Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bilder aus dem Westen

So habe ich Sie gern. Ich konnte Sie gar nicht leiden, als Sie immer so blaß
und krank aussahen.

Harry blickte ihr dankbar in die Augen und suchte ihre Hand zu erfassen,
indem er sie fragte: Und jetzt siud Sie mir wieder gut?

So gut, daß ich Sie heiraten möchte, wenn das nicht etwas so Ge¬
wöhnliches wäre.

O Lizzie -- sagte er glücklich --, warum sind Sie mir denn so gut?
Und ihre Hände fanden und drückten sich, während sie erwiderte: Weil Sie
so ganz nach meinem Geschmack sind, und nun will ich anch nichts weiter, als
daß Sie mir wieder gut sind, aber ganz im Ernst und ganz von Herzen!

Trotz der Schülerschar in der Nähe machte Harry eine Bewegung, als
ob er nicht übel Lust hätte, ihr ans offner Straße um den Hals zu fallen.
Da ließ sie, schnell gefaßt, ihren Fächer fallen, und indem er ihn aufhob und
ihr reichte, trennte er sich von ihr mit einer vorschriftsmäßigen Verbeugung,
denn sie waren schon fast mitten in den Schwarm der Spielenden geraten, für
deren Ohren ihr Gespräch wahrhaftig uicht berechnet war.

Ich kehrte eben von einem Morgenspaziergang zurück und beschloß, einer
Einladung, die schon wiederholt an mich ergangen war, heute Folge zu leisten
und die Schule zu besichtigen. Ich war auch so glücklich, die Lehrer, die mich
eingeladen hatten, jetzt vor dem Beginn der Schulstunden vor dem Portal
versammelt zu finden, wo sie die Turnübungen der Schüler beobachteten. Es
war ein munteres Bild um uns her. Geduckte Gestalten mit Brillen sah man
nicht unter den geschmeidig und anmutig dahinfliegenden und -schreitenden,
auch keine blassen, scheuen Gesichter. Alle blickten frisch, dreist und selbst¬
bewußt uni sich und geberdeten sich, als ob ihnen die Welt gehörte. Es
kam mir fast so vor, als wäre der Turnplatz hier die Hauptsache, die Schulstube
die Nebensache.

Das Schulhnns war ein stattliches Rotsteingebäude von der hier beliebten
hochgiebeligen Bauart, mit weit vorspringenden in Schnörkel und Türmchen
ausgehenden Schrägdächern, mit breiten Freitreppen und prächtige" Thor¬
wölbungen. Über deu Portalen und oben an den Spitzbogenfenstern sah man
Butzenscheiben; die glasirten Steine glitzerten in der Morgensonne, die saubere
Schieferdeckung und die in schöner Schlosserarbeit hergestellten Gitter, Flaggen¬
stangen und die Erkerkrönnngen gaben dem Ganzen etwas Vornehmes und
Festliches.

Während ich noch die Baulichkeiten musterte, die den Eindruck eines Schlö߬
chens, mindestens einer herrschaftlichen Gutswohnung machten, wurde ich im
Kreise der Lehrer und Lehrerinnen, die sich eben beim Läute" der Glocken über
die marmorne Vorstufe uach dem Portal begeben wollten, vorgestellt, unter
andern den beiden Damen aus dem Kabelbahnwagen.

Die eine, für die ich mich besonders interessirte, stellte nur Herr Miller,


Bilder aus dem Westen

So habe ich Sie gern. Ich konnte Sie gar nicht leiden, als Sie immer so blaß
und krank aussahen.

Harry blickte ihr dankbar in die Augen und suchte ihre Hand zu erfassen,
indem er sie fragte: Und jetzt siud Sie mir wieder gut?

So gut, daß ich Sie heiraten möchte, wenn das nicht etwas so Ge¬
wöhnliches wäre.

O Lizzie — sagte er glücklich —, warum sind Sie mir denn so gut?
Und ihre Hände fanden und drückten sich, während sie erwiderte: Weil Sie
so ganz nach meinem Geschmack sind, und nun will ich anch nichts weiter, als
daß Sie mir wieder gut sind, aber ganz im Ernst und ganz von Herzen!

Trotz der Schülerschar in der Nähe machte Harry eine Bewegung, als
ob er nicht übel Lust hätte, ihr ans offner Straße um den Hals zu fallen.
Da ließ sie, schnell gefaßt, ihren Fächer fallen, und indem er ihn aufhob und
ihr reichte, trennte er sich von ihr mit einer vorschriftsmäßigen Verbeugung,
denn sie waren schon fast mitten in den Schwarm der Spielenden geraten, für
deren Ohren ihr Gespräch wahrhaftig uicht berechnet war.

