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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Innere Kolonisation

Bauer aber verkauft, nicht weil er die Konkurrenz des Großbetriebs nicht aus¬
zuhalten vermöchte/ sondern weil er der Verlockung, Rentner zu werden, nicht
widerstehen kann.

Durch die Ansiedlungsgesetzgebung ist nun glücklicherweise eine Rückbildung
eingeleitet worden. Das Gesetz vom 26. April 1886, betreffend die Beför¬
derung von Ansiedlungen in Posen und Westpreußen, war seit dem Unter¬
gange des anviön rvZ'uns in Preußen der erste Versuch einer Kolonisation
großen Stils. "Niemand bezweifelte, daß dieses Gesetz als Vorläufer einer
den ganzen Staat umfassenden organischen Neubildung anzusehen sei, und diese
Erwartung wurde erfüllt durch Erlaß des Rentengutsgesetzes von 27. Juni
1890 und des praktisch wichtigern vom 7. Juli 1891, betreffend die Be¬
förderung der Errichtung von Rentengütern. Das erstere schafft eine neue
Privatrechtliche, das zweite die öffentlichrechtliche Grundlage der Kolonisations¬
thätigkeit in folgender Weise: 1. Das Nentengutsgesetz durchbricht die bis¬
herige Geschlossenheit der größern Besitzungen. Die Veräußerung von Grund-
stücken zur Bildung von Rentengütern ist nicht gebunden an die Einwilligung
von Fideikvmmißanwcirtern und Hhpothelcngläubigeru, vorausgesetzt, daß die
Generalkommission ein Unschädlichkeitsattest erteilt. 2. Das Wesen des Renten¬
guts liegt darin, daß es das Grundeigentum mit einer festen Geld- oder
Körnerrente belastet, deren Kündigung überhaupt oder auf einen lungern Zeit¬
raum, als es die bisherige Gesetzgebung gestattete (dreißig Jahre), vertrags¬
mäßig ausgeschlossen sein kann. Man verfolgte mit der Wiederbelebung dieser
Rechtsform einen doppelten Zweck. Erstens sollte sie dem wenig bemittelten
Ansiedler die Möglichkeit geben, unter Vermeidung der Kapitalverschuldung
Grundeigentum ohne oder gegen geringe Anzahlung zu erwerben. In dieser
Richtung bildet das Rentengutsgesetz den Versuch einer juristischen Kon¬
struktion des Nodbertusschen Gedankens, daß der Grundbesitz ein immer¬
währender Rentenfonds sei, der zwar mit einer Rentenschuld belastet, aber
nicht als Kapital behandelt werden könne, ohne die Existenz der Grundbesitzer
zu gefährden. Sodann wollte man die neu zu begründenden Stellen vor dem
zerstörenden Einfluß des freien Grundbesitzverkehrs und der Güterschlüchterei
bis zu einem gewissen Maße sicher stellen."

Den Generalkommissionen sind bis jetzt rund 150 000 Hektar angeboten
worden. Von der auf diese Weise eingeleiteten Kolonisation verspricht sich
Sering außer der Vermehrung der spannfähigen Stellen die Hebung der Land¬
wirtschaft der östlichen Provinzen auf die Höhe der fortgeschrittenen west¬
lichen, da die neuen Ansiedler zum Teil aus den Gegenden mit höchster Kultur
kommen. Dem Wunsche des Verfassers, daß die Zahl der Ansiedler recht groß
werden möge, schließen wir uns von Herzen an, nicht minder seiner Begründung.
"Das rapide Anwachsen der Großstädte bedeutet eine fortschreitende Ver¬
schlechterung unsers Volkstums. Wie sich auch immer die gewerbliche Ver-


Innere Kolonisation

Bauer aber verkauft, nicht weil er die Konkurrenz des Großbetriebs nicht aus¬
zuhalten vermöchte/ sondern weil er der Verlockung, Rentner zu werden, nicht
widerstehen kann.

Durch die Ansiedlungsgesetzgebung ist nun glücklicherweise eine Rückbildung
eingeleitet worden. Das Gesetz vom 26. April 1886, betreffend die Beför¬
derung von Ansiedlungen in Posen und Westpreußen, war seit dem Unter¬
gange des anviön rvZ'uns in Preußen der erste Versuch einer Kolonisation
großen Stils. „Niemand bezweifelte, daß dieses Gesetz als Vorläufer einer
den ganzen Staat umfassenden organischen Neubildung anzusehen sei, und diese
Erwartung wurde erfüllt durch Erlaß des Rentengutsgesetzes von 27. Juni
1890 und des praktisch wichtigern vom 7. Juli 1891, betreffend die Be¬
förderung der Errichtung von Rentengütern. Das erstere schafft eine neue
Privatrechtliche, das zweite die öffentlichrechtliche Grundlage der Kolonisations¬
thätigkeit in folgender Weise: 1. Das Nentengutsgesetz durchbricht die bis¬
herige Geschlossenheit der größern Besitzungen. Die Veräußerung von Grund-
stücken zur Bildung von Rentengütern ist nicht gebunden an die Einwilligung
von Fideikvmmißanwcirtern und Hhpothelcngläubigeru, vorausgesetzt, daß die
Generalkommission ein Unschädlichkeitsattest erteilt. 2. Das Wesen des Renten¬
guts liegt darin, daß es das Grundeigentum mit einer festen Geld- oder
Körnerrente belastet, deren Kündigung überhaupt oder auf einen lungern Zeit¬
raum, als es die bisherige Gesetzgebung gestattete (dreißig Jahre), vertrags¬
mäßig ausgeschlossen sein kann. Man verfolgte mit der Wiederbelebung dieser
Rechtsform einen doppelten Zweck. Erstens sollte sie dem wenig bemittelten
Ansiedler die Möglichkeit geben, unter Vermeidung der Kapitalverschuldung
Grundeigentum ohne oder gegen geringe Anzahlung zu erwerben. In dieser
Richtung bildet das Rentengutsgesetz den Versuch einer juristischen Kon¬
struktion des Nodbertusschen Gedankens, daß der Grundbesitz ein immer¬
währender Rentenfonds sei, der zwar mit einer Rentenschuld belastet, aber
nicht als Kapital behandelt werden könne, ohne die Existenz der Grundbesitzer
zu gefährden. Sodann wollte man die neu zu begründenden Stellen vor dem
zerstörenden Einfluß des freien Grundbesitzverkehrs und der Güterschlüchterei
bis zu einem gewissen Maße sicher stellen."

