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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Linoahls Stammbuch

bedeutender Bekanntschaften bedacht, und überall gewann er interessante Ein¬
tragungen für sein Stammbuch. Dies Buch ist es denn auch, das, vielleicht
mehr als alle seine Bildungsbestrebungen, seine Briefwechsel, seine Bücher¬
sammlungen und bedeutenden Vermächtnisse, dazu beigetragen hat, seines
Namens Gedächtnis zu erhalten.

Johann Nikolaus Lindahl war als der Sohn des Großkaufmanns Peter
Lindahl am 12. März 1762 zu Norrköping geboren, trat 1779 in die Hand¬
lung seines Vaters ein und erweiterte seine kaufmännische Ausbildung in
Hamburg, Amsterdam und London. Von Haus aus im Besitz reicher Mittel,
fand er in der Stille von Norrköping viel Muße zu litterarischen und philo¬
sophischen Studien und verweilte während der letzten bewegten Jahre der Negie¬
rung König Gustavs des Dritten vielfach in dem emporblühenden und mit neuem
geistigem Leben erfüllten Stockholm. 17ö1 verheiratete er sich mit der schönen
und hochgebildeten Eleonora Gjörwell, der Tochter des Bibliothekars, Histo¬
rikers und einflußreichen Publizisten Karl Kristoffer Gjörwell (17.'Z1 bis 1811),
und machte sein Haus durch diese Heirat vollends zum Anzichungs- und
Sammelpunkte aller geistigen Kräfte und Bestrebungen, die das damalige
Schweden aufzuweisen hatte. Bei veränderten politischen Verhältnissen hörten
nach 1800 seine häufigen Reisen ins Ausland auf, dafür kamen aber die
deutschen Besucher. 1804 war, wie aus dein Stammbuch hervorgeht, Ernst
Moritz Arndt sein Gast, 1805 der knorrige und doch so leicht zu gewinnende
Seume. In seltenes Buch "Mein Sommer" heißt es: "In Herrn Ulrichs
Gesellschaft machte ich die Bekanntschaft des Herrn Lindahl, eines Mannes,
der durch seine .Kenntnisse und liberalen Gesinnungen jeder Nation Ehre
macheu würde. Als Mann von Vermögen und ohne.Kinder, hat er die ehe¬
maligen Handelsgeschäfte seines Vaters aufgegeben, hat viele Reisen durch
mehrere Teile von Europa gemacht und ist auf denselben mit den besten Köpfen
in Deutschland und Frankreich persönlich bekannt geworden. Jetzt lebt er nach
seiner Neigung dem Vergnügen der Musen; und in seinem Hause, das freund¬
lich eingerichtet ist, findet man litterarische Schätze, wie mau sie vielleicht nur
selten bei einem Privatmanne, am allerwenigsten bei Kaufleuten trifft. Er
hat die besten Bücher über Kunst und Kunstgeschichte und besitzt selbst eine
Kupferstichsammlung von Porträts von 20000 Stück. Auch an Geschichte
und Philosophie ist er ziemlich reich. Unter seinen seltenen Büchern sind einige,
die man vergebens in manchen größern Sammlungen sucht. Er zeigte uns
zwei schön geschriebne Korane; ein gedrucktes und ein geschriebnes Exemplar
von dem verrufnen Buche vo tribus impostoribus. . .. Sodann hatte er noch
einen sehr seltenen, konfiszirtem schwedischen Katechismus von einem gewissen
Bischof Emporagrius,^) welcher den Weibern die Persönlichkeit absprach und



*) Seume meint deu Bischof Erik Emporagrius (1606 bis 1674), den Zeitgenossen
Gustav Adolfs und Christinens, und dessen 0->tovKossns s"fut<lix<z tiirKI^min^.
Linoahls Stammbuch

bedeutender Bekanntschaften bedacht, und überall gewann er interessante Ein¬
tragungen für sein Stammbuch. Dies Buch ist es denn auch, das, vielleicht
mehr als alle seine Bildungsbestrebungen, seine Briefwechsel, seine Bücher¬
sammlungen und bedeutenden Vermächtnisse, dazu beigetragen hat, seines
Namens Gedächtnis zu erhalten.

