Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Genossenschaft par und die allermodernste Annst

"ut natürlich moderne Empfindung, wie sie Dichter vom Schlage Fontanes
zeige", sucht man bei den meisten nnter diesen Jüngsten vergeblich. Wir
sind fern davon, die moderne Poesie uniformiren zu wollen, und achten jedes
ernste, aufrichtige Streben. Wir wissen auch, daß viele Vorwürfe, die man
der modernen Dichtung macht, unbegründet sind. Aber wir möchten einen
scharfen Unterschied machen zwischen den wirklich genialen unter den modernen
Dichtern, die eine Stimmung festzuhalten und mit der Macht künstlerischer
Illusion aufzuzwingen wissen, und diese" schwankenden, unsichern Gestalten,
die selber noch nicht abgeklärt sind und nun von uns verlangen, daß wir ihren
Mangel an einheitlicher Empfindung für wahre Kunst nehmen.

Ganz ahnliche Beobachtungen können wir auch in Bezug auf die bildende
Kunst machen. Von den ältern, längst anerkannten Meistern will ich nicht
reden. Böcklins Drachentöter scheint eine malerische und stimmungsvolle Kom¬
position zu sein, wenn mir auch der kindliche Drache wieder all die Bedenken
wachruft, die ich selbst diesem Großen gegenüber nicht überwinden kann. An
Gabriel Maxens Porträtskizze des jugendlichen Makart kann ich gar nichts finden,
sie hat nur inhaltliches Interesse. Über Abtes Bedeutung werden jetzt wohl
die meisten, die sich früher ablehnend gegen ihn verhielten, im klaren sein, ab¬
gesehen vielleicht von katholische" Ästhetikern, wie dein Freiburger Professor
Paul Keppler, der noch ueuerdüigs die Naivität hatte, dem Wiedererwecker
der protestantischen Religivnsmalerei anzuempfehlen, er "löge zu seinen Sol¬
daten zurückkehren. Möge Herr Keppler seine Begeisterung für die Bcnroncr
Schule, für die "Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst" und für die ganze
kraftlose Aufwärmung vergangner religiöser Kunststile ruhig weiter Pflegen
und seinen Gesinnungsgenossen mitteilen. Die moderne religiöse Malerei wird
sich um seine Machtsprüche über das, was in ihr erlaubt und nicht erlaubt
sein soll, wenig kümmern. Meister wie Abbe thaten aber gut, stutzig zu werde",
wenn er ihre neuesten Schöpfungen (wie die heiligen drei Könige) einmal
ausnahmsweise lobt, und sollten sich fragen, ob sie da nicht etwa Rückschritte
gemacht haben, die ein Lob aus solchem Munde erkläre". Ob es richtig war,
als Beispiel vou Abtes Kunst die Studie zu einem Mohrenkönig zu publiziren,
ist eine andre Frage. Sie ist wohl kaum bedeutend genug, um den Meister hier
würdig zu vertreten. Auch von Liebermann hätte ich ein besseres Blatt
als die Nadirung "Kellergarten in Rosenheim" gewünscht, das wegen der
Schwärze der Schatten schmutzig wirkt und durchaus nicht den Eindruck von
Tagesbeleuchtuug macht. Daß die Gesellschaft im wesentlichen auf unentgeltliche
Beiträge der Künstler angewiesen ist, halte ich nicht für einen Vorteil. Möge
sie sich hüten, als Motto ihrer Veröffentlichungen das Sprichwort anzunehmen:
"Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul."

Dieser einfach realistischen Richtung gegenüber hat die phantastisch-gedanken-
hafte Richtung Max Klingers freilich einen schwereren Stand. Nicht als ob


Die Genossenschaft par und die allermodernste Annst

»ut natürlich moderne Empfindung, wie sie Dichter vom Schlage Fontanes
zeige», sucht man bei den meisten nnter diesen Jüngsten vergeblich. Wir
sind fern davon, die moderne Poesie uniformiren zu wollen, und achten jedes
ernste, aufrichtige Streben. Wir wissen auch, daß viele Vorwürfe, die man
der modernen Dichtung macht, unbegründet sind. Aber wir möchten einen
scharfen Unterschied machen zwischen den wirklich genialen unter den modernen
Dichtern, die eine Stimmung festzuhalten und mit der Macht künstlerischer
Illusion aufzuzwingen wissen, und diese» schwankenden, unsichern Gestalten,
die selber noch nicht abgeklärt sind und nun von uns verlangen, daß wir ihren
Mangel an einheitlicher Empfindung für wahre Kunst nehmen.

