bild¬ hauern, die in den Werkstätten in der Münzstraße an diesen und an andern Aufgaben arbeiteten, mehr und mehr vertraut wurde, obwohl sich manche spröde Natur uur langsam dem Bittenden und Gedruckten erschloß, kam ihm in einem Augenblicke höchster Not der Gedanke, einmal eine Zeichnung mich einer solchen plastischen Arbeit, einem von Wilhelm Wolff modellirten Tafel¬ aufsatz, von einem erläuternden Texte begleitet, an die Webersche Jllustrirte Zeitung nach Leipzig zu senden. Dieser erste schriftstellerische Versuch fand nicht nur wohlwollende Aufnahme, sondert? auch die Aufforderung zu fernern Sendungen ähnlicher Art, und diese Verbindung zwischen Ludwig Pietsch und der ältesten illustrirten Zeitung Deutschlands hat sich, soweit der Schriftsteller in Betracht kommt, bis auf den heutigen Tag erhalten. Zu einer regel¬ mäßigen schriftstellerischen Thätigkeit aber kam Pietsch erst sechs Jahre später, im Herbst 1858, durch die Vermittlung Lübkes, der sich auch außerhalb seines Machtbereichs im „Deutschen Kunstblatt" des jungen Künstlers durch Zuwen¬ dung von Aufträgen annahm. Lübke schrieb damals die Kunstkritiken für die Spenersche Zeitung, und da er im August 1858 eine Studienreise nach Italien antreten wollte, schlug er Pietsch als seinen Stellvertreter vor, der zunächst über die akademische Kunstausstellung des Jahres berichten sollte. Pietsch erschrak anfangs über diese Zumutung, da er zunächst an seine „eignen künst¬ lerischen Schwächen und UnVollkommenheiten" dachte; ,,aber, so erzählt er selbst, ich war mir andrerseits auch wieder bewußt, manches, dank meiner Eigenschaft als ausübender Künstler, in den Kunstwerken besser und richtiger sehen, auffassen und gerechter würdigen zu können, vielleicht anch vertrauter mit dem Entwicklungsgange, mit den Werken und den Meistern der modernen bildenden Kunst zu sein, als die Mehrzahl der für unsre Zeitungen schreibenden Herren Kunstrezensenten." Bei der Schilderung dieses Wendepunkts in seinem Leben spricht Pietsch auch die Grundsätze aus, die ihn seitdem in seinen tünst- tritischeu Arbeiten geleitet haben. ,,Jch habe, sagt er, in jenen ersten, wie in allen seitdem von mir geschriebn«! Knnstausstellungsbesprechungen mich stets gehütet, mir das Ansehen eines an künstlerischer Weisheit den Künstlern selbst überlegnen Richters zu geben, sie gleichsam vom Katheder des ästhetischen Dozenten her abzukanzeln. Ebenso fern lag es mir immer, meine Leser auf Kosten der ausgestellten schwächern Werke lachen zu machen, meinen satirischen Humor und Witz an diesen zu üben. Auf das Große, Aufrichtige, Gute,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/444>, abgerufen am 17.06.2024.