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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Zur Naturgeschichte des Pessimismus

Mutter, von denen einige schon früher veröffentlicht waren, entnehmen wir
folgende Sätze. "Wie ists mit deinem Humor?" schrieb sie am 6. Oktober
1806 dem achtzehnjährigen Arthur, der in Hamburg die Handlung lernte,
"bist du noch oft verdrießlich? oder nimmst du mit dieser närrischen Welt
vorlieb, weil eben keine bessere zur Hand ist?" Und in dein schon bekannten
laugen Briefe, der die Schlacht bei Jena und das Kriegselend schildert: "Ich
konnte dir Dinge erzählen, worüber dir das Haar emporsträuben würde, aber
ich will es nicht, denn ich kenne ohnehin, wie gerne du über das Elend der
Menschen brütest." In einem spätern Briefe (vom 10. März 1807) versucht
sie einmal, seine angeborne Melancholie als vorübergehende Stimmung aus
dem Lebensalter und deu Umständen zu erklären. "Daß dir in der Welt und
in deiner Haut nicht Wohl ist, würde mir bange machen, wenn ich nicht wüßte,
daß es gerade jedem in deinem Alter so ist, den die Natur nicht von Hause
ans zu einem Klotz bestimmte, du wirst bald mit dir selbst ins Reine kommen,
und dann wird die Welt dir auch gefallen, wenn du nur immer Frieden mit
dir selbst zu erhalten weißt; freilich, mein armer lieber Arthur, dir wird in
deiner isolirten Lage der Übergang ins wirkliche Leben schwerer als andern."
Ein paar Tage später aber gesteht sie sich und ihm die eigentliche Quelle des
Übels ein. "Daß du mit deiner ganzen Situation unzufrieden warst, wußte
ich längst, dies kümmerte mich aber nicht viel, du weißt, welchen Gründen
ich dein Mißvergnügen zuschrieb, dazu kam, daß ich nur zu gut weiß, wie
wenig dir von frohen Sinn der Jugend ward, wie viel Anlage zu schwer¬
mütigen Grübeleien du von deinem Vater zum traurigen Erbteil beläuft."
Dazu litt er uoch an Schwerhörigkeit, die ja allein schon hinreicht, selbst einen
gebornen Sanguiniker melancholisch zu machen, und hatte ein paar Jahre der
schönsten Knabenzeit in einer wahrhaft scheußlich eingerichteten englischen Er¬
zieh ungsanstalt zugebracht.

Hätte er seiue Jugend in Italien verleben dürfen, wer weiß, ob die
freundlichen Eindrücke dieses Landes nicht hingereicht hätten, sein Blut zu
klären und seineu Gedanken eine andre Richtung zu geben. Bei seinem zweiten
Aufenthalt dort schrieb er am 29. Oktober 1822 an seinen Freund Osann,")
den er das erstemal in Italien kennen gelernt hatte, von Florenz: "Ich fand,
daß alles, was unmittelbar ans den Händen der Natur kommt, Himmel, Erde,
Pflanzen, Bäume, Tiere, Menschengesichter, hier so ist, wie es eigentlich sein
soll: bei uns nur so, wie es zur Not sein kann." Schon die Aussicht auf



Briefe von, an und über Schopenhauer. Mit Anmerkungen und biographischen Aunlekteu
herausgegeben von Ludwig Schemann, Nebst zwei Porträts Schopenhauers von Ruht
und Lenbach, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1893. Der Verfasser hat sich seiner Aufgabe mit
der Pietät und Wärme des Jüngers und mit der gewissenhaften Sorgfalt des Philologen
und Nrkundeuforschers entledigt.
*) Der bekannte Philologe, der 1858 in Gießen gestorben ist.
Zur Naturgeschichte des Pessimismus

Mutter, von denen einige schon früher veröffentlicht waren, entnehmen wir
folgende Sätze. „Wie ists mit deinem Humor?" schrieb sie am 6. Oktober
1806 dem achtzehnjährigen Arthur, der in Hamburg die Handlung lernte,
„bist du noch oft verdrießlich? oder nimmst du mit dieser närrischen Welt
vorlieb, weil eben keine bessere zur Hand ist?" Und in dein schon bekannten
laugen Briefe, der die Schlacht bei Jena und das Kriegselend schildert: „Ich
konnte dir Dinge erzählen, worüber dir das Haar emporsträuben würde, aber
ich will es nicht, denn ich kenne ohnehin, wie gerne du über das Elend der
Menschen brütest." In einem spätern Briefe (vom 10. März 1807) versucht
sie einmal, seine angeborne Melancholie als vorübergehende Stimmung aus
dem Lebensalter und deu Umständen zu erklären. „Daß dir in der Welt und
in deiner Haut nicht Wohl ist, würde mir bange machen, wenn ich nicht wüßte,
daß es gerade jedem in deinem Alter so ist, den die Natur nicht von Hause
ans zu einem Klotz bestimmte, du wirst bald mit dir selbst ins Reine kommen,
und dann wird die Welt dir auch gefallen, wenn du nur immer Frieden mit
dir selbst zu erhalten weißt; freilich, mein armer lieber Arthur, dir wird in
deiner isolirten Lage der Übergang ins wirkliche Leben schwerer als andern."
Ein paar Tage später aber gesteht sie sich und ihm die eigentliche Quelle des
Übels ein. „Daß du mit deiner ganzen Situation unzufrieden warst, wußte
ich längst, dies kümmerte mich aber nicht viel, du weißt, welchen Gründen
ich dein Mißvergnügen zuschrieb, dazu kam, daß ich nur zu gut weiß, wie
wenig dir von frohen Sinn der Jugend ward, wie viel Anlage zu schwer¬
mütigen Grübeleien du von deinem Vater zum traurigen Erbteil beläuft."
Dazu litt er uoch an Schwerhörigkeit, die ja allein schon hinreicht, selbst einen
gebornen Sanguiniker melancholisch zu machen, und hatte ein paar Jahre der
schönsten Knabenzeit in einer wahrhaft scheußlich eingerichteten englischen Er¬
zieh ungsanstalt zugebracht.

