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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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telligcnz auf dieser Seite war und um die Verwirklichung der teuersten nationale"
Hoffnungen rang. Niemals ist bei ihm die ganze starre Härte des doktrinären
Partcimanns stärker hervorgetreten als in diesen Jahren. So lange die Be¬
wegung im Aufsteigen war und selbst den König mit sich fortriß, hat Gerlach
keine irgendwie bedeutende Rolle gespielt. Während der verhängnisvollen
Märztage war er in Berlin in der nächsten Umgebung des Monarchen und
widmete ihnen von Tag zu Tag ausführliche Aufzeichnungen, die Sybels Dar¬
stellung durchweg bestätigen oder ergänzen, aber befragt wurde er in ent¬
scheidenden Augenblicken nicht. Hatte er schon die mit so vielem Jubel be¬
grüßten Erlasse vom 18. März als "unselige Edikte" bezeichnet, so mußte ihm
die Nachgiebigkeit des Königs seit dem 1!>. und vollends der berufne Umritt
am 21. März, den der König nachmals selber als den schrecklichsten Tag seines
Lebens bezeichnete, als der Gipfel des Unheils erscheinen. Gesehen hat er ihn
nicht, weil er schon vorher nach Potsdam gegangen war, um den Oberbefehl
der Gardelandwehrbrigade zu übernehmen, und auch die befremdliche Rede des
Königs an seine Offiziere am 25. März hörte er nicht mit an, ließ sich aber
dann von einem Ohrenzeugen einen ausführlichen Bericht erstatten, den er mit¬
teilt. Er mußte sich in dieser Zeit damit begnügen, die höchst aufgeregten
und tief erbitterten Gardeoffiziere zu beschwichtigen. Er fand bei ihnen "Grimm
und Nichtachtung gegen den König vorherrschend." Noch im September, als
es sich um den Waffenstillstand mit Dänemark handelte, sagte selbst der König:
"Ich kann ihr öder Armee^ nicht verdenken daß sie, wenn sie glaubt, daß ich
sie hier preisgebe, Wilhelm ans den Thron setzt." Über die liberalen März¬
minister fällte Gerlach natürlich die herbsten Urteile. Er findet sie "unver-
antwortlich feige" gegenüber dem Berliner Pöbel und den "Fremden," spricht
von "völliger Unfähigkeit, Mutlosigkeit und Kriechen vor dem Pöbel." Be¬
sonders entschieden trat er ihnen zur Unterstützung des Königs entgegen, als
sie nicht übel Lust bezeigten, den Polen zuliebe den Krieg mit Nußland zu
beginnen und sich mit dem repnblikanisirten Frankreich zu verbinden. Man
sprach sogar schon von der Errichtung eines besondern polnischen Korps. Nur
der feste Entschluß des Königs, keinesfalls mit Rußland zu brechen und-sich
keinesfalls mit Frankreich zu verbinden, verhinderte nach Gerlachs Versicherung
damals im April 1848 den Krieg, der "ach seiner Ansicht "unser Ende" ge¬
wesen wäre. Die preußische Einmischung in Schleswig hielt er für höchst
bedenklich, weil er in der Erhebung Schleswig-Holsteins so gut wie in dem
Polnischen Aufruhr nur eine "traurige Episode," eine Empörung gegen den
rechtmäßigen Landesherrn sah; daher widmete er den dortige" Kämpfe" weiter
kein Interesse u"d schrieb unbefange" am 1. Mai: "Die Niederlage der Frei¬
scharen durch die Dünen jdes Kieler Turner- und Studentenkorps, der Blüte
der gebildeten Schleswig-holsteinischen Jugend in dem Heldenkampfe bei Bau
am 9. Aprils war eine Freude für die ^preußischen^ Truppen." Dem Austritt


Grenzboten I 1393 73
Leopold veri Gerlach

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Hoffnungen rang. Niemals ist bei ihm die ganze starre Härte des doktrinären
Partcimanns stärker hervorgetreten als in diesen Jahren. So lange die Be¬
wegung im Aufsteigen war und selbst den König mit sich fortriß, hat Gerlach
keine irgendwie bedeutende Rolle gespielt. Während der verhängnisvollen
Märztage war er in Berlin in der nächsten Umgebung des Monarchen und
widmete ihnen von Tag zu Tag ausführliche Aufzeichnungen, die Sybels Dar¬
stellung durchweg bestätigen oder ergänzen, aber befragt wurde er in ent¬
scheidenden Augenblicken nicht. Hatte er schon die mit so vielem Jubel be¬
grüßten Erlasse vom 18. März als „unselige Edikte" bezeichnet, so mußte ihm
die Nachgiebigkeit des Königs seit dem 1!>. und vollends der berufne Umritt
am 21. März, den der König nachmals selber als den schrecklichsten Tag seines
Lebens bezeichnete, als der Gipfel des Unheils erscheinen. Gesehen hat er ihn
nicht, weil er schon vorher nach Potsdam gegangen war, um den Oberbefehl
der Gardelandwehrbrigade zu übernehmen, und auch die befremdliche Rede des
Königs an seine Offiziere am 25. März hörte er nicht mit an, ließ sich aber
dann von einem Ohrenzeugen einen ausführlichen Bericht erstatten, den er mit¬
teilt. Er mußte sich in dieser Zeit damit begnügen, die höchst aufgeregten
und tief erbitterten Gardeoffiziere zu beschwichtigen. Er fand bei ihnen „Grimm
und Nichtachtung gegen den König vorherrschend." Noch im September, als
es sich um den Waffenstillstand mit Dänemark handelte, sagte selbst der König:
„Ich kann ihr öder Armee^ nicht verdenken daß sie, wenn sie glaubt, daß ich
sie hier preisgebe, Wilhelm ans den Thron setzt." Über die liberalen März¬
minister fällte Gerlach natürlich die herbsten Urteile. Er findet sie „unver-
antwortlich feige" gegenüber dem Berliner Pöbel und den „Fremden," spricht
von „völliger Unfähigkeit, Mutlosigkeit und Kriechen vor dem Pöbel." Be¬
sonders entschieden trat er ihnen zur Unterstützung des Königs entgegen, als
sie nicht übel Lust bezeigten, den Polen zuliebe den Krieg mit Nußland zu
beginnen und sich mit dem repnblikanisirten Frankreich zu verbinden. Man
sprach sogar schon von der Errichtung eines besondern polnischen Korps. Nur
der feste Entschluß des Königs, keinesfalls mit Rußland zu brechen und-sich
keinesfalls mit Frankreich zu verbinden, verhinderte nach Gerlachs Versicherung
damals im April 1848 den Krieg, der »ach seiner Ansicht „unser Ende" ge¬
wesen wäre. Die preußische Einmischung in Schleswig hielt er für höchst
bedenklich, weil er in der Erhebung Schleswig-Holsteins so gut wie in dem
Polnischen Aufruhr nur eine „traurige Episode," eine Empörung gegen den
rechtmäßigen Landesherrn sah; daher widmete er den dortige» Kämpfe» weiter
kein Interesse u»d schrieb unbefange» am 1. Mai: „Die Niederlage der Frei¬
scharen durch die Dünen jdes Kieler Turner- und Studentenkorps, der Blüte
der gebildeten Schleswig-holsteinischen Jugend in dem Heldenkampfe bei Bau
am 9. Aprils war eine Freude für die ^preußischen^ Truppen." Dem Austritt


Grenzboten I 1393 73
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/587>, abgerufen am 14.05.2024.