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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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gesteigerte Erfvlganbetllng uns keinem Gebiete so zerstörend und vergiftend wirken
muß, als eins dem der Litteratur und der Kunst. Der Streber, der im Staats¬
dienst aufwärts will und das Jahr für verloren hält, das ihm weder eine
Beförderung noch einen Orden bringt, kann dabei ein vorzüglicher und ein¬
sichtiger Beamter sein; der Tintenfabrikant, der eine Millionentinte erfindet,
die so schon blauschwarz ist, das; mit ihr im Wettkampfe keine andre mehr
aufkommt, kann ein höchst zuverlässiger und peinlich rechtlicher Geschäftsmann
bleiben; der Zirkus"artist," der in Kirchtnrmshvhe an einem Bindfaden hängt,
sodaß die Leute vor Bewunderung nicht mehr jubeln, sondern brüllen, ver¬
sündigt sich nicht gegen die Grundbedingungen und Aufgabe" seines gefähr¬
lichen "Berufs." Aber der Dichter, Schriftsteller oder Künstler, der den Er¬
folg um jeden Preis sucht, der den Glauben teilt, daß seine ganze Berech¬
tigung ausschließlich im Erfolg liege, der nichts nach Vortrefflichkeit, nach
innerer Wahrheit, nach Leben und künstlerischer Bollendung seiner Schöpfungen
und vollends nichts nach den Schranken seiner Begabung fragt, der Tag und
Nacht nur vou der äußern Wirkung träumt, für die ihm jedes Mittel recht
ist, bringt sich von vornherein um das Glück, das im Schaffen selbst liegt,
um jede reine Entwicklung, um die höchsten Ziele, um die Nnerkennug derer,
ans deren Anerkennung es doch zuletzt allein ankommt. Und dennoch ist die
Durchschuittswelt und auch die Durchschnittsmasse der Schriftsteller und Künstler
bellte zu dem jammervollsten Götzendienst des Erfolgs geneigt. Eine schlimmere
Losung noch, als die des vortrefflichen Kapitalisten, der den Ausruf that:
"Wer nicht Herr ist wenigstens einer Million, der ist, man verzeihe mir das
Wort, ein Schuft!" giebt die Presse ans, die jeden für einen Narren oder gar
für einen Idioten erklärt, der ,,keinen Erfolg hat." Ohne zu unterscheiden,
welche Art des Erfolgs bei grnndverschiednen Bestrebungen und Leistungen
überhaupt möglich sei, behandeln nenn Zehntel unsrer Zeitungen den aus¬
gezeichnetsten Musiker oder Kupferstecher mit souveräner Verachtung, und stehn
mit enthusiastischer oder auch neidischer Bewunderung dem seiltünzerischen, im
innersten Kern unmusikalischen Virtuosen, dem brutalsten subter, der eine
Leinwand mit Farben wie mit Mauerkalk bewirft, gegenüber. Es ist vergeb¬
lich, die Organe der "öffentlichen Meinung" wieder und wieder daran zu
mahne", daß sich eines nicht für alle schickt, und daß der Erfolg sehr oft der
schlechteste und immer der unsicherste Maßstab für Wert und Bedeutung wirk¬
licher Kunst ist, sie beharren dabei, nur erfolgreiche und erfolglose Schöpfungen
zu . kennen, sie sind unerschütterlich gewiß, daß die einen jederzeit die höher¬
stehenden, die andern die untergeordneten sein müssen, daß Börsenmükler und
Seifensieder die ausschlaggebenden Beurteiler des Tragikers, Zitherdilettauteu
und Männergesangvereinstenöre die berufnen Richter des Komponisten bleiben.
Sie betrachten jeden Künstler, der bewußtermaßen einen andern als den Nadan-
erfolg wünscht und sucht, als den Fuchs, der die unerreichbaren Trauben sauer


gesteigerte Erfvlganbetllng uns keinem Gebiete so zerstörend und vergiftend wirken
muß, als eins dem der Litteratur und der Kunst. Der Streber, der im Staats¬
dienst aufwärts will und das Jahr für verloren hält, das ihm weder eine
Beförderung noch einen Orden bringt, kann dabei ein vorzüglicher und ein¬
sichtiger Beamter sein; der Tintenfabrikant, der eine Millionentinte erfindet,
die so schon blauschwarz ist, das; mit ihr im Wettkampfe keine andre mehr
aufkommt, kann ein höchst zuverlässiger und peinlich rechtlicher Geschäftsmann
bleiben; der Zirkus„artist," der in Kirchtnrmshvhe an einem Bindfaden hängt,
sodaß die Leute vor Bewunderung nicht mehr jubeln, sondern brüllen, ver¬
sündigt sich nicht gegen die Grundbedingungen und Aufgabe» seines gefähr¬
lichen „Berufs." Aber der Dichter, Schriftsteller oder Künstler, der den Er¬
folg um jeden Preis sucht, der den Glauben teilt, daß seine ganze Berech¬
tigung ausschließlich im Erfolg liege, der nichts nach Vortrefflichkeit, nach
innerer Wahrheit, nach Leben und künstlerischer Bollendung seiner Schöpfungen
und vollends nichts nach den Schranken seiner Begabung fragt, der Tag und
Nacht nur vou der äußern Wirkung träumt, für die ihm jedes Mittel recht
ist, bringt sich von vornherein um das Glück, das im Schaffen selbst liegt,
um jede reine Entwicklung, um die höchsten Ziele, um die Nnerkennug derer,
ans deren Anerkennung es doch zuletzt allein ankommt. Und dennoch ist die
Durchschuittswelt und auch die Durchschnittsmasse der Schriftsteller und Künstler
bellte zu dem jammervollsten Götzendienst des Erfolgs geneigt. Eine schlimmere
Losung noch, als die des vortrefflichen Kapitalisten, der den Ausruf that:
„Wer nicht Herr ist wenigstens einer Million, der ist, man verzeihe mir das
Wort, ein Schuft!" giebt die Presse ans, die jeden für einen Narren oder gar
für einen Idioten erklärt, der ,,keinen Erfolg hat." Ohne zu unterscheiden,
welche Art des Erfolgs bei grnndverschiednen Bestrebungen und Leistungen
überhaupt möglich sei, behandeln nenn Zehntel unsrer Zeitungen den aus¬
gezeichnetsten Musiker oder Kupferstecher mit souveräner Verachtung, und stehn
mit enthusiastischer oder auch neidischer Bewunderung dem seiltünzerischen, im
innersten Kern unmusikalischen Virtuosen, dem brutalsten subter, der eine
Leinwand mit Farben wie mit Mauerkalk bewirft, gegenüber. Es ist vergeb¬
lich, die Organe der „öffentlichen Meinung" wieder und wieder daran zu
mahne», daß sich eines nicht für alle schickt, und daß der Erfolg sehr oft der
schlechteste und immer der unsicherste Maßstab für Wert und Bedeutung wirk¬
licher Kunst ist, sie beharren dabei, nur erfolgreiche und erfolglose Schöpfungen
zu . kennen, sie sind unerschütterlich gewiß, daß die einen jederzeit die höher¬
stehenden, die andern die untergeordneten sein müssen, daß Börsenmükler und
Seifensieder die ausschlaggebenden Beurteiler des Tragikers, Zitherdilettauteu
und Männergesangvereinstenöre die berufnen Richter des Komponisten bleiben.
Sie betrachten jeden Künstler, der bewußtermaßen einen andern als den Nadan-
erfolg wünscht und sucht, als den Fuchs, der die unerreichbaren Trauben sauer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/589>, abgerufen am 14.05.2024.