Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

lange über Grundrechte haderte, bis es keinen Grund mehr nnter den Füßen
hatte; als es für einen Ausländer, z. B. einen Offenbacher oder Haiinner,
nur ein Mittel gab, das Frankfurter Bürgerrecht zu erwerbe", nämlich die Ver¬
heiratung mit einer Bürgerstochter (und mich dann fallen ihm die republi¬
kanische" Behörden gewöhnlich mit ihre"! größten Lnndsmanne zngerafen
haben: du mußt es dreimal sagen! -- damit er die Taxen dreimal entrichtete);
als endlich sogar die Angehörigen des Hauses Rothschild nicht die Spazier¬
wege um die alte Stadt, sondern mir die Fahrstraße daneben benutzen durften,
und der Einfall, einen Juden zum Abgeordneten zu Wahlen, Entrttstnug und
Höh" hervorgerufen haben würde. Im übrige" bekümmerte an" sich wenig
"in die damalige" Bewohner der so oft geschilderten "Gasse"; als sie vom
Bode" weichen mußte, war sie längst zum Schlupfwinkel für Elend und Laster
geworden.

Die Nichtbeachtung der finstern Gasse mochte manches angenehme habe",
mein Freund B. sollte jedoch die Kehrseite kennen lernen. Als er sich wegen
des erwähnten unentbehrlichen Reisecrfordernisses auf der Frankfurter Polizei
meldete, um die Universität Bonn beziehen zu können, ward ihm der über¬
raschende Bescheid, er sei kein Frankfurter, obwohl er dort geboren war, denn
daß sich sein Vater in Frankfurt niedergelassen habe, mache Vater und Sohn
noch nicht heimatberechtigt; er möge sich nach Preußen wenden. Er schrieb
denn auch an die Behörde in seines Vaters Heimat, aber auch die wollte von
den: jungen Manne nichts wissen; der Vater hatte durch langjährige Abwesen¬
heit sein Heimatrecht eingebüßt. Also weder Frankfurter, uoch Preuße, sondern
heimatlos! Der Fall war nicht ganz unerhört. Mancher Künstler, der nach
langem Aufenthalt in Rom mit einer dort erworbnen Familie heimkehrte,
wurde da belehrt, daß seine Nachkommenschaft kein Recht zu existiren habe.
Wie war das Versäumte nachzuholen?

B. suchte bei einem Advokaten Rat, und der empfahl ihm, sich auf einem
Umwege zu einem Vaterlande zu verhelfen. Und das that er. Er fuhr den
Rhein hiucib und meldete sich in der Kreisstadt zum einjährigen Dienste.
Aber wieder kam eine traurige Autwort: er stand nicht in den Listen und
konnte daher uicht angenommen werden. Doch der Rechtsfreund hatte auch
das vorausgesehen. und seiner Weisung gemäß nahm Freund V. Audienz
beim Regimentskommandanten und klagte ihm, daß ihm wegen eines Ver¬
sehens seines Vaters die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, die preu¬
ßische Uniform zu tragen, versagt werden solle. Der alte Herr war ganz
gerührt durch den patriotischen Schmerz des Jünglings und rief begeistert
aus: Tröste dich, mein Sohn, die verfluchten Federfuchser wollen wir schon
kriegen! Und sie kriegten sie wirklich. Leo wurde tauglich befunden und
erdiente sich ein Vaterland, und zwar in Bonn, wo er gleichzeitig Collegia
hörte. Lorbeeren zu pflücken, war dem jungen Kriegsknecht allerdings uicht be-


lange über Grundrechte haderte, bis es keinen Grund mehr nnter den Füßen
hatte; als es für einen Ausländer, z. B. einen Offenbacher oder Haiinner,
nur ein Mittel gab, das Frankfurter Bürgerrecht zu erwerbe», nämlich die Ver¬
heiratung mit einer Bürgerstochter (und mich dann fallen ihm die republi¬
kanische» Behörden gewöhnlich mit ihre»! größten Lnndsmanne zngerafen
haben: du mußt es dreimal sagen! — damit er die Taxen dreimal entrichtete);
als endlich sogar die Angehörigen des Hauses Rothschild nicht die Spazier¬
wege um die alte Stadt, sondern mir die Fahrstraße daneben benutzen durften,
und der Einfall, einen Juden zum Abgeordneten zu Wahlen, Entrttstnug und
Höh» hervorgerufen haben würde. Im übrige» bekümmerte an» sich wenig
»in die damalige» Bewohner der so oft geschilderten „Gasse"; als sie vom
Bode» weichen mußte, war sie längst zum Schlupfwinkel für Elend und Laster
geworden.