Den Generalkommissionen sind bis jetzt rund 150 000 Hektar angeboten
worden. Von der auf diese Weise eingeleiteten Kolonisation verspricht sich
Sering außer der Vermehrung der spannfähigen Stellen die Hebung der Land¬
wirtschaft der östlichen Provinzen auf die Höhe der fortgeschrittenen west¬
lichen, da die neuen Ansiedler zum Teil aus den Gegenden mit höchster Kultur
kommen. Dem Wunsche des Verfassers, daß die Zahl der Ansiedler recht groß
werden möge, schließen wir uns von Herzen an, nicht minder seiner Begründung.
"Das rapide Anwachsen der Großstädte bedeutet eine fortschreitende Ver¬
schlechterung unsers Volkstums. Wie sich auch immer die gewerbliche Ver-


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[0260] Innere Kolonisation Bauer aber verkauft, nicht weil er die Konkurrenz des Großbetriebs nicht aus¬ zuhalten vermöchte/ sondern weil er der Verlockung, Rentner zu werden, nicht widerstehen kann. Durch die Ansiedlungsgesetzgebung ist nun glücklicherweise eine Rückbildung eingeleitet worden. Das Gesetz vom 26. April 1886, betreffend die Beför¬ derung von Ansiedlungen in Posen und Westpreußen, war seit dem Unter¬ gange des anviön rvZ'uns in Preußen der erste Versuch einer Kolonisation großen Stils. „Niemand bezweifelte, daß dieses Gesetz als Vorläufer einer den ganzen Staat umfassenden organischen Neubildung anzusehen sei, und diese Erwartung wurde erfüllt durch Erlaß des Rentengutsgesetzes von 27. Juni 1890 und des praktisch wichtigern vom 7. Juli 1891, betreffend die Be¬ förderung der Errichtung von Rentengütern. Das erstere schafft eine neue Privatrechtliche, das zweite die öffentlichrechtliche Grundlage der Kolonisations¬ thätigkeit in folgender Weise: 1. Das Nentengutsgesetz durchbricht die bis¬ herige Geschlossenheit der größern Besitzungen. Die Veräußerung von Grund- stücken zur Bildung von Rentengütern ist nicht gebunden an die Einwilligung von Fideikvmmißanwcirtern und Hhpothelcngläubigeru, vorausgesetzt, daß die Generalkommission ein Unschädlichkeitsattest erteilt. 2. Das Wesen des Renten¬ guts liegt darin, daß es das Grundeigentum mit einer festen Geld- oder Körnerrente belastet, deren Kündigung überhaupt oder auf einen lungern Zeit¬ raum, als es die bisherige Gesetzgebung gestattete (dreißig Jahre), vertrags¬ mäßig ausgeschlossen sein kann. Man verfolgte mit der Wiederbelebung dieser Rechtsform einen doppelten Zweck. Erstens sollte sie dem wenig bemittelten Ansiedler die Möglichkeit geben, unter Vermeidung der Kapitalverschuldung Grundeigentum ohne oder gegen geringe Anzahlung zu erwerben. In dieser Richtung bildet das Rentengutsgesetz den Versuch einer juristischen Kon¬ struktion des Nodbertusschen Gedankens, daß der Grundbesitz ein immer¬ währender Rentenfonds sei, der zwar mit einer Rentenschuld belastet, aber nicht als Kapital behandelt werden könne, ohne die Existenz der Grundbesitzer zu gefährden. Sodann wollte man die neu zu begründenden Stellen vor dem zerstörenden Einfluß des freien Grundbesitzverkehrs und der Güterschlüchterei bis zu einem gewissen Maße sicher stellen." Den Generalkommissionen sind bis jetzt rund 150 000 Hektar angeboten worden. Von der auf diese Weise eingeleiteten Kolonisation verspricht sich Sering außer der Vermehrung der spannfähigen Stellen die Hebung der Land¬ wirtschaft der östlichen Provinzen auf die Höhe der fortgeschrittenen west¬ lichen, da die neuen Ansiedler zum Teil aus den Gegenden mit höchster Kultur kommen. Dem Wunsche des Verfassers, daß die Zahl der Ansiedler recht groß werden möge, schließen wir uns von Herzen an, nicht minder seiner Begründung. "Das rapide Anwachsen der Großstädte bedeutet eine fortschreitende Ver¬ schlechterung unsers Volkstums. Wie sich auch immer die gewerbliche Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/260>, abgerufen am 29.05.2024.