Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Berufung und Schöffengericht

der Urteilsfindnng selbst, und dieses Wesentliche nen festzustellen darf nur das
Gericht berufen sein, das vermöge seiner Besetzung eine gerechte Urteilssindung
gewährleistet.

Eine Rechtsbeschwerde freilich, die nur falsche Gesetzesauslegung rügt,
wird auch in Zukunft an das Reichgericht gegen die Urteile der großen
Schöffengerichte, gleichviel ob sie in erster oder in zweiter Instanz entscheiden,
gegeben werden müssen; denn sie ist das Mittel, die Einheitlichkeit in der
Rechtsprechung aller deutscheu Gerichte zu wahren. Die Gestaltung im ein¬
zelnen lassen wir als juristisch-technische Frage hier beiseite.

Vei den angedeuteten Beschränkungen der Rechtsmittel würden fast mit
der bisherigen Geschwornenanzahl die mittlern und größern Schöffengerichte
unsrer Schätzung nach besetzt werden können. Weiter würde allein die hier
vorgeschlagne strenge Durchführung der Schöffengerichte die Einführung der
Berufung auch gegen die Urteile der mittlern Strafgerichte, wie sie jetzt geplant
ist, ermöglichen, ohne eine größere Anzahl beamteter Richter zu erfordern.
Denn eine stärkere Besetzung der mittlern Schöffengerichte als mit drei und
der großen Schöffengerichte als mit vier gelehrten Richtern dürfte kaum nötig
sein. Vielleicht sind schon zwei und drei Richter mit drei und vier Schöffen
genügend. Dazu kommt, daß die mittlern Schöffengerichte grundsätzlich nicht
bei den Landgerichten, sondern bei mittlern und selbst kleinern Amtsgerichten
errichtet werden können. Es stünde auch nichts im Wege, die mit mehreren
Richtern besetzten Amtsgerichte zu dem Dreirichtcrtvllegium der mittlern
Schöffengerichte zu vereinigen; ja diese Kollegien würden sich sogar aus
Richtern verschiedner, nahe benachbarter Amtsgerichte zusammensetzen lassen.
Eine derartige Dezentralisation der Rechtspflege, die ja auch für die Zivil¬
sachen angestrebt wird, hätte manchen Vorteil: die Zeugen wohnten näher
dem Sitze des Gerichts, die Arbeitskraft mancher nicht hinreichend beschäftigten
Richter kleinerer Gerichte könnte mehr ausgenutzt werden, und das zeitweilige
gemeinsame Arbeiten wirkte anregend auf die Thätigkeit und wissenschaftliche
Fortbildung des Einzelrichters.

Erweiterte man endlich noch die Zuständigkeit der kleinen Schöffengerichte,
was sehr gut möglich wäre, so würde trotz der einzuführenden Berufung gegen
die Urteile der mittlern Schöffengerichte sogar eine geringere Nichterzahl als
jetzt erforderlich sein. Dann könnte die Justizverwaltung nicht nur eine strengere
Auslese unter den geeigneten Personen halten, sondern es bestünde auch endlich
einmal für Preußen die Aussicht, wenigstens die notwendige Nichterzahl zu
erlangen und das eines großen Staates nicht würdige und durchaus gegen
deu Geist des Gerichtsverfassungsgesetzes verstoßende übermäßige Wirtschaften
mit unbesoldeten und nicht fest angestellten, darum in ihrer Unabhängigkeit
gefährdeten Hilfsrichtern aufzugeben.

Höher als alles aber steht, daß wir eine Rechtsprechung erhalten würden,


Berufung und Schöffengericht

der Urteilsfindnng selbst, und dieses Wesentliche nen festzustellen darf nur das
Gericht berufen sein, das vermöge seiner Besetzung eine gerechte Urteilssindung
gewährleistet.

Eine Rechtsbeschwerde freilich, die nur falsche Gesetzesauslegung rügt,
wird auch in Zukunft an das Reichgericht gegen die Urteile der großen
Schöffengerichte, gleichviel ob sie in erster oder in zweiter Instanz entscheiden,
gegeben werden müssen; denn sie ist das Mittel, die Einheitlichkeit in der
Rechtsprechung aller deutscheu Gerichte zu wahren. Die Gestaltung im ein¬
zelnen lassen wir als juristisch-technische Frage hier beiseite.

