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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Loluccio Lalutati

rend durch die volkreichen Straßen von Florenz wandelte, nicht übergroß an
Gestalt, im Alter ein wenig gebeugt, aber bedeutend durch die Bildung des
Kopfes mit gewölbter Stirn, starken Kinnladen und Lippen, im Ausdruck dem
kühnen Savcmarolci ähnlich, so beugte sich vor ihm alt und jung: und diese
allgemeine Achtung, die er genoß, galt doch vor allem dem reinen und makel¬
losen Menschen. Man kennt von ihm, obwohl die Florentiner als Läster¬
zungen berüchtigt waren, keine sinnliche Schwäche, keine That niederer Selbst¬
sucht, uicht einmal ein leichtfertiges Wort: tiefer sittlicher Ernst war der
Grundzug seines Wesens. Seine Lebensanschauung beruhte auf der Ver¬
mählung eines geläuterten Christentums mit den Sätzen der antiken Stoa.
Kein Unglück konnte ihn außer Fassung bringen. Den Freund, der ihn auf¬
forderte, vor der fürchterlichen Pest zu fliehen, verwies er gelassen auf Gottes
Allmacht, den Schmerz über schwere Schicksalsschläge hat er mit bewunderungs¬
würdiger Kraft vor der Welt verborgen, und er war ebenso frei von Todes¬
furcht, wie er von dem ewigen Leben der Seele fest überzeugt war. Und
welch ein liebenswürdiger Freund und Berater, freigebig mit seinen Bücher¬
schützen war er dem jiingern Geschlechte Florentiner Humanisten, die um ihn
sich scharend wie Söhne um einen Vater emporstrebten! Als er 1406 im
Alter von 75 Jahren gestorben war, tönten aus allen Teilen Italiens die
rührendsten Klagen seiner Jünger -- z. B. eines Poggio, eines Lionardo
Bruni -- um den Mann ohne Schuld und Fehle, um die Leuchte des Vater¬
lands, um den Helfen und die Zuflucht für alle Söhne der Wissenschaft.
Florenz ehrte seinen großen Toten noch mit dem Dichterlorbeer, einem gro߬
artigen Leichenbegängnisse und einem Marmordenkmal im Dome.

Wichtiger aber und dauernder als dies äußere Gepränge ist der vor¬
bildliche Gehalt seines Lebens. Wer seinen Entwicklungsgang vorurteilsfrei
betrachtet, wird vor allem drei Wahrheiten erkennen: erstens, daß daS klassische
Altertum bei der Bildung der Persönlichkeit eine von den Schwächen und
Gebrechen der Zeit befreiende Macht ausübt; zweitens, daß aus Coluccios
klassischen Studien ein seiner Zeit voraneilendes Nationalbewußtsein, die
glühendste und hingebcndste Vaterlandsliebe erwachsen ist; drittens, daß die
Begeisterung für die Antike und für das Vaterland mit einem aufrichtigen
Christentum wohl zu vereinen ist. So war sein Humanismus wohl auti-
püpstlich, aber christlich und patriotisch durch und durch, eine Auffassung
dieser Bewegung, die den spätern Geschlechtern der italischen Humanisten leider
abhanden gekommen ist, die aber in den deutscheu Reformatoren mit siegreicher
Kraft wieder auferstand und fortlebt bis auf diesen Tag.




Loluccio Lalutati

rend durch die volkreichen Straßen von Florenz wandelte, nicht übergroß an
Gestalt, im Alter ein wenig gebeugt, aber bedeutend durch die Bildung des
Kopfes mit gewölbter Stirn, starken Kinnladen und Lippen, im Ausdruck dem
kühnen Savcmarolci ähnlich, so beugte sich vor ihm alt und jung: und diese
allgemeine Achtung, die er genoß, galt doch vor allem dem reinen und makel¬
losen Menschen. Man kennt von ihm, obwohl die Florentiner als Läster¬
zungen berüchtigt waren, keine sinnliche Schwäche, keine That niederer Selbst¬
sucht, uicht einmal ein leichtfertiges Wort: tiefer sittlicher Ernst war der
Grundzug seines Wesens. Seine Lebensanschauung beruhte auf der Ver¬
mählung eines geläuterten Christentums mit den Sätzen der antiken Stoa.
Kein Unglück konnte ihn außer Fassung bringen. Den Freund, der ihn auf¬
forderte, vor der fürchterlichen Pest zu fliehen, verwies er gelassen auf Gottes
Allmacht, den Schmerz über schwere Schicksalsschläge hat er mit bewunderungs¬
würdiger Kraft vor der Welt verborgen, und er war ebenso frei von Todes¬
furcht, wie er von dem ewigen Leben der Seele fest überzeugt war. Und
welch ein liebenswürdiger Freund und Berater, freigebig mit seinen Bücher¬
schützen war er dem jiingern Geschlechte Florentiner Humanisten, die um ihn
sich scharend wie Söhne um einen Vater emporstrebten! Als er 1406 im
Alter von 75 Jahren gestorben war, tönten aus allen Teilen Italiens die
rührendsten Klagen seiner Jünger — z. B. eines Poggio, eines Lionardo
Bruni — um den Mann ohne Schuld und Fehle, um die Leuchte des Vater¬
lands, um den Helfen und die Zuflucht für alle Söhne der Wissenschaft.
Florenz ehrte seinen großen Toten noch mit dem Dichterlorbeer, einem gro߬
artigen Leichenbegängnisse und einem Marmordenkmal im Dome.