Hätte er seiue Jugend in Italien verleben dürfen, wer weiß, ob die
freundlichen Eindrücke dieses Landes nicht hingereicht hätten, sein Blut zu
klären und seineu Gedanken eine andre Richtung zu geben. Bei seinem zweiten
Aufenthalt dort schrieb er am 29. Oktober 1822 an seinen Freund Osann,")
den er das erstemal in Italien kennen gelernt hatte, von Florenz: „Ich fand,
daß alles, was unmittelbar ans den Händen der Natur kommt, Himmel, Erde,
Pflanzen, Bäume, Tiere, Menschengesichter, hier so ist, wie es eigentlich sein
soll: bei uns nur so, wie es zur Not sein kann." Schon die Aussicht auf



Briefe von, an und über Schopenhauer. Mit Anmerkungen und biographischen Aunlekteu
herausgegeben von Ludwig Schemann, Nebst zwei Porträts Schopenhauers von Ruht
und Lenbach, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1893. Der Verfasser hat sich seiner Aufgabe mit
der Pietät und Wärme des Jüngers und mit der gewissenhaften Sorgfalt des Philologen
und Nrkundeuforschers entledigt.
*) Der bekannte Philologe, der 1858 in Gießen gestorben ist.
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[0356] Zur Naturgeschichte des Pessimismus Mutter, von denen einige schon früher veröffentlicht waren, entnehmen wir folgende Sätze. „Wie ists mit deinem Humor?" schrieb sie am 6. Oktober 1806 dem achtzehnjährigen Arthur, der in Hamburg die Handlung lernte, „bist du noch oft verdrießlich? oder nimmst du mit dieser närrischen Welt vorlieb, weil eben keine bessere zur Hand ist?" Und in dein schon bekannten laugen Briefe, der die Schlacht bei Jena und das Kriegselend schildert: „Ich konnte dir Dinge erzählen, worüber dir das Haar emporsträuben würde, aber ich will es nicht, denn ich kenne ohnehin, wie gerne du über das Elend der Menschen brütest." In einem spätern Briefe (vom 10. März 1807) versucht sie einmal, seine angeborne Melancholie als vorübergehende Stimmung aus dem Lebensalter und deu Umständen zu erklären. „Daß dir in der Welt und in deiner Haut nicht Wohl ist, würde mir bange machen, wenn ich nicht wüßte, daß es gerade jedem in deinem Alter so ist, den die Natur nicht von Hause ans zu einem Klotz bestimmte, du wirst bald mit dir selbst ins Reine kommen, und dann wird die Welt dir auch gefallen, wenn du nur immer Frieden mit dir selbst zu erhalten weißt; freilich, mein armer lieber Arthur, dir wird in deiner isolirten Lage der Übergang ins wirkliche Leben schwerer als andern." Ein paar Tage später aber gesteht sie sich und ihm die eigentliche Quelle des Übels ein. „Daß du mit deiner ganzen Situation unzufrieden warst, wußte ich längst, dies kümmerte mich aber nicht viel, du weißt, welchen Gründen ich dein Mißvergnügen zuschrieb, dazu kam, daß ich nur zu gut weiß, wie wenig dir von frohen Sinn der Jugend ward, wie viel Anlage zu schwer¬ mütigen Grübeleien du von deinem Vater zum traurigen Erbteil beläuft." Dazu litt er uoch an Schwerhörigkeit, die ja allein schon hinreicht, selbst einen gebornen Sanguiniker melancholisch zu machen, und hatte ein paar Jahre der schönsten Knabenzeit in einer wahrhaft scheußlich eingerichteten englischen Er¬ zieh ungsanstalt zugebracht. Hätte er seiue Jugend in Italien verleben dürfen, wer weiß, ob die freundlichen Eindrücke dieses Landes nicht hingereicht hätten, sein Blut zu klären und seineu Gedanken eine andre Richtung zu geben. Bei seinem zweiten Aufenthalt dort schrieb er am 29. Oktober 1822 an seinen Freund Osann,") den er das erstemal in Italien kennen gelernt hatte, von Florenz: „Ich fand, daß alles, was unmittelbar ans den Händen der Natur kommt, Himmel, Erde, Pflanzen, Bäume, Tiere, Menschengesichter, hier so ist, wie es eigentlich sein soll: bei uns nur so, wie es zur Not sein kann." Schon die Aussicht auf Briefe von, an und über Schopenhauer. Mit Anmerkungen und biographischen Aunlekteu herausgegeben von Ludwig Schemann, Nebst zwei Porträts Schopenhauers von Ruht und Lenbach, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1893. Der Verfasser hat sich seiner Aufgabe mit der Pietät und Wärme des Jüngers und mit der gewissenhaften Sorgfalt des Philologen und Nrkundeuforschers entledigt. *) Der bekannte Philologe, der 1858 in Gießen gestorben ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/356>, abgerufen am 19.05.2024.