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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

aus dem dunkeln Hintergrund einer überwältigenden Masse von Negern, Hotten¬
totten und Mischungen heraus, die ungefähr drei Vierteile der ganzen Bevölke¬
rung bilden. Hier liegt die zweite Schwierigkeit der südafrikanischen Politik, die
immer großer werden und diesen germanischen Bruderzwist immer weiter zurück¬
drängen und die weder die Politik des Schuchs noch des Faustschlags beseitigen
wird. In Nordamerika und Australien ist es gelungen, die Ureinwohner und Ur-
besitzer des Landes sachte verschwinden zu lassen- Hinter dem allerdings immer
durchsichtiger gewordnen Vorhange von menschenfreundlichen Phrasen, Misstons¬
thätigkeit und amtlicher Aufsicht sind die Indianer, Australier, Tasmanier und
Maori überall dort zurückgegangen, wo man sie nicht brauchen kann, vom
Meer ins Innere, von den Ebnen in die Berge, vom fruchtbaren Land in die
Wüste, oft unter blutigen Kämpfen, meist begleitet und geleitet von Verträgen,
die sie in ihrer Unwissenheit abgeschlossen haben, ohne zu wissen, was darin stand.
Es wäre aber dem Branntwein und der Syphilis, der Überredung und der
Gewalt nicht in dem Maße gelungen, wie auf Tasmanien, wo sie ganz, oder
auf der Südinsel Neuseelands, wo sie bis auf kümmerliche Neste verschwunden
sind, wenn nicht in der Rasse, der diese Völker angehören -- Mongolenver¬
wandte sind sie alle --, eine innere Schwäche läge, die sie zu taufenden in
Jnfluenzaepidemien hinsterben ließ, und die sie auch seelisch herabstimmt und
ihre Willens- und Widerstandskraft lahmt. Das ist der Zug von Melancholie
in der Physiognomie der Rothaut, von dem seit langem geredet wird.*) Welche
weltgeschichtliche Bedeutung er hat, lernt man erst in Afrika durch den Gegen¬
satz des Negers, der nicht verschwindet, der sich unverwüstlich heiter durch Trunk,
Laster und Elend hindurchschlägt, den Weißen ruhig über sich herrschen läßt und
sich in allen Wechselfällen unaufhörlich weiter vermehrt. In einem neuern Bericht
über das Schiregebiet zwischen dem Nyassasee und dem Sambesi wird mitgeteilt,
daß sich die neu eingewanderten Neger, die sich vor den Sklavenräubern zurück¬
gezogen hatten, unter dem britischen Schutz in wenigen Jahren verzehnfacht
hätten. Man kann gegenwärtig gegen sechs Millionen Menschen in dem großen
Dreieck südlich vom Sambesi annehmen, von denen nur etwa der zwölfte Teil
Weiße sind. In der Kapkolonie, die die stärkste und älteste weiße Bevölkerung
hat, standen 1891 377000 Weißen 848000 Neger und 301000 andre Farbige
gegenüber, von der Gesamtbevölkerung der Südafrikanische" Republik, die 1890
auf 679000 geschätzt wurde, waren 18 Prozent Weiße, von der auf 208000
angegebnen des Oranjefreistaats 40 Prozent, wobei ein auffallend starkes
Wachstum der Farbigen hier wie für die Kapkolonie angegeben wird. Ju Natal
zählte man 1891 43000 Weiße, 33000 asiatische Kuli und 459000 Neger.



*) Erst dieser Tage meldeten die kanadischen Blätter den Abschluß der Zählung im
kanadischen Nordwestterritorium, wo zwar durch die Einwanderung der Weißen die Bevöl¬
kerung seit 1891 um etwa 20000 gestiegen, die indianische aber zugleich um 8 Prozent zurück¬
gegangen sei.
Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

aus dem dunkeln Hintergrund einer überwältigenden Masse von Negern, Hotten¬
totten und Mischungen heraus, die ungefähr drei Vierteile der ganzen Bevölke¬
rung bilden. Hier liegt die zweite Schwierigkeit der südafrikanischen Politik, die
immer großer werden und diesen germanischen Bruderzwist immer weiter zurück¬
drängen und die weder die Politik des Schuchs noch des Faustschlags beseitigen
wird. In Nordamerika und Australien ist es gelungen, die Ureinwohner und Ur-
besitzer des Landes sachte verschwinden zu lassen- Hinter dem allerdings immer
durchsichtiger gewordnen Vorhange von menschenfreundlichen Phrasen, Misstons¬
thätigkeit und amtlicher Aufsicht sind die Indianer, Australier, Tasmanier und
Maori überall dort zurückgegangen, wo man sie nicht brauchen kann, vom
Meer ins Innere, von den Ebnen in die Berge, vom fruchtbaren Land in die
Wüste, oft unter blutigen Kämpfen, meist begleitet und geleitet von Verträgen,
die sie in ihrer Unwissenheit abgeschlossen haben, ohne zu wissen, was darin stand.
Es wäre aber dem Branntwein und der Syphilis, der Überredung und der
Gewalt nicht in dem Maße gelungen, wie auf Tasmanien, wo sie ganz, oder
auf der Südinsel Neuseelands, wo sie bis auf kümmerliche Neste verschwunden
sind, wenn nicht in der Rasse, der diese Völker angehören — Mongolenver¬
wandte sind sie alle —, eine innere Schwäche läge, die sie zu taufenden in
Jnfluenzaepidemien hinsterben ließ, und die sie auch seelisch herabstimmt und
ihre Willens- und Widerstandskraft lahmt. Das ist der Zug von Melancholie
in der Physiognomie der Rothaut, von dem seit langem geredet wird.*) Welche
weltgeschichtliche Bedeutung er hat, lernt man erst in Afrika durch den Gegen¬
satz des Negers, der nicht verschwindet, der sich unverwüstlich heiter durch Trunk,
Laster und Elend hindurchschlägt, den Weißen ruhig über sich herrschen läßt und
sich in allen Wechselfällen unaufhörlich weiter vermehrt. In einem neuern Bericht
über das Schiregebiet zwischen dem Nyassasee und dem Sambesi wird mitgeteilt,
daß sich die neu eingewanderten Neger, die sich vor den Sklavenräubern zurück¬
gezogen hatten, unter dem britischen Schutz in wenigen Jahren verzehnfacht
hätten. Man kann gegenwärtig gegen sechs Millionen Menschen in dem großen
Dreieck südlich vom Sambesi annehmen, von denen nur etwa der zwölfte Teil
Weiße sind. In der Kapkolonie, die die stärkste und älteste weiße Bevölkerung
hat, standen 1891 377000 Weißen 848000 Neger und 301000 andre Farbige
gegenüber, von der Gesamtbevölkerung der Südafrikanische» Republik, die 1890
auf 679000 geschätzt wurde, waren 18 Prozent Weiße, von der auf 208000
angegebnen des Oranjefreistaats 40 Prozent, wobei ein auffallend starkes
Wachstum der Farbigen hier wie für die Kapkolonie angegeben wird. Ju Natal
zählte man 1891 43000 Weiße, 33000 asiatische Kuli und 459000 Neger.



