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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Arzt, hilf dir selber!

durch die erste Bedingung zu einem befriedigenden, schaffensfreudigen Dasein,
unabhängige äußere Lage, gewährleistet. Diese Taxe verdankt der Anwalt-
stand dem Wohlwollen des Staats, der immer bereit gewesen ist, ihm mit
vollen Händen zu geben, was er den Ärzten beharrlich verweigert. Die
Gesetze über den Ansatz und die Erhebung der Gebühren für Nechtsanwülte
wurden im Jahre 1851 und im Jahre 1879 den veränderten Lebensbedingungen
entsprechend abgeändert, d. h. erhöht, und zwar 1879 so bedeutend, daß sie
im Durchschnitt mindestens das Dreifache der frühern Sätze betragen. Er¬
hoben werden sie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach dem Wert des Streit¬
gegenstandes; bei einem Streitgegenstande im Werte bis zu 20 Mark betragen
sie 2 Mark, dann steigen sie stufenweise und belaufen sich bei Gegenständen

im Werte von 6S0 bis 900 Mark auf 24 Mark
" " 4300S400 "" 62
" " "200,, 10000 "64
" " 98000" 100000 "" 219
" " 900000" 902000 "" 1021

Diese Gebühren erhält der Anwalt aber in jeder Sache nicht bloß einmal,
sondern wiederholt, z. B. als Prozeß-, Verhandluugs- und Vergleichsgebühr,
fünf Zehntel des ganzen Satzes als Beweisgebühr, bei Erledigung des Auf¬
trags vor der mündlichen Verhandlung, auch ohne daß er die Klage eingereicht
hat, ebensoviel für die Anfertigung eines Schriftsatzes, drei Zehntel für die
Mitwirkung bei einem der Klage vorausgehenden Sühneverfahren, sowie für
die Auswirkung eines Zahlungsbefehls, ebensoviel für einen erteilten Rat,
wenn er nicht zum Prozeßbevollmächtigteu ernannt ist u. s. w. Dazu kommt
die sehr wichtige Bestimmung, die ihn vor jedem Verlust schützt, daß er von
seinem Auftraggeber angemessenen, d. h. dem mutmaßlichen Betrage der Ge¬
bühren und Auslagen entsprechenden Vorschuß fordern kann, der Schreibgebühren
und sonstiger Sporteln gar nicht zu gedenken.

Ein Vergleich dieser Sätze mit dem Lohn, den der Arzt für ähnliche
Leistungen nach der Taxe von 1815 zu fordern berechtigt ist, lehrt zur Ge¬
nüge, daß die Bezahlung des Nechtsanwalts ungleich höher ist als die des
Arztes. Gesetzt den Fall, der Arzt hat bei einer Frau durch den Kaiserschnitt
Mutter und Kind am Leben erhalten und nachher bis zur Heilung der Wunde
noch zehn Besuche gemacht, so beträgt seine Rechnung: 1. für die Operation
30 bis 60 Mark, 2. für jeden Besuch 1 bis 2 Mark, d. h. im ganzen 40 bis
80 Mark. Da in diesem Falle zwei Menschenleben in Gefahr standen, so
dürfte es wohl angemessen sein, in dem Rechtsstreit den Wertgegenstand auf
mindestens 10000 Mark anzunehmen. Beschränkt sich in einem solchen Falle
die Thätigkeit des Urwalds auf die Erteilung eines einfachen Rates, der einer
ärztlichen mit 1 Mark zu bezahlenden Konsultation entsprechen würde, so erhält
er 21 Mark, sertigt er einen Schriftsatz an, 32 Mark, führt er dagegen den


Arzt, hilf dir selber!

durch die erste Bedingung zu einem befriedigenden, schaffensfreudigen Dasein,
unabhängige äußere Lage, gewährleistet. Diese Taxe verdankt der Anwalt-
stand dem Wohlwollen des Staats, der immer bereit gewesen ist, ihm mit
vollen Händen zu geben, was er den Ärzten beharrlich verweigert. Die
Gesetze über den Ansatz und die Erhebung der Gebühren für Nechtsanwülte
wurden im Jahre 1851 und im Jahre 1879 den veränderten Lebensbedingungen
entsprechend abgeändert, d. h. erhöht, und zwar 1879 so bedeutend, daß sie
im Durchschnitt mindestens das Dreifache der frühern Sätze betragen. Er¬
hoben werden sie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach dem Wert des Streit¬
gegenstandes; bei einem Streitgegenstande im Werte bis zu 20 Mark betragen
sie 2 Mark, dann steigen sie stufenweise und belaufen sich bei Gegenständen

im Werte von 6S0 bis 900 Mark auf 24 Mark
„ „ 4300S400 „„ 62
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„ „ 98000„ 100000 „„ 219
„ „ 900000„ 902000 „„ 1021

Diese Gebühren erhält der Anwalt aber in jeder Sache nicht bloß einmal,
sondern wiederholt, z. B. als Prozeß-, Verhandluugs- und Vergleichsgebühr,
fünf Zehntel des ganzen Satzes als Beweisgebühr, bei Erledigung des Auf¬
trags vor der mündlichen Verhandlung, auch ohne daß er die Klage eingereicht
hat, ebensoviel für die Anfertigung eines Schriftsatzes, drei Zehntel für die
Mitwirkung bei einem der Klage vorausgehenden Sühneverfahren, sowie für
die Auswirkung eines Zahlungsbefehls, ebensoviel für einen erteilten Rat,
wenn er nicht zum Prozeßbevollmächtigteu ernannt ist u. s. w. Dazu kommt
die sehr wichtige Bestimmung, die ihn vor jedem Verlust schützt, daß er von
seinem Auftraggeber angemessenen, d. h. dem mutmaßlichen Betrage der Ge¬
bühren und Auslagen entsprechenden Vorschuß fordern kann, der Schreibgebühren
und sonstiger Sporteln gar nicht zu gedenken.