Ganz ahnliche Beobachtungen können wir auch in Bezug auf die bildende
Kunst machen. Von den ältern, längst anerkannten Meistern will ich nicht
reden. Böcklins Drachentöter scheint eine malerische und stimmungsvolle Kom¬
position zu sein, wenn mir auch der kindliche Drache wieder all die Bedenken
wachruft, die ich selbst diesem Großen gegenüber nicht überwinden kann. An
Gabriel Maxens Porträtskizze des jugendlichen Makart kann ich gar nichts finden,
sie hat nur inhaltliches Interesse. Über Abtes Bedeutung werden jetzt wohl
die meisten, die sich früher ablehnend gegen ihn verhielten, im klaren sein, ab¬
gesehen vielleicht von katholische» Ästhetikern, wie dein Freiburger Professor
Paul Keppler, der noch ueuerdüigs die Naivität hatte, dem Wiedererwecker
der protestantischen Religivnsmalerei anzuempfehlen, er »löge zu seinen Sol¬
daten zurückkehren. Möge Herr Keppler seine Begeisterung für die Bcnroncr
Schule, für die „Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst" und für die ganze
kraftlose Aufwärmung vergangner religiöser Kunststile ruhig weiter Pflegen
und seinen Gesinnungsgenossen mitteilen. Die moderne religiöse Malerei wird
sich um seine Machtsprüche über das, was in ihr erlaubt und nicht erlaubt
sein soll, wenig kümmern. Meister wie Abbe thaten aber gut, stutzig zu werde»,
wenn er ihre neuesten Schöpfungen (wie die heiligen drei Könige) einmal
ausnahmsweise lobt, und sollten sich fragen, ob sie da nicht etwa Rückschritte
gemacht haben, die ein Lob aus solchem Munde erkläre». Ob es richtig war,
als Beispiel vou Abtes Kunst die Studie zu einem Mohrenkönig zu publiziren,
ist eine andre Frage. Sie ist wohl kaum bedeutend genug, um den Meister hier
würdig zu vertreten. Auch von Liebermann hätte ich ein besseres Blatt
als die Nadirung „Kellergarten in Rosenheim" gewünscht, das wegen der
Schwärze der Schatten schmutzig wirkt und durchaus nicht den Eindruck von
Tagesbeleuchtuug macht. Daß die Gesellschaft im wesentlichen auf unentgeltliche
Beiträge der Künstler angewiesen ist, halte ich nicht für einen Vorteil. Möge
sie sich hüten, als Motto ihrer Veröffentlichungen das Sprichwort anzunehmen:
„Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul."

Dieser einfach realistischen Richtung gegenüber hat die phantastisch-gedanken-
hafte Richtung Max Klingers freilich einen schwereren Stand. Nicht als ob