Johann Nikolaus Lindahl war als der Sohn des Großkaufmanns Peter
Lindahl am 12. März 1762 zu Norrköping geboren, trat 1779 in die Hand¬
lung seines Vaters ein und erweiterte seine kaufmännische Ausbildung in
Hamburg, Amsterdam und London. Von Haus aus im Besitz reicher Mittel,
fand er in der Stille von Norrköping viel Muße zu litterarischen und philo¬
sophischen Studien und verweilte während der letzten bewegten Jahre der Negie¬
rung König Gustavs des Dritten vielfach in dem emporblühenden und mit neuem
geistigem Leben erfüllten Stockholm. 17ö1 verheiratete er sich mit der schönen
und hochgebildeten Eleonora Gjörwell, der Tochter des Bibliothekars, Histo¬
rikers und einflußreichen Publizisten Karl Kristoffer Gjörwell (17.'Z1 bis 1811),
und machte sein Haus durch diese Heirat vollends zum Anzichungs- und
Sammelpunkte aller geistigen Kräfte und Bestrebungen, die das damalige
Schweden aufzuweisen hatte. Bei veränderten politischen Verhältnissen hörten
nach 1800 seine häufigen Reisen ins Ausland auf, dafür kamen aber die
deutschen Besucher. 1804 war, wie aus dein Stammbuch hervorgeht, Ernst
Moritz Arndt sein Gast, 1805 der knorrige und doch so leicht zu gewinnende
Seume. In seltenes Buch „Mein Sommer" heißt es: „In Herrn Ulrichs
Gesellschaft machte ich die Bekanntschaft des Herrn Lindahl, eines Mannes,
der durch seine .Kenntnisse und liberalen Gesinnungen jeder Nation Ehre
macheu würde. Als Mann von Vermögen und ohne.Kinder, hat er die ehe¬
maligen Handelsgeschäfte seines Vaters aufgegeben, hat viele Reisen durch
mehrere Teile von Europa gemacht und ist auf denselben mit den besten Köpfen
in Deutschland und Frankreich persönlich bekannt geworden. Jetzt lebt er nach
seiner Neigung dem Vergnügen der Musen; und in seinem Hause, das freund¬
lich eingerichtet ist, findet man litterarische Schätze, wie mau sie vielleicht nur
selten bei einem Privatmanne, am allerwenigsten bei Kaufleuten trifft. Er
hat die besten Bücher über Kunst und Kunstgeschichte und besitzt selbst eine
Kupferstichsammlung von Porträts von 20000 Stück. Auch an Geschichte
und Philosophie ist er ziemlich reich. Unter seinen seltenen Büchern sind einige,
die man vergebens in manchen größern Sammlungen sucht. Er zeigte uns
zwei schön geschriebne Korane; ein gedrucktes und ein geschriebnes Exemplar
von dem verrufnen Buche vo tribus impostoribus. . .. Sodann hatte er noch
einen sehr seltenen, konfiszirtem schwedischen Katechismus von einem gewissen
Bischof Emporagrius,^) welcher den Weibern die Persönlichkeit absprach und



*) Seume meint deu Bischof Erik Emporagrius (1606 bis 1674), den Zeitgenossen
Gustav Adolfs und Christinens, und dessen 0->tovKossns s»fut<lix<z tiirKI^min^.
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[0046] Linoahls Stammbuch bedeutender Bekanntschaften bedacht, und überall gewann er interessante Ein¬ tragungen für sein Stammbuch. Dies Buch ist es denn auch, das, vielleicht mehr als alle seine Bildungsbestrebungen, seine Briefwechsel, seine Bücher¬ sammlungen und bedeutenden Vermächtnisse, dazu beigetragen hat, seines Namens Gedächtnis zu erhalten. Johann Nikolaus Lindahl war als der Sohn des Großkaufmanns Peter Lindahl am 12. März 1762 zu Norrköping geboren, trat 1779 in die Hand¬ lung seines Vaters ein und erweiterte seine kaufmännische Ausbildung in Hamburg, Amsterdam und London. Von Haus aus im Besitz reicher Mittel, fand er in der Stille von Norrköping viel Muße zu litterarischen und philo¬ sophischen Studien und verweilte während der letzten bewegten Jahre der Negie¬ rung König Gustavs des Dritten vielfach in dem emporblühenden und mit neuem geistigem Leben erfüllten Stockholm. 17ö1 verheiratete er sich mit der schönen und hochgebildeten Eleonora Gjörwell, der Tochter des Bibliothekars, Histo¬ rikers und einflußreichen Publizisten Karl Kristoffer Gjörwell (17.'Z1 bis 1811), und machte sein Haus durch diese Heirat vollends zum Anzichungs- und Sammelpunkte aller geistigen Kräfte und Bestrebungen, die das damalige Schweden aufzuweisen hatte. Bei veränderten politischen Verhältnissen hörten nach 1800 seine häufigen Reisen ins Ausland auf, dafür kamen aber die deutschen Besucher. 1804 war, wie aus dein Stammbuch hervorgeht, Ernst Moritz Arndt sein Gast, 1805 der knorrige und doch so leicht zu gewinnende Seume. In seltenes Buch „Mein Sommer" heißt es: „In Herrn Ulrichs Gesellschaft machte ich die Bekanntschaft des Herrn Lindahl, eines Mannes, der durch seine .Kenntnisse und liberalen Gesinnungen jeder Nation Ehre macheu würde. Als Mann von Vermögen und ohne.Kinder, hat er die ehe¬ maligen Handelsgeschäfte seines Vaters aufgegeben, hat viele Reisen durch mehrere Teile von Europa gemacht und ist auf denselben mit den besten Köpfen in Deutschland und Frankreich persönlich bekannt geworden. Jetzt lebt er nach seiner Neigung dem Vergnügen der Musen; und in seinem Hause, das freund¬ lich eingerichtet ist, findet man litterarische Schätze, wie mau sie vielleicht nur selten bei einem Privatmanne, am allerwenigsten bei Kaufleuten trifft. Er hat die besten Bücher über Kunst und Kunstgeschichte und besitzt selbst eine Kupferstichsammlung von Porträts von 20000 Stück. Auch an Geschichte und Philosophie ist er ziemlich reich. Unter seinen seltenen Büchern sind einige, die man vergebens in manchen größern Sammlungen sucht. Er zeigte uns zwei schön geschriebne Korane; ein gedrucktes und ein geschriebnes Exemplar von dem verrufnen Buche vo tribus impostoribus. . .. Sodann hatte er noch einen sehr seltenen, konfiszirtem schwedischen Katechismus von einem gewissen Bischof Emporagrius,^) welcher den Weibern die Persönlichkeit absprach und *) Seume meint deu Bischof Erik Emporagrius (1606 bis 1674), den Zeitgenossen Gustav Adolfs und Christinens, und dessen 0->tovKossns s»fut<lix<z tiirKI^min^.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/46>, abgerufen am 13.05.2024.