Ich kehrte eben von einem Morgenspaziergang zurück und beschloß, einer
Einladung, die schon wiederholt an mich ergangen war, heute Folge zu leisten
und die Schule zu besichtigen. Ich war auch so glücklich, die Lehrer, die mich
eingeladen hatten, jetzt vor dem Beginn der Schulstunden vor dem Portal
versammelt zu finden, wo sie die Turnübungen der Schüler beobachteten. Es
war ein munteres Bild um uns her. Geduckte Gestalten mit Brillen sah man
nicht unter den geschmeidig und anmutig dahinfliegenden und -schreitenden,
auch keine blassen, scheuen Gesichter. Alle blickten frisch, dreist und selbst¬
bewußt uni sich und geberdeten sich, als ob ihnen die Welt gehörte. Es
kam mir fast so vor, als wäre der Turnplatz hier die Hauptsache, die Schulstube
die Nebensache.

Das Schulhnns war ein stattliches Rotsteingebäude von der hier beliebten
hochgiebeligen Bauart, mit weit vorspringenden in Schnörkel und Türmchen
ausgehenden Schrägdächern, mit breiten Freitreppen und prächtige» Thor¬
wölbungen. Über deu Portalen und oben an den Spitzbogenfenstern sah man
Butzenscheiben; die glasirten Steine glitzerten in der Morgensonne, die saubere
Schieferdeckung und die in schöner Schlosserarbeit hergestellten Gitter, Flaggen¬
stangen und die Erkerkrönnngen gaben dem Ganzen etwas Vornehmes und
Festliches.

Während ich noch die Baulichkeiten musterte, die den Eindruck eines Schlö߬
chens, mindestens einer herrschaftlichen Gutswohnung machten, wurde ich im
Kreise der Lehrer und Lehrerinnen, die sich eben beim Läute» der Glocken über
die marmorne Vorstufe uach dem Portal begeben wollten, vorgestellt, unter
andern den beiden Damen aus dem Kabelbahnwagen.