Die Nichtbeachtung der finstern Gasse mochte manches angenehme habe»,
mein Freund B. sollte jedoch die Kehrseite kennen lernen. Als er sich wegen
des erwähnten unentbehrlichen Reisecrfordernisses auf der Frankfurter Polizei
meldete, um die Universität Bonn beziehen zu können, ward ihm der über¬
raschende Bescheid, er sei kein Frankfurter, obwohl er dort geboren war, denn
daß sich sein Vater in Frankfurt niedergelassen habe, mache Vater und Sohn
noch nicht heimatberechtigt; er möge sich nach Preußen wenden. Er schrieb
denn auch an die Behörde in seines Vaters Heimat, aber auch die wollte von
den: jungen Manne nichts wissen; der Vater hatte durch langjährige Abwesen¬
heit sein Heimatrecht eingebüßt. Also weder Frankfurter, uoch Preuße, sondern
heimatlos! Der Fall war nicht ganz unerhört. Mancher Künstler, der nach
langem Aufenthalt in Rom mit einer dort erworbnen Familie heimkehrte,
wurde da belehrt, daß seine Nachkommenschaft kein Recht zu existiren habe.
Wie war das Versäumte nachzuholen?

B. suchte bei einem Advokaten Rat, und der empfahl ihm, sich auf einem
Umwege zu einem Vaterlande zu verhelfen. Und das that er. Er fuhr den
Rhein hiucib und meldete sich in der Kreisstadt zum einjährigen Dienste.
Aber wieder kam eine traurige Autwort: er stand nicht in den Listen und
konnte daher uicht angenommen werden. Doch der Rechtsfreund hatte auch
das vorausgesehen. und seiner Weisung gemäß nahm Freund V. Audienz
beim Regimentskommandanten und klagte ihm, daß ihm wegen eines Ver¬
sehens seines Vaters die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, die preu¬
ßische Uniform zu tragen, versagt werden solle. Der alte Herr war ganz
gerührt durch den patriotischen Schmerz des Jünglings und rief begeistert
aus: Tröste dich, mein Sohn, die verfluchten Federfuchser wollen wir schon
kriegen! Und sie kriegten sie wirklich. Leo wurde tauglich befunden und
erdiente sich ein Vaterland, und zwar in Bonn, wo er gleichzeitig Collegia
hörte. Lorbeeren zu pflücken, war dem jungen Kriegsknecht allerdings uicht be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214879"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1664" prev="#ID_1663"> lange über Grundrechte haderte, bis es keinen Grund mehr nnter den Füßen<lb/>
hatte; als es für einen Ausländer, z. B. einen Offenbacher oder Haiinner,<lb/>
nur ein Mittel gab, das Frankfurter Bürgerrecht zu erwerbe», nämlich die Ver¬<lb/>
heiratung mit einer Bürgerstochter (und mich dann fallen ihm die republi¬<lb/>
kanische» Behörden gewöhnlich mit ihre»! größten Lnndsmanne zngerafen<lb/>
haben: du mußt es dreimal sagen! &#x2014; damit er die Taxen dreimal entrichtete);<lb/>
als endlich sogar die Angehörigen des Hauses Rothschild nicht die Spazier¬<lb/>
wege um die alte Stadt, sondern mir die Fahrstraße daneben benutzen durften,<lb/>
und der Einfall, einen Juden zum Abgeordneten zu Wahlen, Entrttstnug und<lb/>
Höh» hervorgerufen haben würde. Im übrige» bekümmerte an» sich wenig<lb/>
»in die damalige» Bewohner der so oft geschilderten &#x201E;Gasse"; als sie vom<lb/>
Bode» weichen mußte, war sie längst zum Schlupfwinkel für Elend und Laster<lb/>
geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1665"> Die Nichtbeachtung der finstern Gasse mochte manches angenehme habe»,<lb/>
mein Freund B. sollte jedoch die Kehrseite kennen lernen. Als er sich wegen<lb/>
des erwähnten unentbehrlichen Reisecrfordernisses auf der Frankfurter Polizei<lb/>
meldete, um die Universität Bonn beziehen zu können, ward ihm der über¬<lb/>
raschende Bescheid, er sei kein Frankfurter, obwohl er dort geboren war, denn<lb/>
daß sich sein Vater in Frankfurt niedergelassen habe, mache Vater und Sohn<lb/>
noch nicht heimatberechtigt; er möge sich nach Preußen wenden. Er schrieb<lb/>
denn auch an die Behörde in seines Vaters Heimat, aber auch die wollte von<lb/>
den: jungen Manne nichts wissen; der Vater hatte durch langjährige Abwesen¬<lb/>
heit sein Heimatrecht eingebüßt. Also weder Frankfurter, uoch Preuße, sondern<lb/>
heimatlos! Der Fall war nicht ganz unerhört. Mancher Künstler, der nach<lb/>
langem Aufenthalt in Rom mit einer dort erworbnen Familie heimkehrte,<lb/>
wurde da belehrt, daß seine Nachkommenschaft kein Recht zu existiren habe.<lb/>
