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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Interessenvertretung gegenüber müßte entweder zu der absoluten Monarchie
zurückgekehrt werden, oder es müßte über der Interessenvertretung nochmals
ein eigentliches Parlament geschaffen werden, das ihre Beschlüsse vom Stand¬
punkte des Gemeinwohls nachprüfte.

Unterbunden darf ja die Interessenvertretung nicht werden, aber wenn
unsre Parlamente ihrer eigentlichen Aufgabe erhalten bleiben sollen, so muß
sie -- aus den Parlamenten hinaus vor deren Schranken! Das ist unser
Vorschlag. Er soll den Sonderbestrebungen der einzelnen Gruppen, Stande,
Bezirke zu dem verhelfen, was sie brauchen, ohne daß die Pflicht der Parla¬
mente, lediglich das Gemeinwohl im Auge zu behalte", verletzt wird, ohne
daß die Vorkehrungen, durch die die Erfüllung dieser Pflicht der Parlamente
gesichert werden soll, beseitigt werden.

Wir denken uns die Sache so, daß jede beliebige Korporation (mag sie
die Einwohner eines Bezirks oder sonst irgend einen Verband vertreten), wie
auch jede sonstige, etwa nur g.ä Joe zusammengetretue Jnteresfentengruppe be¬
rechtigt sein sollte, Wünsche und Beschwerden durch einen in ganz beliebiger
Weise gewühlten oder ernannten Wortführer vor dem Parlament in leben¬
diger Rede vertreten zu lassen/") und zwar, je nach der Wichtigkeit der Sache,
vor dem Plenum oder vor einer Kommission. Ob dieses Recht auch Einzel¬
personen einzuräumen wäre, lassen wir dahingestellt.

Klar ist es, daß neben der Interessenvertretung vor dem Parlament nicht
auch ferner noch eine solche im Parlament hergehen dürfte. Dafür müßte
durch die Geschäftsordnung nach Möglichkeit gesorgt werden. Es könnte sich
sogar fragen, ob es nicht Abgeordneten, die an einer Sache ein besonders
großes Privatinteresse haben, verwehrt sein sollte, über diese Sache mit abzu¬
stimmen. Wir fürchten nnr, daß es schwierig sein würde, feste Regeln nufzu-
stelleu, wo diese Bestimmung anzuwenden wäre. Denn der Willkür der Mehr¬
heit dürfte es doch nicht überlassen bleiben, unbequeme Gegner von der Ab¬
stimmung auszuschließen. Auf ein wertvolles Mittel, den Abgeordneten ans
Herz zu legen, daß sie nur vom Standpunkte des Gemeinwohls ans ihre Ur¬
teile zu füllen und leine Sonderinteresfen zu vertreten haben, verweist uns die
bairische Verfassung von 18l8, die die Abgeordneten ausdrücklich schwören
ließ, sich "mir des ganzen Landes allgemeines Bestes ohne Rücksicht auf be¬
sondre Stände und Klassen" als Richtschnur diene" zu lassen. Allerdings ge¬
nügt diese Form des Eides nicht, denn der Gedankengang liegt zu nahe:
Meine Partei oder mein Stand ist so wichtig für das gemeine Beste, daß ich



*) Das konstiintionelle Slcwtsrecht kennt derartiges bis jetzt in keinem Lande. Doch ist
ihm ein unmittelbarer mündlicher Verkehr mit der Außenwelt an sich nicht fremd. Wo eine
parlamentarische Körperschaft gerichtliche Befugnisse hat (wie z, B. das englische Oberhaus), ist
er nicht zu umgehen; ebenso wenig bei parlamentarischen Untersnchniigskvmmissionen, wie sie
z. A. Artikel W der prensjischen Versassungsnrkinide vorsieht.
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Interessenvertretung gegenüber müßte entweder zu der absoluten Monarchie
zurückgekehrt werden, oder es müßte über der Interessenvertretung nochmals
ein eigentliches Parlament geschaffen werden, das ihre Beschlüsse vom Stand¬
punkte des Gemeinwohls nachprüfte.

Unterbunden darf ja die Interessenvertretung nicht werden, aber wenn
unsre Parlamente ihrer eigentlichen Aufgabe erhalten bleiben sollen, so muß
sie — aus den Parlamenten hinaus vor deren Schranken! Das ist unser
Vorschlag. Er soll den Sonderbestrebungen der einzelnen Gruppen, Stande,
Bezirke zu dem verhelfen, was sie brauchen, ohne daß die Pflicht der Parla¬
mente, lediglich das Gemeinwohl im Auge zu behalte«, verletzt wird, ohne
daß die Vorkehrungen, durch die die Erfüllung dieser Pflicht der Parlamente
gesichert werden soll, beseitigt werden.

Wir denken uns die Sache so, daß jede beliebige Korporation (mag sie
die Einwohner eines Bezirks oder sonst irgend einen Verband vertreten), wie
auch jede sonstige, etwa nur g.ä Joe zusammengetretue Jnteresfentengruppe be¬
rechtigt sein sollte, Wünsche und Beschwerden durch einen in ganz beliebiger
Weise gewühlten oder ernannten Wortführer vor dem Parlament in leben¬
diger Rede vertreten zu lassen/") und zwar, je nach der Wichtigkeit der Sache,
vor dem Plenum oder vor einer Kommission. Ob dieses Recht auch Einzel¬
personen einzuräumen wäre, lassen wir dahingestellt.

