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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Ivesten

Orgelgehäuse als an ein Wohnhaus gemahnenden Barokstil. Aber das alles ist
ein Versuchen und Probiren, wie man unter der einladendsten Außenseite dem
Publikum, auch dem ärmern, das billigste und zweckmäßigste Heim bieten könne.
Selbst unter der Schneedecke müssen diese zierlichen Bretterhäuschen uoch einladend
und freundlich aussehen. Und der Ärmere, der sich nicht ein ganzes mieten
kann, findet genug solche "Hütten" quergeteilt und für zwei Familien ein¬
gerichtet. Niemand wird in menschenunwürdiger Weise beiseite gestoßen, wie
es in unsern Großstädten im vierten Stock des zweiten Hinterhofs doch der
Fall ist. Selbst der weniger bemittelte, der in den großer" Mietshäusern, mit
Hof und Gartenanlage in der Mitte, einen oder einen halben Flur für den
Preis von vierzehn bis sechzehn Dollars monatlich bewohnt, fühlt an nichts,
daß er ein Mensch zweiter und uicht erster Klasse ist. Das wird sorgsam
vermieden. Das Wohnungselend der deutschen Großstädte giebt es hier nicht.

Man erstaunt über die Findigkeit der vielen Baumeister, die sich hier
über- oder auch unterboten haben müssen, um die Frage: Wie baut man billig
und doch hübsch und praktisch? zu lösen. Der monatliche Mietzins für eins der
eben beschriebne" Hüuscheu mit Garten beträgt fünfundzwang bis dreißig Dollars.
Auf vierzig steigt er nur in Zeiten künstlicher Hauffe, wenn z.B. gerade von
den großen reichen Bostoner Grundbesitzern eine kleine "Kunst- oder Garten¬
ansstellung" zum Wohl ihrer ncuangelegteN Stadt und zur Steigerung des dor¬
tigen Grundbesitzwertes in Szene gesetzt wird. Die hübsche Lage und die zierliche
Einrichtung war bei allen diesen Cvttagcs so einladend, daß Karl und ich genau
wußten, unsre Frauen würden jedes der Häuschen gern haben wollen. Waren
es in dem einen die buntfenstrigen Balkons mit Jalvnsicnvorrichtung, so waren
es in dem andern die saubern Marmorbadewannen und Marmorwaschtischchen,
war es hier die anheimelnde Veranda mit ihrem Schnitzwerk, so war es dort
der für die Hängematte und ein Lesestündchen wie geschaffne Seitengang oder
das mit Epheu und Wein zu umrankende breite Buchtfenster, das die Wahl
schwer machte. Fünfundzwanzig bis vierzig Dollars sind freilich nach unserm
Gelde hundert bis hundertsechzig Mark, aber wenn man die Preise nach dem
Maßstabe der Nahrungsmittel und der Einnahmen ins Deutsche übersetzt, so
entspricht das doch alles in allem einem monatlichen deutschen Mietpreise von
vierzig bis sechzig Mark, deun man rechnet: ich komme in Nordamerika un¬
gefähr ebenso weit mit einem Dollar wie in Deutschland mit einem halben
Thaler.

Für diese Kleinigkeit ist man aber dann hier Herr in seinen vier Pfählen.
Nicht einmal die Obrigkeit hat sich hereinzudrängen. Der Polizist, der etwa
wegen Gesuudheitsauordnnngen oder ähnlichem vorspricht, wagt nicht einzu-
treten, bevor ihn die Frau oder der Herr des Hauses zum Eintritt aufgefordert
hat. Die Stadt kann sich freilich erlauben, einem lässigen Zahler von Gas¬
oder Wasserleitung beides abzudrehen, aber auch erst, nachdem der Eintritt '


Bilder aus dem Ivesten

Orgelgehäuse als an ein Wohnhaus gemahnenden Barokstil. Aber das alles ist
ein Versuchen und Probiren, wie man unter der einladendsten Außenseite dem
Publikum, auch dem ärmern, das billigste und zweckmäßigste Heim bieten könne.
Selbst unter der Schneedecke müssen diese zierlichen Bretterhäuschen uoch einladend
und freundlich aussehen. Und der Ärmere, der sich nicht ein ganzes mieten
kann, findet genug solche „Hütten" quergeteilt und für zwei Familien ein¬
gerichtet. Niemand wird in menschenunwürdiger Weise beiseite gestoßen, wie
es in unsern Großstädten im vierten Stock des zweiten Hinterhofs doch der
Fall ist. Selbst der weniger bemittelte, der in den großer» Mietshäusern, mit
Hof und Gartenanlage in der Mitte, einen oder einen halben Flur für den
Preis von vierzehn bis sechzehn Dollars monatlich bewohnt, fühlt an nichts,
daß er ein Mensch zweiter und uicht erster Klasse ist. Das wird sorgsam
vermieden. Das Wohnungselend der deutschen Großstädte giebt es hier nicht.

Man erstaunt über die Findigkeit der vielen Baumeister, die sich hier
über- oder auch unterboten haben müssen, um die Frage: Wie baut man billig
und doch hübsch und praktisch? zu lösen. Der monatliche Mietzins für eins der
eben beschriebne» Hüuscheu mit Garten beträgt fünfundzwang bis dreißig Dollars.
Auf vierzig steigt er nur in Zeiten künstlicher Hauffe, wenn z.B. gerade von
den großen reichen Bostoner Grundbesitzern eine kleine „Kunst- oder Garten¬
ansstellung" zum Wohl ihrer ncuangelegteN Stadt und zur Steigerung des dor¬
tigen Grundbesitzwertes in Szene gesetzt wird. Die hübsche Lage und die zierliche
Einrichtung war bei allen diesen Cvttagcs so einladend, daß Karl und ich genau
wußten, unsre Frauen würden jedes der Häuschen gern haben wollen. Waren
es in dem einen die buntfenstrigen Balkons mit Jalvnsicnvorrichtung, so waren
es in dem andern die saubern Marmorbadewannen und Marmorwaschtischchen,
war es hier die anheimelnde Veranda mit ihrem Schnitzwerk, so war es dort
der für die Hängematte und ein Lesestündchen wie geschaffne Seitengang oder
das mit Epheu und Wein zu umrankende breite Buchtfenster, das die Wahl
schwer machte. Fünfundzwanzig bis vierzig Dollars sind freilich nach unserm
Gelde hundert bis hundertsechzig Mark, aber wenn man die Preise nach dem
Maßstabe der Nahrungsmittel und der Einnahmen ins Deutsche übersetzt, so
entspricht das doch alles in allem einem monatlichen deutschen Mietpreise von
vierzig bis sechzig Mark, deun man rechnet: ich komme in Nordamerika un¬
gefähr ebenso weit mit einem Dollar wie in Deutschland mit einem halben
Thaler.

Für diese Kleinigkeit ist man aber dann hier Herr in seinen vier Pfählen.
Nicht einmal die Obrigkeit hat sich hereinzudrängen. Der Polizist, der etwa
wegen Gesuudheitsauordnnngen oder ähnlichem vorspricht, wagt nicht einzu-
treten, bevor ihn die Frau oder der Herr des Hauses zum Eintritt aufgefordert
hat. Die Stadt kann sich freilich erlauben, einem lässigen Zahler von Gas¬
oder Wasserleitung beides abzudrehen, aber auch erst, nachdem der Eintritt '


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/48>, abgerufen am 03.05.2024.