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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Freiheit für die evangelische Kirche

Die evangelische Kirche ist reif zur Freiheit vom Staate, also gebe man ihr
die Freiheit, auf die sie ein Recht hat.

Ich höre ängstliche Gemüter einwenden: Wenn der Staat in kirchliche
Angelegenheiten nichts mehr hineinzureden hat, wird er auch für sie nichts
mehr aufwenden, er wird sich weigern, den Geistlichen Gehalt zu zahlen,
Kirchenbauten und ähnliche kirchliche Zwecke aus Staatsmitteln zu unterstützen
und zu fördern. Ich frage dagegen: Ist das im Ernst zu befürchten? Giebt
es irgend einen Fall, aus dem sich die Neigung dazu schließen ließe? Auf
den preußischen Kulturkampf kann man sich nicht berufen, denn damals handelte
es sich doch nicht darum, daß der Staat der Kirche schlechthin die staatliche
Unterstützung verweigerte, sondern nur einzelnen Geistlichen wurde der Brot¬
korb höher gehängt, weil sie berechtigten Anforderungen des Staats nicht ge¬
horchen wollten. Gerade um dieses Zwangsmittel auch der evangelischen Kirche
gegenüber in der Hand zu behalten, wird der Staat gar nicht daran denken,
ihr die Staatsunterstützung zu entziehen. Und wenn er doch daran dächte?
Wenn er sogar den Versuch machte? Er würde ihn schnell wieder aufgeben,
weil sich schnell herausstellen würde, daß er sich damit ins eigne Fleisch schnitte;
die Vorgänge in Frankreich sind dafür sehr lehrreich. Ich habe sogar die
Überzeugung, daß der Staat eine freie evangelische Kirche noch viel reichlicher
mit Geldmitteln versehen würde, als er es jetzt mit der abhängigen thut, zumal
da sich die moralische Verpflichtung dazu aus dem Umstände ergiebt, daß der
Staat die katholischen Kirchengüter, deren natürlicher und rechtmäßiger Erbe
die evangelische Kirche war, eingezogen hat.

Darum keine Bedenklichkeiten auf feiten der Kirche, wenn der Staat die
notwendige Folgerung dessen zieht, was er schon der evangelischen Kirche zu¬
gestanden hat, wenn er endlich die Forderung erfüllt, die wahre Freunde dieser
Kirche schon längst erhoben haben,*) wenn er seine Vormundschaft über die
evangelische Kirche aufgiebt.

Sobald aber die evangelische Kirche die ihr gebührende Freiheit und Selb¬
ständigkeit erlangt haben wird, wird sie auch in der Lage sein, sich von etwas
anderen zu befreien, das sie jetzt unbehilflich und schwerfällig macht. Dieses
andre ist die Menge derer, die bloß äußerlich und gezwungen -- nämlich vom
Staate gezwungen -- zur Kirche gehören.

Der Staat hat einmal den Ehrgeiz gehabt, christlich sein zu wollen. Ganz
folgerichtig hat er alle, die nicht Christen waren oder vom Staatschristentum
abwichen, von den Staatsbürgerrechten ausgeschlossen. Andrerseits hat er
streng darauf gehalten, daß die Zuflüsse seiner Lebenskraft christlich waren, mit
andern Worten, daß die zu Bürgern heranwachsende Jugend der christlichen
Kirche angehörte. Dies war durchführbar, solange die katholische Kirche das



") Unter ihnen Lehrer des staatlichen Kirchenrechts, wie Professor Sohm in Leipzig.
Freiheit für die evangelische Kirche

Die evangelische Kirche ist reif zur Freiheit vom Staate, also gebe man ihr
die Freiheit, auf die sie ein Recht hat.

Ich höre ängstliche Gemüter einwenden: Wenn der Staat in kirchliche
Angelegenheiten nichts mehr hineinzureden hat, wird er auch für sie nichts
mehr aufwenden, er wird sich weigern, den Geistlichen Gehalt zu zahlen,
Kirchenbauten und ähnliche kirchliche Zwecke aus Staatsmitteln zu unterstützen
und zu fördern. Ich frage dagegen: Ist das im Ernst zu befürchten? Giebt
es irgend einen Fall, aus dem sich die Neigung dazu schließen ließe? Auf
den preußischen Kulturkampf kann man sich nicht berufen, denn damals handelte
es sich doch nicht darum, daß der Staat der Kirche schlechthin die staatliche
Unterstützung verweigerte, sondern nur einzelnen Geistlichen wurde der Brot¬
korb höher gehängt, weil sie berechtigten Anforderungen des Staats nicht ge¬
horchen wollten. Gerade um dieses Zwangsmittel auch der evangelischen Kirche
gegenüber in der Hand zu behalten, wird der Staat gar nicht daran denken,
ihr die Staatsunterstützung zu entziehen. Und wenn er doch daran dächte?
Wenn er sogar den Versuch machte? Er würde ihn schnell wieder aufgeben,
weil sich schnell herausstellen würde, daß er sich damit ins eigne Fleisch schnitte;
die Vorgänge in Frankreich sind dafür sehr lehrreich. Ich habe sogar die
Überzeugung, daß der Staat eine freie evangelische Kirche noch viel reichlicher
mit Geldmitteln versehen würde, als er es jetzt mit der abhängigen thut, zumal
da sich die moralische Verpflichtung dazu aus dem Umstände ergiebt, daß der
Staat die katholischen Kirchengüter, deren natürlicher und rechtmäßiger Erbe
die evangelische Kirche war, eingezogen hat.

