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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Das frühere Kurhossen

fand überall Widerstand, bei den Ständen und auch beim Kurfürsten. Freilich
geschah noch viel weniger für das Land unter Hassenpflngs Nachfolger, sodaß
bis zum Jahre 1848 die Gesetzgebung fast gänzlich stockte. Erst hierdurch
tritt der Zeitraum des Hassenpflngschen Ministeriums in sein volles Licht.

Auch auf dem Verwaltungswege schuf Hassenpflug mehrfach nützliche Ein¬
richtungen; namentlich höhere Schulen. Auch hier begegnete er Schwierigkeiten-
So mußte er z. B. wegen Errichtung eines neuen Gymnasiums erst mit der
Stadt Kassel einen Prozeß führen. Als dann das Gymnasium doch zustande
kam, bewährte es sich als vortrefflich.

Wenn mau diese Periode der kurhessischen Geschichte in ihrer Gesamtheit
überblickt, wenn man erkennt, wie sich die Thätigkeit Hassenpslugs trotz aller lei¬
digen Streitigkeiten mit den Ständen überaus segensreich für das Land erwiesen
hat, und wie auch seine Schöpfungen durchaus nicht auf Unterdrückung aller
Volksfreiheit gerichtet waren, hat dann wohl eine Äußerung, wie sie Sybel
über diese Periode gethan hat, noch Berechtigung?

Ich würde zu dieser Äußerung über eine längst vergangne Zeit, trotzdem,
daß sie aus der Feder eines hervorragenden Geschichtschreibers geflossen ist,
geschwiegen haben, wenn sie nicht einer landläufigen Ansicht über die Zustände,
die überhaupt in dem frühern Kurhessen bestanden haben, entspräche. Es hat
sich eine förmliche Legende darüber gebildet, daß diese Zustände unerträglich
gewesen seien, daß damals eine furchtbare Tyrannei geherrscht habe. Nichts
ist irriger als dies.

Wir müssen hierbei freilich absehen von dem Verfassungsumsturz in den
Jahren 1850 und 51 und der daran sich anschließenden Zeit. Über das,
was damals geschah, ist kein Wort weiter zu verlieren. Aber bei dem Ver-
sassungsnmsturze haben doch anch die Regierungen Österreichs, Vaierns und
Preußens eine kaum näher zu bezeichnende Rolle gespielt. Und in den Ne-
aktionsjahren von 1852 bis 57 sind in andern deutschen Ländern Dinge vor¬
gekommen, die viel abscheulicher sind, als alles, was damals in Kurhessen
geschehen ist.

Dann müssen wir zugeben, daß Kurfürst Friedrich Wilhelm eine sehr un¬
liebenswürdige Persönlichkeit war. Soweit sein unmittelbarer Einfluß reichte,
sind mitunter recht häßliche Dinge vorgekommen. Auch hätte ja viel mehr
für das Land geschehen können, wenn nicht die Persönlichkeit des Kurfürsten
stets ein Hindernis gebildet hätte.

Sieht man aber davon ab, so wurde in Kurhessen ebenso gut und so schlecht
regiert, wie in deu meisten deutscheu Ländern. Der Einfluß des Kurfürsten
reichte nicht soweit, daß er, anch wenn er gewollt hätte, durchweg eine "Ty¬
rannei" hätte ausüben tonnen, unter der das Land geseufzt hätte. Kurhessen
hatte gute Einrichtungen, gute Gesetze und einen guten Veamtenstcmd. Es
hatte glänzende Finanzen, und die Steuern waren deshalb gering. Es hatte


Das frühere Kurhossen

fand überall Widerstand, bei den Ständen und auch beim Kurfürsten. Freilich
geschah noch viel weniger für das Land unter Hassenpflngs Nachfolger, sodaß
bis zum Jahre 1848 die Gesetzgebung fast gänzlich stockte. Erst hierdurch
tritt der Zeitraum des Hassenpflngschen Ministeriums in sein volles Licht.

Auch auf dem Verwaltungswege schuf Hassenpflug mehrfach nützliche Ein¬
richtungen; namentlich höhere Schulen. Auch hier begegnete er Schwierigkeiten-
So mußte er z. B. wegen Errichtung eines neuen Gymnasiums erst mit der
Stadt Kassel einen Prozeß führen. Als dann das Gymnasium doch zustande
kam, bewährte es sich als vortrefflich.

Wenn mau diese Periode der kurhessischen Geschichte in ihrer Gesamtheit
überblickt, wenn man erkennt, wie sich die Thätigkeit Hassenpslugs trotz aller lei¬
digen Streitigkeiten mit den Ständen überaus segensreich für das Land erwiesen
hat, und wie auch seine Schöpfungen durchaus nicht auf Unterdrückung aller
Volksfreiheit gerichtet waren, hat dann wohl eine Äußerung, wie sie Sybel
über diese Periode gethan hat, noch Berechtigung?

Ich würde zu dieser Äußerung über eine längst vergangne Zeit, trotzdem,
daß sie aus der Feder eines hervorragenden Geschichtschreibers geflossen ist,
geschwiegen haben, wenn sie nicht einer landläufigen Ansicht über die Zustände,
die überhaupt in dem frühern Kurhessen bestanden haben, entspräche. Es hat
sich eine förmliche Legende darüber gebildet, daß diese Zustände unerträglich
gewesen seien, daß damals eine furchtbare Tyrannei geherrscht habe. Nichts
ist irriger als dies.