Wichtiger aber und dauernder als dies äußere Gepränge ist der vor¬
bildliche Gehalt seines Lebens. Wer seinen Entwicklungsgang vorurteilsfrei
betrachtet, wird vor allem drei Wahrheiten erkennen: erstens, daß daS klassische
Altertum bei der Bildung der Persönlichkeit eine von den Schwächen und
Gebrechen der Zeit befreiende Macht ausübt; zweitens, daß aus Coluccios
klassischen Studien ein seiner Zeit voraneilendes Nationalbewußtsein, die
glühendste und hingebcndste Vaterlandsliebe erwachsen ist; drittens, daß die
Begeisterung für die Antike und für das Vaterland mit einem aufrichtigen
Christentum wohl zu vereinen ist. So war sein Humanismus wohl auti-
püpstlich, aber christlich und patriotisch durch und durch, eine Auffassung
dieser Bewegung, die den spätern Geschlechtern der italischen Humanisten leider
abhanden gekommen ist, die aber in den deutscheu Reformatoren mit siegreicher
Kraft wieder auferstand und fortlebt bis auf diesen Tag.




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[0276] Loluccio Lalutati rend durch die volkreichen Straßen von Florenz wandelte, nicht übergroß an Gestalt, im Alter ein wenig gebeugt, aber bedeutend durch die Bildung des Kopfes mit gewölbter Stirn, starken Kinnladen und Lippen, im Ausdruck dem kühnen Savcmarolci ähnlich, so beugte sich vor ihm alt und jung: und diese allgemeine Achtung, die er genoß, galt doch vor allem dem reinen und makel¬ losen Menschen. Man kennt von ihm, obwohl die Florentiner als Läster¬ zungen berüchtigt waren, keine sinnliche Schwäche, keine That niederer Selbst¬ sucht, uicht einmal ein leichtfertiges Wort: tiefer sittlicher Ernst war der Grundzug seines Wesens. Seine Lebensanschauung beruhte auf der Ver¬ mählung eines geläuterten Christentums mit den Sätzen der antiken Stoa. Kein Unglück konnte ihn außer Fassung bringen. Den Freund, der ihn auf¬ forderte, vor der fürchterlichen Pest zu fliehen, verwies er gelassen auf Gottes Allmacht, den Schmerz über schwere Schicksalsschläge hat er mit bewunderungs¬ würdiger Kraft vor der Welt verborgen, und er war ebenso frei von Todes¬ furcht, wie er von dem ewigen Leben der Seele fest überzeugt war. Und welch ein liebenswürdiger Freund und Berater, freigebig mit seinen Bücher¬ schützen war er dem jiingern Geschlechte Florentiner Humanisten, die um ihn sich scharend wie Söhne um einen Vater emporstrebten! Als er 1406 im Alter von 75 Jahren gestorben war, tönten aus allen Teilen Italiens die rührendsten Klagen seiner Jünger — z. B. eines Poggio, eines Lionardo Bruni — um den Mann ohne Schuld und Fehle, um die Leuchte des Vater¬ lands, um den Helfen und die Zuflucht für alle Söhne der Wissenschaft. Florenz ehrte seinen großen Toten noch mit dem Dichterlorbeer, einem gro߬ artigen Leichenbegängnisse und einem Marmordenkmal im Dome. Wichtiger aber und dauernder als dies äußere Gepränge ist der vor¬ bildliche Gehalt seines Lebens. Wer seinen Entwicklungsgang vorurteilsfrei betrachtet, wird vor allem drei Wahrheiten erkennen: erstens, daß daS klassische Altertum bei der Bildung der Persönlichkeit eine von den Schwächen und Gebrechen der Zeit befreiende Macht ausübt; zweitens, daß aus Coluccios klassischen Studien ein seiner Zeit voraneilendes Nationalbewußtsein, die glühendste und hingebcndste Vaterlandsliebe erwachsen ist; drittens, daß die Begeisterung für die Antike und für das Vaterland mit einem aufrichtigen Christentum wohl zu vereinen ist. So war sein Humanismus wohl auti- püpstlich, aber christlich und patriotisch durch und durch, eine Auffassung dieser Bewegung, die den spätern Geschlechtern der italischen Humanisten leider abhanden gekommen ist, die aber in den deutscheu Reformatoren mit siegreicher Kraft wieder auferstand und fortlebt bis auf diesen Tag.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/276>, abgerufen am 28.05.2024.