Darum keine Bedenklichkeiten auf feiten der Kirche, wenn der Staat die
notwendige Folgerung dessen zieht, was er schon der evangelischen Kirche zu¬
gestanden hat, wenn er endlich die Forderung erfüllt, die wahre Freunde dieser
Kirche schon längst erhoben haben,*) wenn er seine Vormundschaft über die
evangelische Kirche aufgiebt.

Sobald aber die evangelische Kirche die ihr gebührende Freiheit und Selb¬
ständigkeit erlangt haben wird, wird sie auch in der Lage sein, sich von etwas
anderen zu befreien, das sie jetzt unbehilflich und schwerfällig macht. Dieses
andre ist die Menge derer, die bloß äußerlich und gezwungen — nämlich vom
Staate gezwungen — zur Kirche gehören.

Der Staat hat einmal den Ehrgeiz gehabt, christlich sein zu wollen. Ganz
folgerichtig hat er alle, die nicht Christen waren oder vom Staatschristentum
abwichen, von den Staatsbürgerrechten ausgeschlossen. Andrerseits hat er
streng darauf gehalten, daß die Zuflüsse seiner Lebenskraft christlich waren, mit
andern Worten, daß die zu Bürgern heranwachsende Jugend der christlichen
Kirche angehörte. Dies war durchführbar, solange die katholische Kirche das



») Unter ihnen Lehrer des staatlichen Kirchenrechts, wie Professor Sohm in Leipzig.
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[0016] Freiheit für die evangelische Kirche Die evangelische Kirche ist reif zur Freiheit vom Staate, also gebe man ihr die Freiheit, auf die sie ein Recht hat. Ich höre ängstliche Gemüter einwenden: Wenn der Staat in kirchliche Angelegenheiten nichts mehr hineinzureden hat, wird er auch für sie nichts mehr aufwenden, er wird sich weigern, den Geistlichen Gehalt zu zahlen, Kirchenbauten und ähnliche kirchliche Zwecke aus Staatsmitteln zu unterstützen und zu fördern. Ich frage dagegen: Ist das im Ernst zu befürchten? Giebt es irgend einen Fall, aus dem sich die Neigung dazu schließen ließe? Auf den preußischen Kulturkampf kann man sich nicht berufen, denn damals handelte es sich doch nicht darum, daß der Staat der Kirche schlechthin die staatliche Unterstützung verweigerte, sondern nur einzelnen Geistlichen wurde der Brot¬ korb höher gehängt, weil sie berechtigten Anforderungen des Staats nicht ge¬ horchen wollten. Gerade um dieses Zwangsmittel auch der evangelischen Kirche gegenüber in der Hand zu behalten, wird der Staat gar nicht daran denken, ihr die Staatsunterstützung zu entziehen. Und wenn er doch daran dächte? Wenn er sogar den Versuch machte? Er würde ihn schnell wieder aufgeben, weil sich schnell herausstellen würde, daß er sich damit ins eigne Fleisch schnitte; die Vorgänge in Frankreich sind dafür sehr lehrreich. Ich habe sogar die Überzeugung, daß der Staat eine freie evangelische Kirche noch viel reichlicher mit Geldmitteln versehen würde, als er es jetzt mit der abhängigen thut, zumal da sich die moralische Verpflichtung dazu aus dem Umstände ergiebt, daß der Staat die katholischen Kirchengüter, deren natürlicher und rechtmäßiger Erbe die evangelische Kirche war, eingezogen hat. Darum keine Bedenklichkeiten auf feiten der Kirche, wenn der Staat die notwendige Folgerung dessen zieht, was er schon der evangelischen Kirche zu¬ gestanden hat, wenn er endlich die Forderung erfüllt, die wahre Freunde dieser Kirche schon längst erhoben haben,*) wenn er seine Vormundschaft über die evangelische Kirche aufgiebt. Sobald aber die evangelische Kirche die ihr gebührende Freiheit und Selb¬ ständigkeit erlangt haben wird, wird sie auch in der Lage sein, sich von etwas anderen zu befreien, das sie jetzt unbehilflich und schwerfällig macht. Dieses andre ist die Menge derer, die bloß äußerlich und gezwungen — nämlich vom Staate gezwungen — zur Kirche gehören. Der Staat hat einmal den Ehrgeiz gehabt, christlich sein zu wollen. Ganz folgerichtig hat er alle, die nicht Christen waren oder vom Staatschristentum abwichen, von den Staatsbürgerrechten ausgeschlossen. Andrerseits hat er streng darauf gehalten, daß die Zuflüsse seiner Lebenskraft christlich waren, mit andern Worten, daß die zu Bürgern heranwachsende Jugend der christlichen Kirche angehörte. Dies war durchführbar, solange die katholische Kirche das ») Unter ihnen Lehrer des staatlichen Kirchenrechts, wie Professor Sohm in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/16>, abgerufen am 10.05.2024.