Wie war das Versäumte nachzuholen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1666" next="#ID_1667"> B. suchte bei einem Advokaten Rat, und der empfahl ihm, sich auf einem<lb/>
Umwege zu einem Vaterlande zu verhelfen. Und das that er. Er fuhr den<lb/>
Rhein hiucib und meldete sich in der Kreisstadt zum einjährigen Dienste.<lb/>
Aber wieder kam eine traurige Autwort: er stand nicht in den Listen und<lb/>
konnte daher uicht angenommen werden. Doch der Rechtsfreund hatte auch<lb/>
das vorausgesehen. und seiner Weisung gemäß nahm Freund V. Audienz<lb/>
beim Regimentskommandanten und klagte ihm, daß ihm wegen eines Ver¬<lb/>
sehens seines Vaters die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, die preu¬<lb/>
ßische Uniform zu tragen, versagt werden solle. Der alte Herr war ganz<lb/>
gerührt durch den patriotischen Schmerz des Jünglings und rief begeistert<lb/>
aus: Tröste dich, mein Sohn, die verfluchten Federfuchser wollen wir schon<lb/>
kriegen! Und sie kriegten sie wirklich. Leo wurde tauglich befunden und<lb/>
erdiente sich ein Vaterland, und zwar in Bonn, wo er gleichzeitig Collegia<lb/>
hörte. Lorbeeren zu pflücken, war dem jungen Kriegsknecht allerdings uicht be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0424] lange über Grundrechte haderte, bis es keinen Grund mehr nnter den Füßen hatte; als es für einen Ausländer, z. B. einen Offenbacher oder Haiinner, nur ein Mittel gab, das Frankfurter Bürgerrecht zu erwerbe», nämlich die Ver¬ heiratung mit einer Bürgerstochter (und mich dann fallen ihm die republi¬ kanische» Behörden gewöhnlich mit ihre»! größten Lnndsmanne zngerafen haben: du mußt es dreimal sagen! — damit er die Taxen dreimal entrichtete); als endlich sogar die Angehörigen des Hauses Rothschild nicht die Spazier¬ wege um die alte Stadt, sondern mir die Fahrstraße daneben benutzen durften, und der Einfall, einen Juden zum Abgeordneten zu Wahlen, Entrttstnug und Höh» hervorgerufen haben würde. Im übrige» bekümmerte an» sich wenig »in die damalige» Bewohner der so oft geschilderten „Gasse"; als sie vom Bode» weichen mußte, war sie längst zum Schlupfwinkel für Elend und Laster geworden. Die Nichtbeachtung der finstern Gasse mochte manches angenehme habe», mein Freund B. sollte jedoch die Kehrseite kennen lernen. Als er sich wegen des erwähnten unentbehrlichen Reisecrfordernisses auf der Frankfurter Polizei meldete, um die Universität Bonn beziehen zu können, ward ihm der über¬ raschende Bescheid, er sei kein Frankfurter, obwohl er dort geboren war, denn daß sich sein Vater in Frankfurt niedergelassen habe, mache Vater und Sohn noch nicht heimatberechtigt; er möge sich nach Preußen wenden. Er schrieb denn auch an die Behörde in seines Vaters Heimat, aber auch die wollte von den: jungen Manne nichts wissen; der Vater hatte durch langjährige Abwesen¬ heit sein Heimatrecht eingebüßt. Also weder Frankfurter, uoch Preuße, sondern heimatlos! Der Fall war nicht ganz unerhört. Mancher Künstler, der nach langem Aufenthalt in Rom mit einer dort erworbnen Familie heimkehrte, wurde da belehrt, daß seine Nachkommenschaft kein Recht zu existiren habe. Wie war das Versäumte nachzuholen? B. suchte bei einem Advokaten Rat, und der empfahl ihm, sich auf einem Umwege zu einem Vaterlande zu verhelfen. Und das that er. Er fuhr den Rhein hiucib und meldete sich in der Kreisstadt zum einjährigen Dienste. Aber wieder kam eine traurige Autwort: er stand nicht in den Listen und konnte daher uicht angenommen werden. Doch der Rechtsfreund hatte auch das vorausgesehen. und seiner Weisung gemäß nahm Freund V. Audienz beim Regimentskommandanten und klagte ihm, daß ihm wegen eines Ver¬ sehens seines Vaters die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, die preu¬ ßische Uniform zu tragen, versagt werden solle. Der alte Herr war ganz gerührt durch den patriotischen Schmerz des Jünglings und rief begeistert aus: Tröste dich, mein Sohn, die verfluchten Federfuchser wollen wir schon kriegen! Und sie kriegten sie wirklich. Leo wurde tauglich befunden und erdiente sich ein Vaterland, und zwar in Bonn, wo er gleichzeitig Collegia hörte. Lorbeeren zu pflücken, war dem jungen Kriegsknecht allerdings uicht be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/424
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/424>, abgerufen am 27.05.2024.