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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Vase zerschlug: Es können die Eblis, die uns hassen, vollkommnes nicht voll¬
kommen lassen; der Gesamteindruck ward dadurch nicht beeinträchtigt. Es
versteht sich, daß die Zeremonien der Karwoche, an denen der Lamentationen
wegen auch ein größeres Publikum teilzunehmen Pflegt, einen besonders tiefen
Eindruck machten.

Von Ostern ab litt ich am Wechselfieber, wozu dann noch ein Bluthusten
kam. Ich war sehr elend, aber nicht in dem Grade, daß ich an der Vollendung
des Kursus gehindert worden wäre. Am 28. Juni 1856 empfingen wir die
Priesterweihe. Die katholische Kirche lehrt, daß die drei Sakramente der Taufe,
der Firmung und der Priesterweihe der Seele einen plur^otsr wäelcMlis ein¬
drücken, und die Exerzitiemneister versäumen nicht, den Glauben tief einzuprägen,
daß an der Seele des unwürdigen Priesters -- und ein abtrünniger Priester
ist allemal auch ein unwürdiger -- dieser unauslöschliche Charakter zum höllische"
Brand- und Schandmale werde. Diese furchtbare Vorstellung, die mit Hilfe
furchtbarer Psalmenworte reich ausgemalt wird, ist es vorzugsweise, was den
katholischen Geistlichen so fest an sein Amt fesselt, daß ein Austritt oder, wie
es im amtlichen Kirchenstile heißt, ein Abfall zu den seltensten Ereignissen ge¬
hört; bei längerer Amtsführung kommt dann natürlich noch ein Geflecht von
gemütlichen und Interessenbeziehungen, von Parteianschanungen und Vorurteilen
hinzu. Nicht bindet ihn, wie den Ordensmann, ein Gelübde. Nicht einmal
einen eigentlichen Amtseid leistet er. Dessen Stelle vertritt ein einfaches Ver¬
sprechen. Nach empfangner Weihe kniet der Neupriester vor dem ans seinem
Stuhle sitzenden Bischof nieder, legt seine Rechte in die Rechte des Bischofs,
und dieser spricht: xromittiiZ midi et LuvoessorilzuL rusis oböckisutiacri? Der
Geweihte antwortet: xromitto, und küßt den Amethyst des bischöflichen Ringes.
In den Worten: se sueosssoribus rusis liegt, daß es ein Versprechen fürs Leben
ist. Die Gesellschaft bedarf solcher lebenslänglichen Bindungen, aber für den
Einzelnen, der sich bindet, sind sie bei der Veränderlichkeit aller irdischen Dinge
ein ungeheures Wagnis. Wenn nicht glücklicherweise bei der Schließung der
leiblichen wie der geistlichen Ehe Leidenschaft und jugendlicher Enthusiasmus
ansprachen, würden die Eheschließungen selten werden. Andrerseits würde
die Gesellschaft erstarren, wenn in den zahlreichen Fällen, wo sich bei einem
solchen heiligen Bunde Inhalt und Form nicht mehr decken, keiner den Mut
Hütte, sein voreilig gegebnes Wort zurückzunehmen.




Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Vase zerschlug: Es können die Eblis, die uns hassen, vollkommnes nicht voll¬
kommen lassen; der Gesamteindruck ward dadurch nicht beeinträchtigt. Es
versteht sich, daß die Zeremonien der Karwoche, an denen der Lamentationen
wegen auch ein größeres Publikum teilzunehmen Pflegt, einen besonders tiefen
Eindruck machten.