Ein Vergleich dieser Sätze mit dem Lohn, den der Arzt für ähnliche
Leistungen nach der Taxe von 1815 zu fordern berechtigt ist, lehrt zur Ge¬
nüge, daß die Bezahlung des Nechtsanwalts ungleich höher ist als die des
Arztes. Gesetzt den Fall, der Arzt hat bei einer Frau durch den Kaiserschnitt
Mutter und Kind am Leben erhalten und nachher bis zur Heilung der Wunde
noch zehn Besuche gemacht, so beträgt seine Rechnung: 1. für die Operation
30 bis 60 Mark, 2. für jeden Besuch 1 bis 2 Mark, d. h. im ganzen 40 bis
80 Mark. Da in diesem Falle zwei Menschenleben in Gefahr standen, so
dürfte es wohl angemessen sein, in dem Rechtsstreit den Wertgegenstand auf
mindestens 10000 Mark anzunehmen. Beschränkt sich in einem solchen Falle
die Thätigkeit des Urwalds auf die Erteilung eines einfachen Rates, der einer
ärztlichen mit 1 Mark zu bezahlenden Konsultation entsprechen würde, so erhält
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[0600] Arzt, hilf dir selber! durch die erste Bedingung zu einem befriedigenden, schaffensfreudigen Dasein, unabhängige äußere Lage, gewährleistet. Diese Taxe verdankt der Anwalt- stand dem Wohlwollen des Staats, der immer bereit gewesen ist, ihm mit vollen Händen zu geben, was er den Ärzten beharrlich verweigert. Die Gesetze über den Ansatz und die Erhebung der Gebühren für Nechtsanwülte wurden im Jahre 1851 und im Jahre 1879 den veränderten Lebensbedingungen entsprechend abgeändert, d. h. erhöht, und zwar 1879 so bedeutend, daß sie im Durchschnitt mindestens das Dreifache der frühern Sätze betragen. Er¬ hoben werden sie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach dem Wert des Streit¬ gegenstandes; bei einem Streitgegenstande im Werte bis zu 20 Mark betragen sie 2 Mark, dann steigen sie stufenweise und belaufen sich bei Gegenständen im Werte von 6S0 bis 900 Mark auf 24 Mark „ „ 4300S400 „„ 62 „ „ «200,, 10000 „64 „ „ 98000„ 100000 „„ 219 „ „ 900000„ 902000 „„ 1021 Diese Gebühren erhält der Anwalt aber in jeder Sache nicht bloß einmal, sondern wiederholt, z. B. als Prozeß-, Verhandluugs- und Vergleichsgebühr, fünf Zehntel des ganzen Satzes als Beweisgebühr, bei Erledigung des Auf¬ trags vor der mündlichen Verhandlung, auch ohne daß er die Klage eingereicht hat, ebensoviel für die Anfertigung eines Schriftsatzes, drei Zehntel für die Mitwirkung bei einem der Klage vorausgehenden Sühneverfahren, sowie für die Auswirkung eines Zahlungsbefehls, ebensoviel für einen erteilten Rat, wenn er nicht zum Prozeßbevollmächtigteu ernannt ist u. s. w. Dazu kommt die sehr wichtige Bestimmung, die ihn vor jedem Verlust schützt, daß er von seinem Auftraggeber angemessenen, d. h. dem mutmaßlichen Betrage der Ge¬ bühren und Auslagen entsprechenden Vorschuß fordern kann, der Schreibgebühren und sonstiger Sporteln gar nicht zu gedenken. Ein Vergleich dieser Sätze mit dem Lohn, den der Arzt für ähnliche Leistungen nach der Taxe von 1815 zu fordern berechtigt ist, lehrt zur Ge¬ nüge, daß die Bezahlung des Nechtsanwalts ungleich höher ist als die des Arztes. Gesetzt den Fall, der Arzt hat bei einer Frau durch den Kaiserschnitt Mutter und Kind am Leben erhalten und nachher bis zur Heilung der Wunde noch zehn Besuche gemacht, so beträgt seine Rechnung: 1. für die Operation 30 bis 60 Mark, 2. für jeden Besuch 1 bis 2 Mark, d. h. im ganzen 40 bis 80 Mark. Da in diesem Falle zwei Menschenleben in Gefahr standen, so dürfte es wohl angemessen sein, in dem Rechtsstreit den Wertgegenstand auf mindestens 10000 Mark anzunehmen. Beschränkt sich in einem solchen Falle die Thätigkeit des Urwalds auf die Erteilung eines einfachen Rates, der einer ärztlichen mit 1 Mark zu bezahlenden Konsultation entsprechen würde, so erhält er 21 Mark, sertigt er einen Schriftsatz an, 32 Mark, führt er dagegen den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/600>, abgerufen am 18.05.2024.