Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

jeden für einen Verleumder erklärt hätten, der ihnen finanzielle Abhängigkeit
por den großen Bremer und Hamburger Tabaksfirmen und den mächtigen
Export- und Jmporthäusern nachgesagt hätte, bezeichneten mit absprechender
Sicherheit jeden Freund gemäßigter Schutzzölle und der Monopolisirung der
Tabakfabrikation für einen "Offiziösen," das sollte heißen für einen Man",
der seine überzeuguugslvse Weisheit im Solde der Regierung verzapfte. Man war
schließlich dahin gelangt, daß man überhaupt nur noch zwei Gruppen von Blät¬
tern und Journalisten gelten ließ: regierungsfeindliche und rcgicrungsbestochne.

Das änderte sich mit einem Schlage, als nach dem Tode des alten Kaisers
Kaiser Friedrich die Regierung antrat und die Deutschfreisinnigen von Richter
bis Baumbach alsbald Wadenstrümpfe und Kniehosen über ihre langen Fort¬
schrittsbeine zogen. Aber auch später unter dem Grafen Caprivi trat insofern
ein Wandel gegen früher ein, als die ehemaligen Oppositionsparteien mit den
Maßnahmen des neuen Kurses einverstanden waren. Dafür fing man aber
nun an, die sogenannten "Reptilien" in Caprivi-, Miguel- und wer weiß was
sonst für Offiziöse einzuteilen, wobei die Grenzen und Bezeichnungen mit einer
Sicherheit getroffen wurden, als handelte es sich wirklich um die wissenschaft¬
liche Einteilung eines naturgeschichtlichen Gebietes. In der Leichtfertigkeit,
mit der die Zeitungen diese Klassifikation annahmen und zu der ihrigen machten,
zeigte sich so recht die Gedankenlosigkeit und Gedächtnisschwäche, womit eitz
großer Teil unsrer Zeitungen gemacht wird. Wenn irgendwo, so gilt in der
Presse als Verhaltungsmaßregel der Rat Mephistos: "Bezeugt nur, ohne
viel zu wissen."

Hiernach scheint es um vieles leichter, zu sagen, was die offiziöse Presse
nicht ist, als was sie ist. Sie ist nicht die Gesamtheit der Blätter und Be¬
richterstatter, die die Regierungspolitik im ganzen oder im einzelnen verteidigen.
Denn offiziös kann nach dein herrschenden Sprachgebrauch nur der geuannj
werden, der materiell oder ideell in seinem Verhältnis zur Regierung ab¬
hängig ist, nicht aber der, der ans eigner Überzeugung und freier Entschließung
für die Maßnahmen der Regierung eintritt. Denn "och ist, Gott sei Dank,
trotz des norddeutschen Freisinns und der süddeutschen Demokratie die Haltung
der Regierung des Reichs wie der meisten Einzelstaaten derart, daß auch
wirklich liberale Männer, wenn auch uicht in jeder Einzelheit, so doch im
großen und ganzen für sie eintreten können. Wir haben also, wenn wir hier
von der offiziösen Presse reden, nicht jenen nebelhaften Begriff im Sinne,
sondern nur die wirklich von der Regierung abhängige Presse.

Diese Abhängigkeit ist eine unmittelbare bei allen denen, die in dein Preß-
büreau der Regierung dafür angestellt sind, die Ansichten der Regierung
in Briefen an die verschiedensten Zeitungen 'zu verbreiten, teils gegen;,
teils ohne Entgelt, je nachdem die Verhältnisse liegen. Kleinere Blätter
pflegen die Berichte, die sich meist durch große Langweiligkeit auszeichnen, um-


jeden für einen Verleumder erklärt hätten, der ihnen finanzielle Abhängigkeit
por den großen Bremer und Hamburger Tabaksfirmen und den mächtigen
Export- und Jmporthäusern nachgesagt hätte, bezeichneten mit absprechender
Sicherheit jeden Freund gemäßigter Schutzzölle und der Monopolisirung der
Tabakfabrikation für einen „Offiziösen," das sollte heißen für einen Man»,
der seine überzeuguugslvse Weisheit im Solde der Regierung verzapfte. Man war
schließlich dahin gelangt, daß man überhaupt nur noch zwei Gruppen von Blät¬
tern und Journalisten gelten ließ: regierungsfeindliche und rcgicrungsbestochne.

