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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Victor Alan Huber

von Dr. K. Munding. Mit drei Bildern Hubers (Berlin, Aktiengesellschaft
Pivnier). Gewidmet ist das Buch der Gräfin Viktorine Butter-Haimhciusen,
"der treuen Freundin und Mitarbeiterin Hubers, der hochherzigen Förderin
dieses Werkes."

Der Titel ist zu eng, da glücklicherweise auch viel politisches, litterarisches,
historisches aufgenommen worden ist. Munding hat die Schriften nicht ein¬
fach abgedruckt, sondern das minder wichtige und Wiederholungen gestrichen,
das für den Abdruck aufgewühlte Material aber zu Kapiteln verarbeitet. In
jedem Kapitel sind die denselben Gegenstand behandelnden Stücke aus ver-
schiednen Schriften mosaikartig zusammengefügt, und zwar so geschickt, daß
jedes ein wohlgefügtes Ganze bildet. Ziffern am Rande, die auf das voran¬
gestellte Schriftenverzeichnis verweisen, machen die Auffindung in dem Original¬
werke leicht. Einige kleinere Sachen sind vollständig aufgenommen worden.
Der ganze Stoff ist in die drei Teile gegliedert: 1. Umrisse der sozialpolitischen
Auffassung Hubers und historisch-politische Schriften. 2. Zur Geschichte und
Kritik der sozialen Bewegung. 3. Das genossenschaftliche Reformwerk. Voraus¬
geschickt ist eine ausführliche Biographie, die zwar der größern von Elvers
den Stoff entlehnt, aber den Charakter Hubers und sein Reformwerk nach
der Auffassung darstellt, die Munding aus den Schriften gewonnen hat.

Politiker und Sozialpolitiker werden das Werk selbst zur Hand nehmen
müssen. Wir wollen es daher hier nicht plündern, sondern nur soviel aus
ihm entnehmen, als nötig ist, unsre Stellung zu Hubers Politik und Sozial¬
politik klar zu machen. Zunächst einiges über seine Persönlichkeit.

Huber gehörte zu deu Glücklichen, denen ein reiches geistiges Erbe zu¬
fällt; daraus erklärt sich der Reichtum seines eignen Gemüts, das die ent¬
gegengesetztesten Vorzüge vereinigte. Sein Großvater, Baier von Geburt,
Franzose und freigeistiger Kosmopolit durch langen Aufenthalt in Frankreich,
zuletzt Professor in Leipzig, wird von Goethe (Wahrheit und Dichtung, 8. Buch)
mit Anerkennung erwähnt. Sein Vater (gestorben 1804), ein Freund Körners
und Schillers, war ebenfalls Freigeist, seine Mutter, die der Vater als Georg
Forsters Witwe heiratete, eine Tochter des Göttinger Professors Heyne, war
gleich ihrem Vater religiös, ohne sich an konfessionelle Formen zu binden.
Wilhelm von Humboldt nennt sie eine der bedeutendsten Frauen ihrer Zeit;
ihre Briefe enthalten Schätze von Weisheit. Aus zweien wollen wir ein paar
Sätze anführen, weil sie die Richtung andeuten, in der sich unter ihrem Ein¬
fluß Hubers Charakter entwickelt hat. 1811 schrieb sie, einen Besuch ankün¬
digend, dem elfjährigen nach Hofwyl -- dort, in Fellenbergs Anstalt, wurde
er erzogen --: "Ich bringe viel Geld mit, deine Pension zu bezahlen.
Wenn du bedenkst, teures Kind, wie manchen Armen das Geld nützen könnte,
wie viel ich sorgen muß, um es zu sammeln, so wirst du fühlen, wie kostbar
deine Zeit ist. Du mußt in ihr Mittel finden, einst jedem Armen und Be-


Victor Alan Huber

von Dr. K. Munding. Mit drei Bildern Hubers (Berlin, Aktiengesellschaft
Pivnier). Gewidmet ist das Buch der Gräfin Viktorine Butter-Haimhciusen,
„der treuen Freundin und Mitarbeiterin Hubers, der hochherzigen Förderin
dieses Werkes."

Der Titel ist zu eng, da glücklicherweise auch viel politisches, litterarisches,
historisches aufgenommen worden ist. Munding hat die Schriften nicht ein¬
fach abgedruckt, sondern das minder wichtige und Wiederholungen gestrichen,
das für den Abdruck aufgewühlte Material aber zu Kapiteln verarbeitet. In
jedem Kapitel sind die denselben Gegenstand behandelnden Stücke aus ver-
schiednen Schriften mosaikartig zusammengefügt, und zwar so geschickt, daß
jedes ein wohlgefügtes Ganze bildet. Ziffern am Rande, die auf das voran¬
gestellte Schriftenverzeichnis verweisen, machen die Auffindung in dem Original¬
werke leicht. Einige kleinere Sachen sind vollständig aufgenommen worden.
Der ganze Stoff ist in die drei Teile gegliedert: 1. Umrisse der sozialpolitischen
Auffassung Hubers und historisch-politische Schriften. 2. Zur Geschichte und
Kritik der sozialen Bewegung. 3. Das genossenschaftliche Reformwerk. Voraus¬
geschickt ist eine ausführliche Biographie, die zwar der größern von Elvers
den Stoff entlehnt, aber den Charakter Hubers und sein Reformwerk nach
der Auffassung darstellt, die Munding aus den Schriften gewonnen hat.

Politiker und Sozialpolitiker werden das Werk selbst zur Hand nehmen
müssen. Wir wollen es daher hier nicht plündern, sondern nur soviel aus
ihm entnehmen, als nötig ist, unsre Stellung zu Hubers Politik und Sozial¬
politik klar zu machen. Zunächst einiges über seine Persönlichkeit.

Huber gehörte zu deu Glücklichen, denen ein reiches geistiges Erbe zu¬
fällt; daraus erklärt sich der Reichtum seines eignen Gemüts, das die ent¬
gegengesetztesten Vorzüge vereinigte. Sein Großvater, Baier von Geburt,
Franzose und freigeistiger Kosmopolit durch langen Aufenthalt in Frankreich,
zuletzt Professor in Leipzig, wird von Goethe (Wahrheit und Dichtung, 8. Buch)
mit Anerkennung erwähnt. Sein Vater (gestorben 1804), ein Freund Körners
und Schillers, war ebenfalls Freigeist, seine Mutter, die der Vater als Georg
Forsters Witwe heiratete, eine Tochter des Göttinger Professors Heyne, war
gleich ihrem Vater religiös, ohne sich an konfessionelle Formen zu binden.
Wilhelm von Humboldt nennt sie eine der bedeutendsten Frauen ihrer Zeit;
ihre Briefe enthalten Schätze von Weisheit. Aus zweien wollen wir ein paar
Sätze anführen, weil sie die Richtung andeuten, in der sich unter ihrem Ein¬
fluß Hubers Charakter entwickelt hat. 1811 schrieb sie, einen Besuch ankün¬
digend, dem elfjährigen nach Hofwyl — dort, in Fellenbergs Anstalt, wurde
er erzogen —: „Ich bringe viel Geld mit, deine Pension zu bezahlen.
Wenn du bedenkst, teures Kind, wie manchen Armen das Geld nützen könnte,
wie viel ich sorgen muß, um es zu sammeln, so wirst du fühlen, wie kostbar
deine Zeit ist. Du mußt in ihr Mittel finden, einst jedem Armen und Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/370>, abgerufen am 13.05.2024.