Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Wandlungen des Ich im Ieitenstrome ich freilich nicht hören, aber die Abendpredigt versäumte ich nie, und mich die Als Gelegenheit zu solcher Machtentfaltung kamen den katholischen Wandlungen des Ich im Ieitenstrome ich freilich nicht hören, aber die Abendpredigt versäumte ich nie, und mich die Als Gelegenheit zu solcher Machtentfaltung kamen den katholischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0529" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219531"/> <fw type="header" place="top"> Wandlungen des Ich im Ieitenstrome</fw><lb/> <p xml:id="ID_1569" prev="#ID_1568"> ich freilich nicht hören, aber die Abendpredigt versäumte ich nie, und mich die<lb/> Morgeupredigt, die vor Tagesanbruch gehalten wurde, besuchte ich gewöhnlich.<lb/> So hörte ich alle Predigten des ?, Roh in der Matthinskirche und mehrere<lb/> Predigten der ??. Josef und Max Klinkowström in der Sandkirche. Man<lb/> kann sich keinen stärker» Gegensatz denken, als den zwischen diesen drei<lb/> Männern: dem humorvollen, scharfen Logiker Roh, einem behäbig dicken<lb/> Manne, dem zart gebauten, sanften Josef und dem feurigen Enthusiasten Max<lb/> Klinkvwstrvm. Nur der Gesamteindruck der Persönlichkeiten ist mir im Ge¬<lb/> dächtnis geblieben, vom Inhalt ihrer Predigten fast nichts; ich weiß daher<lb/> nicht, wie ich sie heute beurteilen würde. Nur das weiß ich, daß ihnen die<lb/> Zeitungen — natürlich die protestantischen, katholische gab es damals noch<lb/> nicht — uneingeschränktes Lob spendeten, und so werden sie Wohl auch dem<lb/> neunzehnjährigen Studenten imponirt haben. Ich vermute aber, daß die Be¬<lb/> gleiterscheinungen einen tiefern Eindruck gemacht haben werden als der Inhalt<lb/> der Predigten. Namentlich bei Roh waren die Zuhörer größtenteils Müuner,<lb/> und in den übrigen Predigten machten sie mindestens die Hälfte aus. Das<lb/> Predigtlied von einem tauseudstimmigeu Männerchor singen hören, und eine<lb/> so große Schar von Männern vierzehn Tage hindurch täglich mit tiefem Ernst<lb/> religiösen Vorträgen lauschen, dann beten und beichten sehen, das bringt schon<lb/> auf den bloßen Znschnner, noch viel mehr aber auf den Teilnehmer an der An¬<lb/> dacht jene elektrisircudc Wirkung hervor, der auf weltlichem Gebiete die Hurra¬<lb/> oder Entrüstuiigsstimmnng großer politischer Versammlungen entspricht, und<lb/> dem Verstände stellt sich die durch solche Münnerscharen vertretene Kirche<lb/> als eine Macht dar.</p><lb/> <p xml:id="ID_1570" next="#ID_1571"> Als Gelegenheit zu solcher Machtentfaltung kamen den katholischen<lb/> Männern die Jesuitenmissionen sehr gelegen. Nicht etwa, daß die dabei ge¬<lb/> offenbarte Religiosität erheuchelt gewesen wäre, aber der Mensch handelt selten<lb/> unter dem Antriebe eines einzigen Beweggrundes, und da die Kirchen nun<lb/> einmal nicht bloß Religionsgesellschaften, sondern auch Interessengemeinschaften<lb/> sind, so ist eine religiöse Bewegung, die nichts als religiös wäre, nur inner¬<lb/> halb sehr enger Kreise denkbar. In der Zeit der Gegenreformation waren die<lb/> Katholiken über den größten Teil von Deutschland hin der Hammer, die<lb/> Protestanten der Ambos gewesen. Dann kehrte sich das Verhältnis allmählich<lb/> um in dem Maße, wie Preußen im Reiche, die Aufklärung im Geistesleben<lb/> um sich griff. Auf den Gebieten der Wissenschaft, der Litteratur und der Kunst<lb/> gerieten die Katholiken ins Hintertreffen, die höhern Stantsämter wurden<lb/> mit Protestanten oder unkirchlichen Katholiken besetzt, und beschwerten sich die-<lb/> kirchlich gesinnten, so hieß es, ihr seid geistig beschränkte, abergläubische und<lb/> bigotte Leute, also unfähig für höhere Stellungen, und außerdem als geistige<lb/> Unterthanen eiues italienischen Fürsten unsichre Kantonisten, sodaß also zur<lb/> Benachteiligung noch die Kränkung hinzugefügt wurde. In der Gemeinde-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0529]
Wandlungen des Ich im Ieitenstrome
ich freilich nicht hören, aber die Abendpredigt versäumte ich nie, und mich die
Morgeupredigt, die vor Tagesanbruch gehalten wurde, besuchte ich gewöhnlich.
