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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder ans dem Westen

daß auch das frisch geschlachtete Schweinefleisch 48 Stunden einer Abkühlung
von 40 Grad Fahrenheit 4^/z Grad Celsius) ausgesetzt werde, natür¬
lich wenn Geschäft und Nachfrage diesen Zeitverlust gestatten. Doch ist der
Verbrauch in manchen Tagen übergroß, wie gerade in den letzten, wo 40 bis
50000 Pfund Wurst täglich fertig gemacht werden mußten. In einzelnen
Gefrierräumen wird beständig eine Temperatur von 20 Grad Fahrenheit
-- 11 Grad Celsius) gehalten; dort sah man steinharte Schweine- und
Ochsenviertel, Hammelkeule" und gerupftes Geflügel aller Art, Rehböcke und
Bäreuschiukeu, die seit Jahren da als Vorrat hingen. Wenn man ans Dampfern
oder in Hotels an allem Wildpret oder Geflügel zu gewissen Jahreszeiten
immer denselben eigentümlichen "Hvtelgeschmack" wahrnimmt, so braucht einen
dus also nicht zu wundern. Jedenfalls sind die beim Kochen oder Braten
auflauerten Bazillen daran schuld.

Außer der Abkühlung spielt der Pökel- und Räncherprvzeß eine wichtige
Rolle. Nachdem das Schwein geschlachtet, gebrüht, rasirt, geköpft und ge¬
vierteilt ist, wird es, natürlich wenn es die überstürzte Nachfrage gestattet,
achtundvierzig Stunden in den Kälteraum von 4'/z Grad Celsius gehängt
und dann dreißig Tage laug bei 34 Grad Fahrenheit 1 Grad Celsius)
Abkühlung gepökelt (mit Salpeter, Salz, Sago u. s. w.) und wenn es fürs
Ausland bestimmt ist. fünf bis zehn Tage länger. 60000 bis 85000 Pfund
hängen immer im Näucherhause, jedes Stück drei Tage laug, nachdem es
achtzig Tage lang gepökelt ist.

Um dem Leser nicht den Appetit zu verderben, verweile ich nicht in dem
?ort>iliMr, der Guauvfabrik, sondern führe mir kurz an, ohne mich bei den
großartigen mechanischen und chemischen Apparaten aufzuhalten, daß durch
gewaltige Stampf- und Druckmaschinen alle Überschüsse wie Blut, Exkremente,
Abfälle u. s. w. gemahlen und gepreßt werden und in Form von großen
runden Broden von Siegellackfestigkeit und brauner Farbe als künstlicher Dünger
in den Handel gebracht werden.

Beim Durchschreiten der vielen Säle, die der Kisten-, der Farben-, der
Essenzenfabrikation dienten, kamen wir auch gelegentlich durch ein größeres
chemisches Laboratorium, wo außer Fleischextrnkt auch Pepsin hergestellt wurde
auf dem Wege der "Präcipitation" und auch durch den Trvckenprozeß. Dann
standen wir wieder in einem langen Saal mit unabsehbar laugen Tischen,
auf denen hellgelbe und dunkelgelbe Teppiche in allen möglichen Schattirungen
aufgerollt wurden. Dann wurde" sie wie Teig mit Farbstoff durchgeknetet
und wieder aufgerollt, zuletzt in Hvlzfässer gedrückt Und verschlossen. Man
gab uns davon zu kosten. Es war die schönste Grasbntter mit richtigem
Maibuttergcschmack, wiewohl sie aus Nieren- und Darmfett hergestellt war.
Die Farben lieferten die Farbenbüchsen auf deu Regalen an der Wand, und
die herzhaften Maikräutergerüche stammten von den unzähligen Essenzflaschen,


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daß auch das frisch geschlachtete Schweinefleisch 48 Stunden einer Abkühlung
von 40 Grad Fahrenheit 4^/z Grad Celsius) ausgesetzt werde, natür¬
lich wenn Geschäft und Nachfrage diesen Zeitverlust gestatten. Doch ist der
Verbrauch in manchen Tagen übergroß, wie gerade in den letzten, wo 40 bis
50000 Pfund Wurst täglich fertig gemacht werden mußten. In einzelnen
Gefrierräumen wird beständig eine Temperatur von 20 Grad Fahrenheit
— 11 Grad Celsius) gehalten; dort sah man steinharte Schweine- und
Ochsenviertel, Hammelkeule» und gerupftes Geflügel aller Art, Rehböcke und
Bäreuschiukeu, die seit Jahren da als Vorrat hingen. Wenn man ans Dampfern
oder in Hotels an allem Wildpret oder Geflügel zu gewissen Jahreszeiten
immer denselben eigentümlichen „Hvtelgeschmack" wahrnimmt, so braucht einen
dus also nicht zu wundern. Jedenfalls sind die beim Kochen oder Braten
auflauerten Bazillen daran schuld.

Außer der Abkühlung spielt der Pökel- und Räncherprvzeß eine wichtige
Rolle. Nachdem das Schwein geschlachtet, gebrüht, rasirt, geköpft und ge¬
vierteilt ist, wird es, natürlich wenn es die überstürzte Nachfrage gestattet,
achtundvierzig Stunden in den Kälteraum von 4'/z Grad Celsius gehängt
und dann dreißig Tage laug bei 34 Grad Fahrenheit 1 Grad Celsius)
Abkühlung gepökelt (mit Salpeter, Salz, Sago u. s. w.) und wenn es fürs
Ausland bestimmt ist. fünf bis zehn Tage länger. 60000 bis 85000 Pfund
hängen immer im Näucherhause, jedes Stück drei Tage laug, nachdem es
achtzig Tage lang gepökelt ist.