Klar ist es, daß neben der Interessenvertretung vor dem Parlament nicht
auch ferner noch eine solche im Parlament hergehen dürfte. Dafür müßte
durch die Geschäftsordnung nach Möglichkeit gesorgt werden. Es könnte sich
sogar fragen, ob es nicht Abgeordneten, die an einer Sache ein besonders
großes Privatinteresse haben, verwehrt sein sollte, über diese Sache mit abzu¬
stimmen. Wir fürchten nnr, daß es schwierig sein würde, feste Regeln nufzu-
stelleu, wo diese Bestimmung anzuwenden wäre. Denn der Willkür der Mehr¬
heit dürfte es doch nicht überlassen bleiben, unbequeme Gegner von der Ab¬
stimmung auszuschließen. Auf ein wertvolles Mittel, den Abgeordneten ans
Herz zu legen, daß sie nur vom Standpunkte des Gemeinwohls ans ihre Ur¬
teile zu füllen und leine Sonderinteresfen zu vertreten haben, verweist uns die
bairische Verfassung von 18l8, die die Abgeordneten ausdrücklich schwören
ließ, sich „mir des ganzen Landes allgemeines Bestes ohne Rücksicht auf be¬
sondre Stände und Klassen" als Richtschnur diene» zu lassen. Allerdings ge¬
nügt diese Form des Eides nicht, denn der Gedankengang liegt zu nahe:
Meine Partei oder mein Stand ist so wichtig für das gemeine Beste, daß ich



*) Das konstiintionelle Slcwtsrecht kennt derartiges bis jetzt in keinem Lande. Doch ist
ihm ein unmittelbarer mündlicher Verkehr mit der Außenwelt an sich nicht fremd. Wo eine
parlamentarische Körperschaft gerichtliche Befugnisse hat (wie z, B. das englische Oberhaus), ist
er nicht zu umgehen; ebenso wenig bei parlamentarischen Untersnchniigskvmmissionen, wie sie
z. A. Artikel W der prensjischen Versassungsnrkinide vorsieht.
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[0522] Direkte und indirekte !vahl Interessenvertretung gegenüber müßte entweder zu der absoluten Monarchie zurückgekehrt werden, oder es müßte über der Interessenvertretung nochmals ein eigentliches Parlament geschaffen werden, das ihre Beschlüsse vom Stand¬ punkte des Gemeinwohls nachprüfte. Unterbunden darf ja die Interessenvertretung nicht werden, aber wenn unsre Parlamente ihrer eigentlichen Aufgabe erhalten bleiben sollen, so muß sie — aus den Parlamenten hinaus vor deren Schranken! Das ist unser Vorschlag. Er soll den Sonderbestrebungen der einzelnen Gruppen, Stande, Bezirke zu dem verhelfen, was sie brauchen, ohne daß die Pflicht der Parla¬ mente, lediglich das Gemeinwohl im Auge zu behalte«, verletzt wird, ohne daß die Vorkehrungen, durch die die Erfüllung dieser Pflicht der Parlamente gesichert werden soll, beseitigt werden. Wir denken uns die Sache so, daß jede beliebige Korporation (mag sie die Einwohner eines Bezirks oder sonst irgend einen Verband vertreten), wie auch jede sonstige, etwa nur g.ä Joe zusammengetretue Jnteresfentengruppe be¬ rechtigt sein sollte, Wünsche und Beschwerden durch einen in ganz beliebiger Weise gewühlten oder ernannten Wortführer vor dem Parlament in leben¬ diger Rede vertreten zu lassen/") und zwar, je nach der Wichtigkeit der Sache, vor dem Plenum oder vor einer Kommission. Ob dieses Recht auch Einzel¬ personen einzuräumen wäre, lassen wir dahingestellt. Klar ist es, daß neben der Interessenvertretung vor dem Parlament nicht auch ferner noch eine solche im Parlament hergehen dürfte. Dafür müßte durch die Geschäftsordnung nach Möglichkeit gesorgt werden. Es könnte sich sogar fragen, ob es nicht Abgeordneten, die an einer Sache ein besonders großes Privatinteresse haben, verwehrt sein sollte, über diese Sache mit abzu¬ stimmen. Wir fürchten nnr, daß es schwierig sein würde, feste Regeln nufzu- stelleu, wo diese Bestimmung anzuwenden wäre. Denn der Willkür der Mehr¬ heit dürfte es doch nicht überlassen bleiben, unbequeme Gegner von der Ab¬ stimmung auszuschließen. Auf ein wertvolles Mittel, den Abgeordneten ans Herz zu legen, daß sie nur vom Standpunkte des Gemeinwohls ans ihre Ur¬ teile zu füllen und leine Sonderinteresfen zu vertreten haben, verweist uns die bairische Verfassung von 18l8, die die Abgeordneten ausdrücklich schwören ließ, sich „mir des ganzen Landes allgemeines Bestes ohne Rücksicht auf be¬ sondre Stände und Klassen" als Richtschnur diene» zu lassen. Allerdings ge¬ nügt diese Form des Eides nicht, denn der Gedankengang liegt zu nahe: Meine Partei oder mein Stand ist so wichtig für das gemeine Beste, daß ich *) Das konstiintionelle Slcwtsrecht kennt derartiges bis jetzt in keinem Lande. Doch ist ihm ein unmittelbarer mündlicher Verkehr mit der Außenwelt an sich nicht fremd. Wo eine parlamentarische Körperschaft gerichtliche Befugnisse hat (wie z, B. das englische Oberhaus), ist er nicht zu umgehen; ebenso wenig bei parlamentarischen Untersnchniigskvmmissionen, wie sie z. A. Artikel W der prensjischen Versassungsnrkinide vorsieht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/522>, abgerufen am 26.05.2024.