Von Ostern ab litt ich am Wechselfieber, wozu dann noch ein Bluthusten
kam. Ich war sehr elend, aber nicht in dem Grade, daß ich an der Vollendung
des Kursus gehindert worden wäre. Am 28. Juni 1856 empfingen wir die
Priesterweihe. Die katholische Kirche lehrt, daß die drei Sakramente der Taufe,
der Firmung und der Priesterweihe der Seele einen plur^otsr wäelcMlis ein¬
drücken, und die Exerzitiemneister versäumen nicht, den Glauben tief einzuprägen,
daß an der Seele des unwürdigen Priesters — und ein abtrünniger Priester
ist allemal auch ein unwürdiger — dieser unauslöschliche Charakter zum höllische»
Brand- und Schandmale werde. Diese furchtbare Vorstellung, die mit Hilfe
furchtbarer Psalmenworte reich ausgemalt wird, ist es vorzugsweise, was den
katholischen Geistlichen so fest an sein Amt fesselt, daß ein Austritt oder, wie
es im amtlichen Kirchenstile heißt, ein Abfall zu den seltensten Ereignissen ge¬
hört; bei längerer Amtsführung kommt dann natürlich noch ein Geflecht von
gemütlichen und Interessenbeziehungen, von Parteianschanungen und Vorurteilen
hinzu. Nicht bindet ihn, wie den Ordensmann, ein Gelübde. Nicht einmal
einen eigentlichen Amtseid leistet er. Dessen Stelle vertritt ein einfaches Ver¬
sprechen. Nach empfangner Weihe kniet der Neupriester vor dem ans seinem
Stuhle sitzenden Bischof nieder, legt seine Rechte in die Rechte des Bischofs,
und dieser spricht: xromittiiZ midi et LuvoessorilzuL rusis oböckisutiacri? Der
Geweihte antwortet: xromitto, und küßt den Amethyst des bischöflichen Ringes.
In den Worten: se sueosssoribus rusis liegt, daß es ein Versprechen fürs Leben
ist. Die Gesellschaft bedarf solcher lebenslänglichen Bindungen, aber für den
Einzelnen, der sich bindet, sind sie bei der Veränderlichkeit aller irdischen Dinge
ein ungeheures Wagnis. Wenn nicht glücklicherweise bei der Schließung der
leiblichen wie der geistlichen Ehe Leidenschaft und jugendlicher Enthusiasmus
ansprachen, würden die Eheschließungen selten werden. Andrerseits würde
die Gesellschaft erstarren, wenn in den zahlreichen Fällen, wo sich bei einem
solchen heiligen Bunde Inhalt und Form nicht mehr decken, keiner den Mut
Hütte, sein voreilig gegebnes Wort zurückzunehmen.




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[0648] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Vase zerschlug: Es können die Eblis, die uns hassen, vollkommnes nicht voll¬ kommen lassen; der Gesamteindruck ward dadurch nicht beeinträchtigt. Es versteht sich, daß die Zeremonien der Karwoche, an denen der Lamentationen wegen auch ein größeres Publikum teilzunehmen Pflegt, einen besonders tiefen Eindruck machten. Von Ostern ab litt ich am Wechselfieber, wozu dann noch ein Bluthusten kam. Ich war sehr elend, aber nicht in dem Grade, daß ich an der Vollendung des Kursus gehindert worden wäre. Am 28. Juni 1856 empfingen wir die Priesterweihe. Die katholische Kirche lehrt, daß die drei Sakramente der Taufe, der Firmung und der Priesterweihe der Seele einen plur^otsr wäelcMlis ein¬ drücken, und die Exerzitiemneister versäumen nicht, den Glauben tief einzuprägen, daß an der Seele des unwürdigen Priesters — und ein abtrünniger Priester ist allemal auch ein unwürdiger — dieser unauslöschliche Charakter zum höllische» Brand- und Schandmale werde. Diese furchtbare Vorstellung, die mit Hilfe furchtbarer Psalmenworte reich ausgemalt wird, ist es vorzugsweise, was den katholischen Geistlichen so fest an sein Amt fesselt, daß ein Austritt oder, wie es im amtlichen Kirchenstile heißt, ein Abfall zu den seltensten Ereignissen ge¬ hört; bei längerer Amtsführung kommt dann natürlich noch ein Geflecht von gemütlichen und Interessenbeziehungen, von Parteianschanungen und Vorurteilen hinzu. Nicht bindet ihn, wie den Ordensmann, ein Gelübde. Nicht einmal einen eigentlichen Amtseid leistet er. Dessen Stelle vertritt ein einfaches Ver¬ sprechen. Nach empfangner Weihe kniet der Neupriester vor dem ans seinem Stuhle sitzenden Bischof nieder, legt seine Rechte in die Rechte des Bischofs, und dieser spricht: xromittiiZ midi et LuvoessorilzuL rusis oböckisutiacri? Der Geweihte antwortet: xromitto, und küßt den Amethyst des bischöflichen Ringes. In den Worten: se sueosssoribus rusis liegt, daß es ein Versprechen fürs Leben ist. Die Gesellschaft bedarf solcher lebenslänglichen Bindungen, aber für den Einzelnen, der sich bindet, sind sie bei der Veränderlichkeit aller irdischen Dinge ein ungeheures Wagnis. Wenn nicht glücklicherweise bei der Schließung der leiblichen wie der geistlichen Ehe Leidenschaft und jugendlicher Enthusiasmus ansprachen, würden die Eheschließungen selten werden. Andrerseits würde die Gesellschaft erstarren, wenn in den zahlreichen Fällen, wo sich bei einem solchen heiligen Bunde Inhalt und Form nicht mehr decken, keiner den Mut Hütte, sein voreilig gegebnes Wort zurückzunehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/648>, abgerufen am 13.05.2024.