Das änderte sich mit einem Schlage, als nach dem Tode des alten Kaisers
Kaiser Friedrich die Regierung antrat und die Deutschfreisinnigen von Richter
bis Baumbach alsbald Wadenstrümpfe und Kniehosen über ihre langen Fort¬
schrittsbeine zogen. Aber auch später unter dem Grafen Caprivi trat insofern
ein Wandel gegen früher ein, als die ehemaligen Oppositionsparteien mit den
Maßnahmen des neuen Kurses einverstanden waren. Dafür fing man aber
nun an, die sogenannten „Reptilien" in Caprivi-, Miguel- und wer weiß was
sonst für Offiziöse einzuteilen, wobei die Grenzen und Bezeichnungen mit einer
Sicherheit getroffen wurden, als handelte es sich wirklich um die wissenschaft¬
liche Einteilung eines naturgeschichtlichen Gebietes. In der Leichtfertigkeit,
mit der die Zeitungen diese Klassifikation annahmen und zu der ihrigen machten,
zeigte sich so recht die Gedankenlosigkeit und Gedächtnisschwäche, womit eitz
großer Teil unsrer Zeitungen gemacht wird. Wenn irgendwo, so gilt in der
Presse als Verhaltungsmaßregel der Rat Mephistos: „Bezeugt nur, ohne
viel zu wissen."

Hiernach scheint es um vieles leichter, zu sagen, was die offiziöse Presse
nicht ist, als was sie ist. Sie ist nicht die Gesamtheit der Blätter und Be¬
richterstatter, die die Regierungspolitik im ganzen oder im einzelnen verteidigen.
Denn offiziös kann nach dein herrschenden Sprachgebrauch nur der geuannj
werden, der materiell oder ideell in seinem Verhältnis zur Regierung ab¬
hängig ist, nicht aber der, der ans eigner Überzeugung und freier Entschließung
für die Maßnahmen der Regierung eintritt. Denn »och ist, Gott sei Dank,
trotz des norddeutschen Freisinns und der süddeutschen Demokratie die Haltung
der Regierung des Reichs wie der meisten Einzelstaaten derart, daß auch
wirklich liberale Männer, wenn auch uicht in jeder Einzelheit, so doch im
großen und ganzen für sie eintreten können. Wir haben also, wenn wir hier
von der offiziösen Presse reden, nicht jenen nebelhaften Begriff im Sinne,
sondern nur die wirklich von der Regierung abhängige Presse.