Vei den angedeuteten Beschränkungen der Rechtsmittel würden fast mit
der bisherigen Geschwornenanzahl die mittlern und größern Schöffengerichte
unsrer Schätzung nach besetzt werden können. Weiter würde allein die hier
vorgeschlagne strenge Durchführung der Schöffengerichte die Einführung der
Berufung auch gegen die Urteile der mittlern Strafgerichte, wie sie jetzt geplant
ist, ermöglichen, ohne eine größere Anzahl beamteter Richter zu erfordern.
Denn eine stärkere Besetzung der mittlern Schöffengerichte als mit drei und
der großen Schöffengerichte als mit vier gelehrten Richtern dürfte kaum nötig
sein. Vielleicht sind schon zwei und drei Richter mit drei und vier Schöffen
genügend. Dazu kommt, daß die mittlern Schöffengerichte grundsätzlich nicht
bei den Landgerichten, sondern bei mittlern und selbst kleinern Amtsgerichten
errichtet werden können. Es stünde auch nichts im Wege, die mit mehreren
Richtern besetzten Amtsgerichte zu dem Dreirichtcrtvllegium der mittlern
Schöffengerichte zu vereinigen; ja diese Kollegien würden sich sogar aus
Richtern verschiedner, nahe benachbarter Amtsgerichte zusammensetzen lassen.
Eine derartige Dezentralisation der Rechtspflege, die ja auch für die Zivil¬
sachen angestrebt wird, hätte manchen Vorteil: die Zeugen wohnten näher
dem Sitze des Gerichts, die Arbeitskraft mancher nicht hinreichend beschäftigten
Richter kleinerer Gerichte könnte mehr ausgenutzt werden, und das zeitweilige
gemeinsame Arbeiten wirkte anregend auf die Thätigkeit und wissenschaftliche
Fortbildung des Einzelrichters.

Erweiterte man endlich noch die Zuständigkeit der kleinen Schöffengerichte,
was sehr gut möglich wäre, so würde trotz der einzuführenden Berufung gegen
die Urteile der mittlern Schöffengerichte sogar eine geringere Nichterzahl als
jetzt erforderlich sein. Dann könnte die Justizverwaltung nicht nur eine strengere
Auslese unter den geeigneten Personen halten, sondern es bestünde auch endlich
einmal für Preußen die Aussicht, wenigstens die notwendige Nichterzahl zu
erlangen und das eines großen Staates nicht würdige und durchaus gegen
deu Geist des Gerichtsverfassungsgesetzes verstoßende übermäßige Wirtschaften
mit unbesoldeten und nicht fest angestellten, darum in ihrer Unabhängigkeit
gefährdeten Hilfsrichtern aufzugeben.