So hörte ich alle Predigten des ?, Roh in der Matthinskirche und mehrere
Predigten der ??. Josef und Max Klinkowström in der Sandkirche. Man
kann sich keinen stärker» Gegensatz denken, als den zwischen diesen drei
Männern: dem humorvollen, scharfen Logiker Roh, einem behäbig dicken
Manne, dem zart gebauten, sanften Josef und dem feurigen Enthusiasten Max
Klinkvwstrvm. Nur der Gesamteindruck der Persönlichkeiten ist mir im Ge¬
dächtnis geblieben, vom Inhalt ihrer Predigten fast nichts; ich weiß daher
nicht, wie ich sie heute beurteilen würde. Nur das weiß ich, daß ihnen die
Zeitungen — natürlich die protestantischen, katholische gab es damals noch
nicht — uneingeschränktes Lob spendeten, und so werden sie Wohl auch dem
neunzehnjährigen Studenten imponirt haben. Ich vermute aber, daß die Be¬
gleiterscheinungen einen tiefern Eindruck gemacht haben werden als der Inhalt
der Predigten. Namentlich bei Roh waren die Zuhörer größtenteils Müuner,
und in den übrigen Predigten machten sie mindestens die Hälfte aus. Das
Predigtlied von einem tauseudstimmigeu Männerchor singen hören, und eine
so große Schar von Männern vierzehn Tage hindurch täglich mit tiefem Ernst
religiösen Vorträgen lauschen, dann beten und beichten sehen, das bringt schon
auf den bloßen Znschnner, noch viel mehr aber auf den Teilnehmer an der An¬
dacht jene elektrisircudc Wirkung hervor, der auf weltlichem Gebiete die Hurra¬
oder Entrüstuiigsstimmnng großer politischer Versammlungen entspricht, und
dem Verstände stellt sich die durch solche Münnerscharen vertretene Kirche
als eine Macht dar.
Als Gelegenheit zu solcher Machtentfaltung kamen den katholischen
Männern die Jesuitenmissionen sehr gelegen. Nicht etwa, daß die dabei ge¬
offenbarte Religiosität erheuchelt gewesen wäre, aber der Mensch handelt selten
unter dem Antriebe eines einzigen Beweggrundes, und da die Kirchen nun
einmal nicht bloß Religionsgesellschaften, sondern auch Interessengemeinschaften
sind, so ist eine religiöse Bewegung, die nichts als religiös wäre, nur inner¬
halb sehr enger Kreise denkbar. In der Zeit der Gegenreformation waren die
Katholiken über den größten Teil von Deutschland hin der Hammer, die
Protestanten der Ambos gewesen. Dann kehrte sich das Verhältnis allmählich
um in dem Maße, wie Preußen im Reiche, die Aufklärung im Geistesleben
um sich griff. Auf den Gebieten der Wissenschaft, der Litteratur und der Kunst
gerieten die Katholiken ins Hintertreffen, die höhern Stantsämter wurden
mit Protestanten oder unkirchlichen Katholiken besetzt, und beschwerten sich die-
kirchlich gesinnten, so hieß es, ihr seid geistig beschränkte, abergläubische und
bigotte Leute, also unfähig für höhere Stellungen, und außerdem als geistige
Unterthanen eiues italienischen Fürsten unsichre Kantonisten, sodaß also zur
Benachteiligung noch die Kränkung hinzugefügt wurde. In der Gemeinde-
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