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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Wucher und Abzahlung

um einen unverhältnismäßig niedrigen Preis losschlüge, wer wollte den Käufer
vor der Strafe des Wuchers bewahren? Die wirtschaftlichen Ringe, die durch
künstliche Preissteigerung die Notlage der Konsumenten ausbeuten, würden auf
die einfachste Weise aus der Welt geschafft werden können, indem man ihre
Teilnehmer einfach ins Gefängnis setzte. Herr Friedmann würde sich bei der
Verteidigung auch der kühnsten Börsenjobber mit dem gesetzlichen Honorarsatz
von zwanzig Mark begnügen müssen. Und dreht sich nicht so mancher Landrat,
der jetzt im Parlament mit Eifer für den Regierungsentwnrf gegen Unredlich¬
keit und Unsittlichkeit eintritt, selbst seine Schlinge, da ja gerade diese Beamten
einen Gehalt beziehen, der in einem auffallenden Mißverhältnis zu ihren
Leistungen steht?

Was man zum mindesten hätte fordern könne", das wäre doch eine
präzise Fassung des Gesetzes gewesen, um aus ihr die Fälle herauslesen zu
können, für die das Wuchergesetz seine neue Anwendung finden soll, um zu
verhindern, daß um einer Hand voll Wucherer die ganze Geschäftswelt unter
Polizeiaufsicht gestellt wird. Es ist doch tiefbetrübend, wenn man von einem
sittlich so ernsten, in seinen Folgen so schweren Gesetz mit einer Variation
des bekannten Kautschukparagraphen sagen soll:

Mit sozialpolitischer Quartanerweisheit löst man selbst in amtlichen Mo¬
tiven keine sozialen Probleme. Der gewichtige sozialpolitische Grund, der ein
Einschreiten der Gesetzgebung gegen wucherisches Treiben rechtfertigt und not¬
wendig macht, das ist keineswegs die unverhältnismäßig hohe Übervorteilung
des Schuldners, es ist vielmehr die dauernde wirtschaftliche Abhängigkeit, in
die der Bewucherte von dem die Schlingen fester und fester ziehenden Wucherer
gelangt. Hier liegt die große soziale Gefahr, hier aber auch der große, von
dem Entwurf nicht gewürdigte Unterschied zwischen den Kreditgeschäften und
den andern zweiseitigen, Zug um Zug zu erfüllenden Rechtsgeschäften. Nur
der Kredithandel zeigt diesen wirtschaftlichen Erfolg des Wuchers; dem Kauf¬
oder Tauschvertrag ist, mag auch das Verhältnis zwischen Leistung und Gegen¬
leistung noch so auffallend sein, die dauernde Abhängigkeit fremd.

Die einzige Schranke, die, von der Regierung selbst errichtet, übermäßiger
Willkür vorbeugen sollte, nämlich das Erfordernis, daß, außer in den früher.n
Fällen des Darlehns- und des Stundungswuchers, die wucherische Ausbeutung
gewohnheits- oder gewerbsmäßig erfolgen müsse, ist, wie bei der Besprechung
im Plenum des Reichstags vorauszusehen war, in der Kommission schon ge¬
fallen. Der Weg liegt also frei, unbehindert von allen lustigen Hemmnissen
werden Kriminalrichter und Staatsanwalt auf den Flügeln des Wucherthat¬
bestands den "Notleidenden," "Leichtsinnigen" und "Unerfahrenen" die neuen
Segnungen bringen können.


Wucher und Abzahlung

um einen unverhältnismäßig niedrigen Preis losschlüge, wer wollte den Käufer
vor der Strafe des Wuchers bewahren? Die wirtschaftlichen Ringe, die durch
künstliche Preissteigerung die Notlage der Konsumenten ausbeuten, würden auf
die einfachste Weise aus der Welt geschafft werden können, indem man ihre
Teilnehmer einfach ins Gefängnis setzte. Herr Friedmann würde sich bei der
Verteidigung auch der kühnsten Börsenjobber mit dem gesetzlichen Honorarsatz
von zwanzig Mark begnügen müssen. Und dreht sich nicht so mancher Landrat,
der jetzt im Parlament mit Eifer für den Regierungsentwnrf gegen Unredlich¬
keit und Unsittlichkeit eintritt, selbst seine Schlinge, da ja gerade diese Beamten
einen Gehalt beziehen, der in einem auffallenden Mißverhältnis zu ihren
Leistungen steht?

Was man zum mindesten hätte fordern könne», das wäre doch eine
präzise Fassung des Gesetzes gewesen, um aus ihr die Fälle herauslesen zu
können, für die das Wuchergesetz seine neue Anwendung finden soll, um zu
verhindern, daß um einer Hand voll Wucherer die ganze Geschäftswelt unter
Polizeiaufsicht gestellt wird. Es ist doch tiefbetrübend, wenn man von einem
sittlich so ernsten, in seinen Folgen so schweren Gesetz mit einer Variation
des bekannten Kautschukparagraphen sagen soll:

Mit sozialpolitischer Quartanerweisheit löst man selbst in amtlichen Mo¬
tiven keine sozialen Probleme. Der gewichtige sozialpolitische Grund, der ein
Einschreiten der Gesetzgebung gegen wucherisches Treiben rechtfertigt und not¬
wendig macht, das ist keineswegs die unverhältnismäßig hohe Übervorteilung
des Schuldners, es ist vielmehr die dauernde wirtschaftliche Abhängigkeit, in
die der Bewucherte von dem die Schlingen fester und fester ziehenden Wucherer
gelangt. Hier liegt die große soziale Gefahr, hier aber auch der große, von
dem Entwurf nicht gewürdigte Unterschied zwischen den Kreditgeschäften und
den andern zweiseitigen, Zug um Zug zu erfüllenden Rechtsgeschäften. Nur
der Kredithandel zeigt diesen wirtschaftlichen Erfolg des Wuchers; dem Kauf¬
oder Tauschvertrag ist, mag auch das Verhältnis zwischen Leistung und Gegen¬
leistung noch so auffallend sein, die dauernde Abhängigkeit fremd.

Die einzige Schranke, die, von der Regierung selbst errichtet, übermäßiger
Willkür vorbeugen sollte, nämlich das Erfordernis, daß, außer in den früher.n
Fällen des Darlehns- und des Stundungswuchers, die wucherische Ausbeutung
gewohnheits- oder gewerbsmäßig erfolgen müsse, ist, wie bei der Besprechung
im Plenum des Reichstags vorauszusehen war, in der Kommission schon ge¬
fallen. Der Weg liegt also frei, unbehindert von allen lustigen Hemmnissen
werden Kriminalrichter und Staatsanwalt auf den Flügeln des Wucherthat¬
bestands den „Notleidenden," „Leichtsinnigen" und „Unerfahrenen" die neuen
Segnungen bringen können.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/530>, abgerufen am 13.05.2024.