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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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jedermann erfahren mußte, wenn ein wirklicher Etatsrat seinen Wohnort dorthin
verlegte.

Peter Lauritzen war nämlich sehr durchdrungen von der Wertschütznng
seiner eignen Person und hatte nicht die Absicht, seinen hoffentlich noch lang
ausgedehnten Lebensweg unbeachtet oder gar vergessen zu wandern. In einer
größern Stadt galten pensionirte Beamte nicht viel; er selbst hatte diese alten
Herren, wenn sie ihm begegnet waren, stets sehr unliebenswürdig behandelt.
Nun empfand er eine unwillkürliche Abneigung, die Vergeltung dafür an sich
Zu erproben.

Er reiste also mit seinem Koffer und seinem wertvollen Hausrat in die
Stadt, wo es nach seiner Ansicht noch Leute gab, die von vornherein Respekt
vor seinen Titeln und Orden haben würden. Erst als er augelangt war und
nun mit vornehmer Bedächtigkeit durch die kleinen und engen Straßen schritt,
fiel ihm etwas wunderliches ein: nämlich daß er in dieser Stadt nicht bloß
die Schule besucht hatte, sondern auch verlobt gewesen war. Wer die würde¬
volle, Gestalt des Etatsrath, wer seine dunkelblonde Perücke und seine falschen
Vorderzähne sah, der konnte sich freilich nicht denken, daß er sich einst mit
solchen Gewöhnlichkeiten, wie es das Verloben doch ist, abgegeben habe. Und
doch war es so. Sogar zweimal war Lauritzen verlobt gewesen. Einmal als
Primaner in dieser kleinen Stadt, und einmal mit einer reichen und in jeder
Beziehung würdigen Witwe. Nach der letzten Verlobung war, wie man in
Holstein zu sagen Pflegt, "etwas gekommen"; d. h. der ehrbaren Verlobung
war eine außerordentlich ehrbare Ehe gefolgt. Die Primanerverlobnng da¬
gegen hatte das Los aller leichtfertig eingegangnen Verbindungen gehabt: sie
war sehr bald zu Ende gewesen.

Während der Etatsrat langsam durch die Baumreihen ging, die das Städt¬
chen umsäumen, dachte er mit den: Wohlgefallen des Gerechten an die glückliche
Lösung des leichtfertig geschlossenen Bundes. Natürlich war er damals ver¬
führt worden. Männer werden immer durch schlechte Weiber verführt, und
wenn diese Weiber noch dazu graue Augen und blonde Haare haben und ganz
junge, reizende Mädchen sind, dann wird die Schuld des männlichen Wesens,
wenn man überhaupt von einer Schuld reden kann, noch kleiner.

Sie hieß Therese. Diese Worte sprach der Etatsrat plötzlich ganz laut,
und dann wunderte er sich selbst so über sein gutes Gedächtnis, daß er sich
setzen mußte. Es standen nämlich unter den Bäumen einige Ruhebänke, und
wenn die leichtfertige Jugend des Städtchens dachte, diese Bänke wären nur
dazu da, daß man auf ihnen im Mondenschein Hand in Hand mit jemand
anders sitzen könnte, so war das natürlich ein Irrtum. Der Etatsrat saß fest
und sicher auf der Bank und dachte nicht entfernt an den Mondenschein. Aber
er dachte an Therese. Nicht voller Sehnsucht oder Rührung, sondern nur
voller Zufriedenheit. Denn er hatte, nachdem er sich in einer erregten Stunde


jedermann erfahren mußte, wenn ein wirklicher Etatsrat seinen Wohnort dorthin
verlegte.

Peter Lauritzen war nämlich sehr durchdrungen von der Wertschütznng
seiner eignen Person und hatte nicht die Absicht, seinen hoffentlich noch lang
ausgedehnten Lebensweg unbeachtet oder gar vergessen zu wandern. In einer
größern Stadt galten pensionirte Beamte nicht viel; er selbst hatte diese alten
Herren, wenn sie ihm begegnet waren, stets sehr unliebenswürdig behandelt.
Nun empfand er eine unwillkürliche Abneigung, die Vergeltung dafür an sich
Zu erproben.

Er reiste also mit seinem Koffer und seinem wertvollen Hausrat in die
Stadt, wo es nach seiner Ansicht noch Leute gab, die von vornherein Respekt
vor seinen Titeln und Orden haben würden. Erst als er augelangt war und
nun mit vornehmer Bedächtigkeit durch die kleinen und engen Straßen schritt,
fiel ihm etwas wunderliches ein: nämlich daß er in dieser Stadt nicht bloß
die Schule besucht hatte, sondern auch verlobt gewesen war. Wer die würde¬
volle, Gestalt des Etatsrath, wer seine dunkelblonde Perücke und seine falschen
Vorderzähne sah, der konnte sich freilich nicht denken, daß er sich einst mit
solchen Gewöhnlichkeiten, wie es das Verloben doch ist, abgegeben habe. Und
doch war es so. Sogar zweimal war Lauritzen verlobt gewesen. Einmal als
Primaner in dieser kleinen Stadt, und einmal mit einer reichen und in jeder
Beziehung würdigen Witwe. Nach der letzten Verlobung war, wie man in
Holstein zu sagen Pflegt, „etwas gekommen"; d. h. der ehrbaren Verlobung
war eine außerordentlich ehrbare Ehe gefolgt. Die Primanerverlobnng da¬
gegen hatte das Los aller leichtfertig eingegangnen Verbindungen gehabt: sie
war sehr bald zu Ende gewesen.

Während der Etatsrat langsam durch die Baumreihen ging, die das Städt¬
chen umsäumen, dachte er mit den: Wohlgefallen des Gerechten an die glückliche
Lösung des leichtfertig geschlossenen Bundes. Natürlich war er damals ver¬
führt worden. Männer werden immer durch schlechte Weiber verführt, und
wenn diese Weiber noch dazu graue Augen und blonde Haare haben und ganz
junge, reizende Mädchen sind, dann wird die Schuld des männlichen Wesens,
wenn man überhaupt von einer Schuld reden kann, noch kleiner.

Sie hieß Therese. Diese Worte sprach der Etatsrat plötzlich ganz laut,
und dann wunderte er sich selbst so über sein gutes Gedächtnis, daß er sich
setzen mußte. Es standen nämlich unter den Bäumen einige Ruhebänke, und
wenn die leichtfertige Jugend des Städtchens dachte, diese Bänke wären nur
dazu da, daß man auf ihnen im Mondenschein Hand in Hand mit jemand
anders sitzen könnte, so war das natürlich ein Irrtum. Der Etatsrat saß fest
und sicher auf der Bank und dachte nicht entfernt an den Mondenschein. Aber
er dachte an Therese. Nicht voller Sehnsucht oder Rührung, sondern nur
voller Zufriedenheit. Denn er hatte, nachdem er sich in einer erregten Stunde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/46>, abgerufen am 28.05.2024.