Diese Abhängigkeit ist eine unmittelbare bei allen denen, die in dein Preß-
büreau der Regierung dafür angestellt sind, die Ansichten der Regierung
in Briefen an die verschiedensten Zeitungen 'zu verbreiten, teils gegen;,
teils ohne Entgelt, je nachdem die Verhältnisse liegen. Kleinere Blätter
pflegen die Berichte, die sich meist durch große Langweiligkeit auszeichnen, um-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219204"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_578" prev="#ID_577"> jeden für einen Verleumder erklärt hätten, der ihnen finanzielle Abhängigkeit<lb/>
por den großen Bremer und Hamburger Tabaksfirmen und den mächtigen<lb/>
Export- und Jmporthäusern nachgesagt hätte, bezeichneten mit absprechender<lb/>
Sicherheit jeden Freund gemäßigter Schutzzölle und der Monopolisirung der<lb/>
Tabakfabrikation für einen &#x201E;Offiziösen," das sollte heißen für einen Man»,<lb/>
der seine überzeuguugslvse Weisheit im Solde der Regierung verzapfte. Man war<lb/>
schließlich dahin gelangt, daß man überhaupt nur noch zwei Gruppen von Blät¬<lb/>
tern und Journalisten gelten ließ: regierungsfeindliche und rcgicrungsbestochne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_579"> Das änderte sich mit einem Schlage, als nach dem Tode des alten Kaisers<lb/>
Kaiser Friedrich die Regierung antrat und die Deutschfreisinnigen von Richter<lb/>
bis Baumbach alsbald Wadenstrümpfe und Kniehosen über ihre langen Fort¬<lb/>
schrittsbeine zogen. Aber auch später unter dem Grafen Caprivi trat insofern<lb/>
ein Wandel gegen früher ein, als die ehemaligen Oppositionsparteien mit den<lb/>
Maßnahmen des neuen Kurses einverstanden waren. Dafür fing man aber<lb/>
nun an, die sogenannten &#x201E;Reptilien" in Caprivi-, Miguel- und wer weiß was<lb/>
sonst für Offiziöse einzuteilen, wobei die Grenzen und Bezeichnungen mit einer<lb/>
Sicherheit getroffen wurden, als handelte es sich wirklich um die wissenschaft¬<lb/>
liche Einteilung eines naturgeschichtlichen Gebietes. In der Leichtfertigkeit,<lb/>
mit der die Zeitungen diese Klassifikation annahmen und zu der ihrigen machten,<lb/>
zeigte sich so recht die Gedankenlosigkeit und Gedächtnisschwäche, womit eitz<lb/>
großer Teil unsrer Zeitungen gemacht wird. Wenn irgendwo, so gilt in der<lb/>
Presse als Verhaltungsmaßregel der Rat Mephistos: &#x201E;Bezeugt nur, ohne<lb/>
viel zu wissen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_580"> Hiernach scheint es um vieles leichter, zu sagen, was die offiziöse Presse<lb/>
nicht ist, als was sie ist. Sie ist nicht die Gesamtheit der Blätter und Be¬<lb/>
richterstatter, die die Regierungspolitik im ganzen oder im einzelnen verteidigen.<lb/>
Denn offiziös kann nach dein herrschenden Sprachgebrauch nur der geuannj<lb/>
werden, der materiell oder ideell in seinem Verhältnis zur Regierung ab¬<lb/>
hängig ist, nicht aber der, der ans eigner Überzeugung und freier Entschließung<lb/>
für die Maßnahmen der Regierung eintritt. Denn »och ist, Gott sei Dank,<lb/>
trotz des norddeutschen Freisinns und der süddeutschen Demokratie die Haltung<lb/>
der Regierung des Reichs wie der meisten Einzelstaaten derart, daß auch<lb/>
wirklich liberale Männer, wenn auch uicht in jeder Einzelheit, so doch im<lb/>
großen und ganzen für sie eintreten können. Wir haben also, wenn wir hier<lb/>
von der offiziösen Presse reden, nicht jenen nebelhaften Begriff im Sinne,<lb/>
sondern nur die wirklich von der Regierung abhängige Presse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_581" next="#ID_582"> Diese Abhängigkeit ist eine unmittelbare bei allen denen, die in dein Preß-<lb/>
büreau der Regierung dafür angestellt sind, die Ansichten der Regierung<lb/>
in Briefen an die verschiedensten Zeitungen 'zu verbreiten, teils gegen;,<lb/>
teils ohne Entgelt, je nachdem die Verhältnisse liegen. Kleinere Blätter<lb/>
pflegen die Berichte, die sich meist durch große Langweiligkeit auszeichnen, um-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] jeden für einen Verleumder erklärt hätten, der ihnen finanzielle Abhängigkeit por den großen Bremer und Hamburger Tabaksfirmen und den mächtigen Export- und Jmporthäusern nachgesagt hätte, bezeichneten mit absprechender Sicherheit jeden Freund gemäßigter Schutzzölle und der Monopolisirung der Tabakfabrikation für einen „Offiziösen," das sollte heißen für einen Man», der seine überzeuguugslvse Weisheit im Solde der Regierung verzapfte. Man war schließlich dahin gelangt, daß man überhaupt nur noch zwei Gruppen von Blät¬ tern und Journalisten gelten ließ: regierungsfeindliche und rcgicrungsbestochne. Das änderte sich mit einem Schlage, als nach dem Tode des alten Kaisers Kaiser Friedrich die Regierung antrat und die Deutschfreisinnigen von Richter bis Baumbach alsbald Wadenstrümpfe und Kniehosen über ihre langen Fort¬ schrittsbeine zogen. Aber auch später unter dem Grafen Caprivi trat insofern ein Wandel gegen früher ein, als die ehemaligen Oppositionsparteien mit den Maßnahmen des neuen Kurses einverstanden waren. Dafür fing man aber nun an, die sogenannten „Reptilien" in Caprivi-, Miguel- und wer weiß was sonst für Offiziöse einzuteilen, wobei die Grenzen und Bezeichnungen mit einer Sicherheit getroffen wurden, als handelte es sich wirklich um die wissenschaft¬ liche Einteilung eines naturgeschichtlichen Gebietes. In der Leichtfertigkeit, mit der die Zeitungen diese Klassifikation annahmen und zu der ihrigen machten, zeigte sich so recht die Gedankenlosigkeit und Gedächtnisschwäche, womit eitz großer Teil unsrer Zeitungen gemacht wird. Wenn irgendwo, so gilt in der Presse als Verhaltungsmaßregel der Rat Mephistos: „Bezeugt nur, ohne viel zu wissen." Hiernach scheint es um vieles leichter, zu sagen, was die offiziöse Presse nicht ist, als was sie ist. Sie ist nicht die Gesamtheit der Blätter und Be¬ richterstatter, die die Regierungspolitik im ganzen oder im einzelnen verteidigen. Denn offiziös kann nach dein herrschenden Sprachgebrauch nur der geuannj werden, der materiell oder ideell in seinem Verhältnis zur Regierung ab¬ hängig ist, nicht aber der, der ans eigner Überzeugung und freier Entschließung für die Maßnahmen der Regierung eintritt. Denn »och ist, Gott sei Dank, trotz des norddeutschen Freisinns und der süddeutschen Demokratie die Haltung der Regierung des Reichs wie der meisten Einzelstaaten derart, daß auch wirklich liberale Männer, wenn auch uicht in jeder Einzelheit, so doch im großen und ganzen für sie eintreten können. Wir haben also, wenn wir hier von der offiziösen Presse reden, nicht jenen nebelhaften Begriff im Sinne, sondern nur die wirklich von der Regierung abhängige Presse. Diese Abhängigkeit ist eine unmittelbare bei allen denen, die in dein Preß- büreau der Regierung dafür angestellt sind, die Ansichten der Regierung in Briefen an die verschiedensten Zeitungen 'zu verbreiten, teils gegen;, teils ohne Entgelt, je nachdem die Verhältnisse liegen. Kleinere Blätter pflegen die Berichte, die sich meist durch große Langweiligkeit auszeichnen, um-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/202>, abgerufen am 12.05.2024.