Höher als alles aber steht, daß wir eine Rechtsprechung erhalten würden,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0488" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214280"/>
          <fw type="header" place="top"> Berufung und Schöffengericht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1670" prev="#ID_1669"> der Urteilsfindnng selbst, und dieses Wesentliche nen festzustellen darf nur das<lb/>
Gericht berufen sein, das vermöge seiner Besetzung eine gerechte Urteilssindung<lb/>
gewährleistet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1671"> Eine Rechtsbeschwerde freilich, die nur falsche Gesetzesauslegung rügt,<lb/>
wird auch in Zukunft an das Reichgericht gegen die Urteile der großen<lb/>
Schöffengerichte, gleichviel ob sie in erster oder in zweiter Instanz entscheiden,<lb/>
gegeben werden müssen; denn sie ist das Mittel, die Einheitlichkeit in der<lb/>
Rechtsprechung aller deutscheu Gerichte zu wahren. Die Gestaltung im ein¬<lb/>
zelnen lassen wir als juristisch-technische Frage hier beiseite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1672"> Vei den angedeuteten Beschränkungen der Rechtsmittel würden fast mit<lb/>
der bisherigen Geschwornenanzahl die mittlern und größern Schöffengerichte<lb/>
unsrer Schätzung nach besetzt werden können. Weiter würde allein die hier<lb/>
vorgeschlagne strenge Durchführung der Schöffengerichte die Einführung der<lb/>
Berufung auch gegen die Urteile der mittlern Strafgerichte, wie sie jetzt geplant<lb/>
ist, ermöglichen, ohne eine größere Anzahl beamteter Richter zu erfordern.<lb/>
Denn eine stärkere Besetzung der mittlern Schöffengerichte als mit drei und<lb/>
der großen Schöffengerichte als mit vier gelehrten Richtern dürfte kaum nötig<lb/>
sein. Vielleicht sind schon zwei und drei Richter mit drei und vier Schöffen<lb/>
genügend. Dazu kommt, daß die mittlern Schöffengerichte grundsätzlich nicht<lb/>
bei den Landgerichten, sondern bei mittlern und selbst kleinern Amtsgerichten<lb/>
errichtet werden können. Es stünde auch nichts im Wege, die mit mehreren<lb/>
Richtern besetzten Amtsgerichte zu dem Dreirichtcrtvllegium der mittlern<lb/>
Schöffengerichte zu vereinigen; ja diese Kollegien würden sich sogar aus<lb/>
Richtern verschiedner, nahe benachbarter Amtsgerichte zusammensetzen lassen.<lb/>
Eine derartige Dezentralisation der Rechtspflege, die ja auch für die Zivil¬<lb/>
sachen angestrebt wird, hätte manchen Vorteil: die Zeugen wohnten näher<lb/>
dem Sitze des Gerichts, die Arbeitskraft mancher nicht hinreichend beschäftigten<lb/>
Richter kleinerer Gerichte könnte mehr ausgenutzt werden, und das zeitweilige<lb/>
gemeinsame Arbeiten wirkte anregend auf die Thätigkeit und wissenschaftliche<lb/>
Fortbildung des Einzelrichters.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1673"> Erweiterte man endlich noch die Zuständigkeit der kleinen Schöffengerichte,<lb/>
was sehr gut möglich wäre, so würde trotz der einzuführenden Berufung gegen<lb/>
die Urteile der mittlern Schöffengerichte sogar eine geringere Nichterzahl als<lb/>
jetzt erforderlich sein. Dann könnte die Justizverwaltung nicht nur eine strengere<lb/>
Auslese unter den geeigneten Personen halten, sondern es bestünde auch endlich<lb/>
einmal für Preußen die Aussicht, wenigstens die notwendige Nichterzahl zu<lb/>
erlangen und das eines großen Staates nicht würdige und durchaus gegen<lb/>
deu Geist des Gerichtsverfassungsgesetzes verstoßende übermäßige Wirtschaften<lb/>
mit unbesoldeten und nicht fest angestellten, darum in ihrer Unabhängigkeit<lb/>
gefährdeten Hilfsrichtern aufzugeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1674" next="#ID_1675"> Höher als alles aber steht, daß wir eine Rechtsprechung erhalten würden,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0488] Berufung und Schöffengericht der Urteilsfindnng selbst, und dieses Wesentliche nen festzustellen darf nur das Gericht berufen sein, das vermöge seiner Besetzung eine gerechte Urteilssindung gewährleistet. Eine Rechtsbeschwerde freilich, die nur falsche Gesetzesauslegung rügt, wird auch in Zukunft an das Reichgericht gegen die Urteile der großen Schöffengerichte, gleichviel ob sie in erster oder in zweiter Instanz entscheiden, gegeben werden müssen; denn sie ist das Mittel, die Einheitlichkeit in der Rechtsprechung aller deutscheu Gerichte zu wahren. Die Gestaltung im ein¬ zelnen lassen wir als juristisch-technische Frage hier beiseite. Vei den angedeuteten Beschränkungen der Rechtsmittel würden fast mit der bisherigen Geschwornenanzahl die mittlern und größern Schöffengerichte unsrer Schätzung nach besetzt werden können. Weiter würde allein die hier vorgeschlagne strenge Durchführung der Schöffengerichte die Einführung der Berufung auch gegen die Urteile der mittlern Strafgerichte, wie sie jetzt geplant ist, ermöglichen, ohne eine größere Anzahl beamteter Richter zu erfordern. Denn eine stärkere Besetzung der mittlern Schöffengerichte als mit drei und der großen Schöffengerichte als mit vier gelehrten Richtern dürfte kaum nötig sein. Vielleicht sind schon zwei und drei Richter mit drei und vier Schöffen genügend. Dazu kommt, daß die mittlern Schöffengerichte grundsätzlich nicht bei den Landgerichten, sondern bei mittlern und selbst kleinern Amtsgerichten errichtet werden können. Es stünde auch nichts im Wege, die mit mehreren Richtern besetzten Amtsgerichte zu dem Dreirichtcrtvllegium der mittlern Schöffengerichte zu vereinigen; ja diese Kollegien würden sich sogar aus Richtern verschiedner, nahe benachbarter Amtsgerichte zusammensetzen lassen. Eine derartige Dezentralisation der Rechtspflege, die ja auch für die Zivil¬ sachen angestrebt wird, hätte manchen Vorteil: die Zeugen wohnten näher dem Sitze des Gerichts, die Arbeitskraft mancher nicht hinreichend beschäftigten Richter kleinerer Gerichte könnte mehr ausgenutzt werden, und das zeitweilige gemeinsame Arbeiten wirkte anregend auf die Thätigkeit und wissenschaftliche Fortbildung des Einzelrichters. Erweiterte man endlich noch die Zuständigkeit der kleinen Schöffengerichte, was sehr gut möglich wäre, so würde trotz der einzuführenden Berufung gegen die Urteile der mittlern Schöffengerichte sogar eine geringere Nichterzahl als jetzt erforderlich sein. Dann könnte die Justizverwaltung nicht nur eine strengere Auslese unter den geeigneten Personen halten, sondern es bestünde auch endlich einmal für Preußen die Aussicht, wenigstens die notwendige Nichterzahl zu erlangen und das eines großen Staates nicht würdige und durchaus gegen deu Geist des Gerichtsverfassungsgesetzes verstoßende übermäßige Wirtschaften mit unbesoldeten und nicht fest angestellten, darum in ihrer Unabhängigkeit gefährdeten Hilfsrichtern aufzugeben. Höher als alles aber steht, daß wir eine Rechtsprechung erhalten würden,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/488
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/488>, abgerufen am 10.05.2024.