*) Erst dieser Tage meldeten die kanadischen Blätter den Abschluß der Zählung im
kanadischen Nordwestterritorium, wo zwar durch die Einwanderung der Weißen die Bevöl¬
kerung seit 1891 um etwa 20000 gestiegen, die indianische aber zugleich um 8 Prozent zurück¬
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[0021] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik aus dem dunkeln Hintergrund einer überwältigenden Masse von Negern, Hotten¬ totten und Mischungen heraus, die ungefähr drei Vierteile der ganzen Bevölke¬ rung bilden. Hier liegt die zweite Schwierigkeit der südafrikanischen Politik, die immer großer werden und diesen germanischen Bruderzwist immer weiter zurück¬ drängen und die weder die Politik des Schuchs noch des Faustschlags beseitigen wird. In Nordamerika und Australien ist es gelungen, die Ureinwohner und Ur- besitzer des Landes sachte verschwinden zu lassen- Hinter dem allerdings immer durchsichtiger gewordnen Vorhange von menschenfreundlichen Phrasen, Misstons¬ thätigkeit und amtlicher Aufsicht sind die Indianer, Australier, Tasmanier und Maori überall dort zurückgegangen, wo man sie nicht brauchen kann, vom Meer ins Innere, von den Ebnen in die Berge, vom fruchtbaren Land in die Wüste, oft unter blutigen Kämpfen, meist begleitet und geleitet von Verträgen, die sie in ihrer Unwissenheit abgeschlossen haben, ohne zu wissen, was darin stand. Es wäre aber dem Branntwein und der Syphilis, der Überredung und der Gewalt nicht in dem Maße gelungen, wie auf Tasmanien, wo sie ganz, oder auf der Südinsel Neuseelands, wo sie bis auf kümmerliche Neste verschwunden sind, wenn nicht in der Rasse, der diese Völker angehören — Mongolenver¬ wandte sind sie alle —, eine innere Schwäche läge, die sie zu taufenden in Jnfluenzaepidemien hinsterben ließ, und die sie auch seelisch herabstimmt und ihre Willens- und Widerstandskraft lahmt. Das ist der Zug von Melancholie in der Physiognomie der Rothaut, von dem seit langem geredet wird.*) Welche weltgeschichtliche Bedeutung er hat, lernt man erst in Afrika durch den Gegen¬ satz des Negers, der nicht verschwindet, der sich unverwüstlich heiter durch Trunk, Laster und Elend hindurchschlägt, den Weißen ruhig über sich herrschen läßt und sich in allen Wechselfällen unaufhörlich weiter vermehrt. In einem neuern Bericht über das Schiregebiet zwischen dem Nyassasee und dem Sambesi wird mitgeteilt, daß sich die neu eingewanderten Neger, die sich vor den Sklavenräubern zurück¬ gezogen hatten, unter dem britischen Schutz in wenigen Jahren verzehnfacht hätten. Man kann gegenwärtig gegen sechs Millionen Menschen in dem großen Dreieck südlich vom Sambesi annehmen, von denen nur etwa der zwölfte Teil Weiße sind. In der Kapkolonie, die die stärkste und älteste weiße Bevölkerung hat, standen 1891 377000 Weißen 848000 Neger und 301000 andre Farbige gegenüber, von der Gesamtbevölkerung der Südafrikanische» Republik, die 1890 auf 679000 geschätzt wurde, waren 18 Prozent Weiße, von der auf 208000 angegebnen des Oranjefreistaats 40 Prozent, wobei ein auffallend starkes Wachstum der Farbigen hier wie für die Kapkolonie angegeben wird. Ju Natal zählte man 1891 43000 Weiße, 33000 asiatische Kuli und 459000 Neger. *) Erst dieser Tage meldeten die kanadischen Blätter den Abschluß der Zählung im kanadischen Nordwestterritorium, wo zwar durch die Einwanderung der Weißen die Bevöl¬ kerung seit 1891 um etwa 20000 gestiegen, die indianische aber zugleich um 8 Prozent zurück¬ gegangen sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/21>, abgerufen am 11.05.2024.