Wir müssen hierbei freilich absehen von dem Verfassungsumsturz in den
Jahren 1850 und 51 und der daran sich anschließenden Zeit. Über das,
was damals geschah, ist kein Wort weiter zu verlieren. Aber bei dem Ver-
sassungsnmsturze haben doch anch die Regierungen Österreichs, Vaierns und
Preußens eine kaum näher zu bezeichnende Rolle gespielt. Und in den Ne-
aktionsjahren von 1852 bis 57 sind in andern deutschen Ländern Dinge vor¬
gekommen, die viel abscheulicher sind, als alles, was damals in Kurhessen
geschehen ist.

Dann müssen wir zugeben, daß Kurfürst Friedrich Wilhelm eine sehr un¬
liebenswürdige Persönlichkeit war. Soweit sein unmittelbarer Einfluß reichte,
sind mitunter recht häßliche Dinge vorgekommen. Auch hätte ja viel mehr
für das Land geschehen können, wenn nicht die Persönlichkeit des Kurfürsten
stets ein Hindernis gebildet hätte.

Sieht man aber davon ab, so wurde in Kurhessen ebenso gut und so schlecht
regiert, wie in deu meisten deutscheu Ländern. Der Einfluß des Kurfürsten
reichte nicht soweit, daß er, anch wenn er gewollt hätte, durchweg eine „Ty¬
rannei" hätte ausüben tonnen, unter der das Land geseufzt hätte. Kurhessen
hatte gute Einrichtungen, gute Gesetze und einen guten Veamtenstcmd. Es
hatte glänzende Finanzen, und die Steuern waren deshalb gering. Es hatte


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[0478] Das frühere Kurhossen fand überall Widerstand, bei den Ständen und auch beim Kurfürsten. Freilich geschah noch viel weniger für das Land unter Hassenpflngs Nachfolger, sodaß bis zum Jahre 1848 die Gesetzgebung fast gänzlich stockte. Erst hierdurch tritt der Zeitraum des Hassenpflngschen Ministeriums in sein volles Licht. Auch auf dem Verwaltungswege schuf Hassenpflug mehrfach nützliche Ein¬ richtungen; namentlich höhere Schulen. Auch hier begegnete er Schwierigkeiten- So mußte er z. B. wegen Errichtung eines neuen Gymnasiums erst mit der Stadt Kassel einen Prozeß führen. Als dann das Gymnasium doch zustande kam, bewährte es sich als vortrefflich. Wenn mau diese Periode der kurhessischen Geschichte in ihrer Gesamtheit überblickt, wenn man erkennt, wie sich die Thätigkeit Hassenpslugs trotz aller lei¬ digen Streitigkeiten mit den Ständen überaus segensreich für das Land erwiesen hat, und wie auch seine Schöpfungen durchaus nicht auf Unterdrückung aller Volksfreiheit gerichtet waren, hat dann wohl eine Äußerung, wie sie Sybel über diese Periode gethan hat, noch Berechtigung? Ich würde zu dieser Äußerung über eine längst vergangne Zeit, trotzdem, daß sie aus der Feder eines hervorragenden Geschichtschreibers geflossen ist, geschwiegen haben, wenn sie nicht einer landläufigen Ansicht über die Zustände, die überhaupt in dem frühern Kurhessen bestanden haben, entspräche. Es hat sich eine förmliche Legende darüber gebildet, daß diese Zustände unerträglich gewesen seien, daß damals eine furchtbare Tyrannei geherrscht habe. Nichts ist irriger als dies. Wir müssen hierbei freilich absehen von dem Verfassungsumsturz in den Jahren 1850 und 51 und der daran sich anschließenden Zeit. Über das, was damals geschah, ist kein Wort weiter zu verlieren. Aber bei dem Ver- sassungsnmsturze haben doch anch die Regierungen Österreichs, Vaierns und Preußens eine kaum näher zu bezeichnende Rolle gespielt. Und in den Ne- aktionsjahren von 1852 bis 57 sind in andern deutschen Ländern Dinge vor¬ gekommen, die viel abscheulicher sind, als alles, was damals in Kurhessen geschehen ist. Dann müssen wir zugeben, daß Kurfürst Friedrich Wilhelm eine sehr un¬ liebenswürdige Persönlichkeit war. Soweit sein unmittelbarer Einfluß reichte, sind mitunter recht häßliche Dinge vorgekommen. Auch hätte ja viel mehr für das Land geschehen können, wenn nicht die Persönlichkeit des Kurfürsten stets ein Hindernis gebildet hätte. Sieht man aber davon ab, so wurde in Kurhessen ebenso gut und so schlecht regiert, wie in deu meisten deutscheu Ländern. Der Einfluß des Kurfürsten reichte nicht soweit, daß er, anch wenn er gewollt hätte, durchweg eine „Ty¬ rannei" hätte ausüben tonnen, unter der das Land geseufzt hätte. Kurhessen hatte gute Einrichtungen, gute Gesetze und einen guten Veamtenstcmd. Es hatte glänzende Finanzen, und die Steuern waren deshalb gering. Es hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/478>, abgerufen am 27.05.2024.