Die eine, für die ich mich besonders interessirte, stellte nur Herr Miller,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0614" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215704"/>
          <fw type="header" place="top"> Bilder aus dem Westen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2079" prev="#ID_2078"> So habe ich Sie gern. Ich konnte Sie gar nicht leiden, als Sie immer so blaß<lb/>
und krank aussahen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2080"> Harry blickte ihr dankbar in die Augen und suchte ihre Hand zu erfassen,<lb/>
indem er sie fragte: Und jetzt siud Sie mir wieder gut?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2081"> So gut, daß ich Sie heiraten möchte, wenn das nicht etwas so Ge¬<lb/>
wöhnliches wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2082"> O Lizzie &#x2014; sagte er glücklich &#x2014;, warum sind Sie mir denn so gut?<lb/>
Und ihre Hände fanden und drückten sich, während sie erwiderte: Weil Sie<lb/>
so ganz nach meinem Geschmack sind, und nun will ich anch nichts weiter, als<lb/>
daß Sie mir wieder gut sind, aber ganz im Ernst und ganz von Herzen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2083"> Trotz der Schülerschar in der Nähe machte Harry eine Bewegung, als<lb/>
ob er nicht übel Lust hätte, ihr ans offner Straße um den Hals zu fallen.<lb/>
Da ließ sie, schnell gefaßt, ihren Fächer fallen, und indem er ihn aufhob und<lb/>
ihr reichte, trennte er sich von ihr mit einer vorschriftsmäßigen Verbeugung,<lb/>
denn sie waren schon fast mitten in den Schwarm der Spielenden geraten, für<lb/>
deren Ohren ihr Gespräch wahrhaftig uicht berechnet war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2084"> Ich kehrte eben von einem Morgenspaziergang zurück und beschloß, einer<lb/>
Einladung, die schon wiederholt an mich ergangen war, heute Folge zu leisten<lb/>
und die Schule zu besichtigen. Ich war auch so glücklich, die Lehrer, die mich<lb/>
eingeladen hatten, jetzt vor dem Beginn der Schulstunden vor dem Portal<lb/>
versammelt zu finden, wo sie die Turnübungen der Schüler beobachteten. Es<lb/>
war ein munteres Bild um uns her. Geduckte Gestalten mit Brillen sah man<lb/>
nicht unter den geschmeidig und anmutig dahinfliegenden und -schreitenden,<lb/>
auch keine blassen, scheuen Gesichter. Alle blickten frisch, dreist und selbst¬<lb/>
bewußt uni sich und geberdeten sich, als ob ihnen die Welt gehörte. Es<lb/>
kam mir fast so vor, als wäre der Turnplatz hier die Hauptsache, die Schulstube<lb/>
die Nebensache.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2085"> Das Schulhnns war ein stattliches Rotsteingebäude von der hier beliebten<lb/>
hochgiebeligen Bauart, mit weit vorspringenden in Schnörkel und Türmchen<lb/>
ausgehenden Schrägdächern, mit breiten Freitreppen und prächtige» Thor¬<lb/>
wölbungen. Über deu Portalen und oben an den Spitzbogenfenstern sah man<lb/>
Butzenscheiben; die glasirten Steine glitzerten in der Morgensonne, die saubere<lb/>
Schieferdeckung und die in schöner Schlosserarbeit hergestellten Gitter, Flaggen¬<lb/>
stangen und die Erkerkrönnngen gaben dem Ganzen etwas Vornehmes und<lb/>
Festliches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2086"> Während ich noch die Baulichkeiten musterte, die den Eindruck eines Schlö߬<lb/>
chens, mindestens einer herrschaftlichen Gutswohnung machten, wurde ich im<lb/>
Kreise der Lehrer und Lehrerinnen, die sich eben beim Läute» der Glocken über<lb/>
die marmorne Vorstufe uach dem Portal begeben wollten, vorgestellt, unter<lb/>
andern den beiden Damen aus dem Kabelbahnwagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2087" next="#ID_2088"> Die eine, für die ich mich besonders interessirte, stellte nur Herr Miller,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0614] Bilder aus dem Westen So habe ich Sie gern. Ich konnte Sie gar nicht leiden, als Sie immer so blaß und krank aussahen. Harry blickte ihr dankbar in die Augen und suchte ihre Hand zu erfassen, indem er sie fragte: Und jetzt siud Sie mir wieder gut? So gut, daß ich Sie heiraten möchte, wenn das nicht etwas so Ge¬ wöhnliches wäre. O Lizzie — sagte er glücklich —, warum sind Sie mir denn so gut? Und ihre Hände fanden und drückten sich, während sie erwiderte: Weil Sie so ganz nach meinem Geschmack sind, und nun will ich anch nichts weiter, als daß Sie mir wieder gut sind, aber ganz im Ernst und ganz von Herzen! Trotz der Schülerschar in der Nähe machte Harry eine Bewegung, als ob er nicht übel Lust hätte, ihr ans offner Straße um den Hals zu fallen. Da ließ sie, schnell gefaßt, ihren Fächer fallen, und indem er ihn aufhob und ihr reichte, trennte er sich von ihr mit einer vorschriftsmäßigen Verbeugung, denn sie waren schon fast mitten in den Schwarm der Spielenden geraten, für deren Ohren ihr Gespräch wahrhaftig uicht berechnet war. Ich kehrte eben von einem Morgenspaziergang zurück und beschloß, einer Einladung, die schon wiederholt an mich ergangen war, heute Folge zu leisten und die Schule zu besichtigen. Ich war auch so glücklich, die Lehrer, die mich eingeladen hatten, jetzt vor dem Beginn der Schulstunden vor dem Portal versammelt zu finden, wo sie die Turnübungen der Schüler beobachteten. Es war ein munteres Bild um uns her. Geduckte Gestalten mit Brillen sah man nicht unter den geschmeidig und anmutig dahinfliegenden und -schreitenden, auch keine blassen, scheuen Gesichter. Alle blickten frisch, dreist und selbst¬ bewußt uni sich und geberdeten sich, als ob ihnen die Welt gehörte. Es kam mir fast so vor, als wäre der Turnplatz hier die Hauptsache, die Schulstube die Nebensache. Das Schulhnns war ein stattliches Rotsteingebäude von der hier beliebten hochgiebeligen Bauart, mit weit vorspringenden in Schnörkel und Türmchen ausgehenden Schrägdächern, mit breiten Freitreppen und prächtige» Thor¬ wölbungen. Über deu Portalen und oben an den Spitzbogenfenstern sah man Butzenscheiben; die glasirten Steine glitzerten in der Morgensonne, die saubere Schieferdeckung und die in schöner Schlosserarbeit hergestellten Gitter, Flaggen¬ stangen und die Erkerkrönnngen gaben dem Ganzen etwas Vornehmes und Festliches. Während ich noch die Baulichkeiten musterte, die den Eindruck eines Schlö߬ chens, mindestens einer herrschaftlichen Gutswohnung machten, wurde ich im Kreise der Lehrer und Lehrerinnen, die sich eben beim Läute» der Glocken über die marmorne Vorstufe uach dem Portal begeben wollten, vorgestellt, unter andern den beiden Damen aus dem Kabelbahnwagen. Die eine, für die ich mich besonders interessirte, stellte nur Herr Miller,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/614
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/614>, abgerufen am 28.05.2024.