Um dem Leser nicht den Appetit zu verderben, verweile ich nicht in dem
?ort>iliMr, der Guauvfabrik, sondern führe mir kurz an, ohne mich bei den
großartigen mechanischen und chemischen Apparaten aufzuhalten, daß durch
gewaltige Stampf- und Druckmaschinen alle Überschüsse wie Blut, Exkremente,
Abfälle u. s. w. gemahlen und gepreßt werden und in Form von großen
runden Broden von Siegellackfestigkeit und brauner Farbe als künstlicher Dünger
in den Handel gebracht werden.

Beim Durchschreiten der vielen Säle, die der Kisten-, der Farben-, der
Essenzenfabrikation dienten, kamen wir auch gelegentlich durch ein größeres
chemisches Laboratorium, wo außer Fleischextrnkt auch Pepsin hergestellt wurde
auf dem Wege der „Präcipitation" und auch durch den Trvckenprozeß. Dann
standen wir wieder in einem langen Saal mit unabsehbar laugen Tischen,
auf denen hellgelbe und dunkelgelbe Teppiche in allen möglichen Schattirungen
aufgerollt wurden. Dann wurde» sie wie Teig mit Farbstoff durchgeknetet
und wieder aufgerollt, zuletzt in Hvlzfässer gedrückt Und verschlossen. Man
gab uns davon zu kosten. Es war die schönste Grasbntter mit richtigem
Maibuttergcschmack, wiewohl sie aus Nieren- und Darmfett hergestellt war.
Die Farben lieferten die Farbenbüchsen auf deu Regalen an der Wand, und
die herzhaften Maikräutergerüche stammten von den unzähligen Essenzflaschen,


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[0422] Bilder ans dem Westen daß auch das frisch geschlachtete Schweinefleisch 48 Stunden einer Abkühlung von 40 Grad Fahrenheit 4^/z Grad Celsius) ausgesetzt werde, natür¬ lich wenn Geschäft und Nachfrage diesen Zeitverlust gestatten. Doch ist der Verbrauch in manchen Tagen übergroß, wie gerade in den letzten, wo 40 bis 50000 Pfund Wurst täglich fertig gemacht werden mußten. In einzelnen Gefrierräumen wird beständig eine Temperatur von 20 Grad Fahrenheit — 11 Grad Celsius) gehalten; dort sah man steinharte Schweine- und Ochsenviertel, Hammelkeule» und gerupftes Geflügel aller Art, Rehböcke und Bäreuschiukeu, die seit Jahren da als Vorrat hingen. Wenn man ans Dampfern oder in Hotels an allem Wildpret oder Geflügel zu gewissen Jahreszeiten immer denselben eigentümlichen „Hvtelgeschmack" wahrnimmt, so braucht einen dus also nicht zu wundern. Jedenfalls sind die beim Kochen oder Braten auflauerten Bazillen daran schuld. Außer der Abkühlung spielt der Pökel- und Räncherprvzeß eine wichtige Rolle. Nachdem das Schwein geschlachtet, gebrüht, rasirt, geköpft und ge¬ vierteilt ist, wird es, natürlich wenn es die überstürzte Nachfrage gestattet, achtundvierzig Stunden in den Kälteraum von 4'/z Grad Celsius gehängt und dann dreißig Tage laug bei 34 Grad Fahrenheit 1 Grad Celsius) Abkühlung gepökelt (mit Salpeter, Salz, Sago u. s. w.) und wenn es fürs Ausland bestimmt ist. fünf bis zehn Tage länger. 60000 bis 85000 Pfund hängen immer im Näucherhause, jedes Stück drei Tage laug, nachdem es achtzig Tage lang gepökelt ist. Um dem Leser nicht den Appetit zu verderben, verweile ich nicht in dem ?ort>iliMr, der Guauvfabrik, sondern führe mir kurz an, ohne mich bei den großartigen mechanischen und chemischen Apparaten aufzuhalten, daß durch gewaltige Stampf- und Druckmaschinen alle Überschüsse wie Blut, Exkremente, Abfälle u. s. w. gemahlen und gepreßt werden und in Form von großen runden Broden von Siegellackfestigkeit und brauner Farbe als künstlicher Dünger in den Handel gebracht werden. Beim Durchschreiten der vielen Säle, die der Kisten-, der Farben-, der Essenzenfabrikation dienten, kamen wir auch gelegentlich durch ein größeres chemisches Laboratorium, wo außer Fleischextrnkt auch Pepsin hergestellt wurde auf dem Wege der „Präcipitation" und auch durch den Trvckenprozeß. Dann standen wir wieder in einem langen Saal mit unabsehbar laugen Tischen, auf denen hellgelbe und dunkelgelbe Teppiche in allen möglichen Schattirungen aufgerollt wurden. Dann wurde» sie wie Teig mit Farbstoff durchgeknetet und wieder aufgerollt, zuletzt in Hvlzfässer gedrückt Und verschlossen. Man gab uns davon zu kosten. Es war die schönste Grasbntter mit richtigem Maibuttergcschmack, wiewohl sie aus Nieren- und Darmfett hergestellt war. Die Farben lieferten die Farbenbüchsen auf deu Regalen an der Wand, und die herzhaften Maikräutergerüche stammten von den unzähligen Essenzflaschen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/422>, abgerufen am 27.05.2024.