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220558"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Genossenschaft par und die allermodernste Annst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_952" prev="#ID_951"> »ut natürlich moderne Empfindung, wie sie Dichter vom Schlage Fontanes<lb/>
zeige», sucht man bei den meisten nnter diesen Jüngsten vergeblich. Wir<lb/>
sind fern davon, die moderne Poesie uniformiren zu wollen, und achten jedes<lb/>
ernste, aufrichtige Streben. Wir wissen auch, daß viele Vorwürfe, die man<lb/>
der modernen Dichtung macht, unbegründet sind. Aber wir möchten einen<lb/>
scharfen Unterschied machen zwischen den wirklich genialen unter den modernen<lb/>
Dichtern, die eine Stimmung festzuhalten und mit der Macht künstlerischer<lb/>
Illusion aufzuzwingen wissen, und diese» schwankenden, unsichern Gestalten,<lb/>
die selber noch nicht abgeklärt sind und nun von uns verlangen, daß wir ihren<lb/>
Mangel an einheitlicher Empfindung für wahre Kunst nehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_953"> Ganz ahnliche Beobachtungen können wir auch in Bezug auf die bildende<lb/>
Kunst machen. Von den ältern, längst anerkannten Meistern will ich nicht<lb/>
reden. Böcklins Drachentöter scheint eine malerische und stimmungsvolle Kom¬<lb/>
position zu sein, wenn mir auch der kindliche Drache wieder all die Bedenken<lb/>
wachruft, die ich selbst diesem Großen gegenüber nicht überwinden kann. An<lb/>
Gabriel Maxens Porträtskizze des jugendlichen Makart kann ich gar nichts finden,<lb/>
sie hat nur inhaltliches Interesse. Über Abtes Bedeutung werden jetzt wohl<lb/>
die meisten, die sich früher ablehnend gegen ihn verhielten, im klaren sein, ab¬<lb/>
gesehen vielleicht von katholische» Ästhetikern, wie dein Freiburger Professor<lb/>
Paul Keppler, der noch ueuerdüigs die Naivität hatte, dem Wiedererwecker<lb/>
der protestantischen Religivnsmalerei anzuempfehlen, er »löge zu seinen Sol¬<lb/>
daten zurückkehren. Möge Herr Keppler seine Begeisterung für die Bcnroncr<lb/>
Schule, für die &#x201E;Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst" und für die ganze<lb/>
kraftlose Aufwärmung vergangner religiöser Kunststile ruhig weiter Pflegen<lb/>
und seinen Gesinnungsgenossen mitteilen. Die moderne religiöse Malerei wird<lb/>
sich um seine Machtsprüche über das, was in ihr erlaubt und nicht erlaubt<lb/>
sein soll, wenig kümmern. Meister wie Abbe thaten aber gut, stutzig zu werde»,<lb/>
wenn er ihre neuesten Schöpfungen (wie die heiligen drei Könige) einmal<lb/>
ausnahmsweise lobt, und sollten sich fragen, ob sie da nicht etwa Rückschritte<lb/>
gemacht haben, die ein Lob aus solchem Munde erkläre». Ob es richtig war,<lb/>
als Beispiel vou Abtes Kunst die Studie zu einem Mohrenkönig zu publiziren,<lb/>
ist eine andre Frage. Sie ist wohl kaum bedeutend genug, um den Meister hier<lb/>
würdig zu vertreten. Auch von Liebermann hätte ich ein besseres Blatt<lb/>
als die Nadirung &#x201E;Kellergarten in Rosenheim" gewünscht, das wegen der<lb/>
Schwärze der Schatten schmutzig wirkt und durchaus nicht den Eindruck von<lb/>
Tagesbeleuchtuug macht. Daß die Gesellschaft im wesentlichen auf unentgeltliche<lb/>
Beiträge der Künstler angewiesen ist, halte ich nicht für einen Vorteil. Möge<lb/>
sie sich hüten, als Motto ihrer Veröffentlichungen das Sprichwort anzunehmen:<lb/>
&#x201E;Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_954" next="#ID_955"> Dieser einfach realistischen Richtung gegenüber hat die phantastisch-gedanken-<lb/>
hafte Richtung Max Klingers freilich einen schwereren Stand. Nicht als ob</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0232] Die Genossenschaft par und die allermodernste Annst »ut natürlich moderne Empfindung, wie sie Dichter vom Schlage Fontanes zeige», sucht man bei den meisten nnter diesen Jüngsten vergeblich. Wir sind fern davon, die moderne Poesie uniformiren zu wollen, und achten jedes ernste, aufrichtige Streben. Wir wissen auch, daß viele Vorwürfe, die man der modernen Dichtung macht, unbegründet sind. Aber wir möchten einen scharfen Unterschied machen zwischen den wirklich genialen unter den modernen Dichtern, die eine Stimmung festzuhalten und mit der Macht künstlerischer Illusion aufzuzwingen wissen, und diese» schwankenden, unsichern Gestalten, die selber noch nicht abgeklärt sind und nun von uns verlangen, daß wir ihren Mangel an einheitlicher Empfindung für wahre Kunst nehmen. Ganz ahnliche Beobachtungen können wir auch in Bezug auf die bildende Kunst machen. Von den ältern, längst anerkannten Meistern will ich nicht reden. Böcklins Drachentöter scheint eine malerische und stimmungsvolle Kom¬ position zu sein, wenn mir auch der kindliche Drache wieder all die Bedenken wachruft, die ich selbst diesem Großen gegenüber nicht überwinden kann. An Gabriel Maxens Porträtskizze des jugendlichen Makart kann ich gar nichts finden, sie hat nur inhaltliches Interesse. Über Abtes Bedeutung werden jetzt wohl die meisten, die sich früher ablehnend gegen ihn verhielten, im klaren sein, ab¬ gesehen vielleicht von katholische» Ästhetikern, wie dein Freiburger Professor Paul Keppler, der noch ueuerdüigs die Naivität hatte, dem Wiedererwecker der protestantischen Religivnsmalerei anzuempfehlen, er »löge zu seinen Sol¬ daten zurückkehren. Möge Herr Keppler seine Begeisterung für die Bcnroncr Schule, für die „Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst" und für die ganze kraftlose Aufwärmung vergangner religiöser Kunststile ruhig weiter Pflegen und seinen Gesinnungsgenossen mitteilen. Die moderne religiöse Malerei wird sich um seine Machtsprüche über das, was in ihr erlaubt und nicht erlaubt sein soll, wenig kümmern. Meister wie Abbe thaten aber gut, stutzig zu werde», wenn er ihre neuesten Schöpfungen (wie die heiligen drei Könige) einmal ausnahmsweise lobt, und sollten sich fragen, ob sie da nicht etwa Rückschritte gemacht haben, die ein Lob aus solchem Munde erkläre». Ob es richtig war, als Beispiel vou Abtes Kunst die Studie zu einem Mohrenkönig zu publiziren, ist eine andre Frage. Sie ist wohl kaum bedeutend genug, um den Meister hier würdig zu vertreten. Auch von Liebermann hätte ich ein besseres Blatt als die Nadirung „Kellergarten in Rosenheim" gewünscht, das wegen der Schwärze der Schatten schmutzig wirkt und durchaus nicht den Eindruck von Tagesbeleuchtuug macht. Daß die Gesellschaft im wesentlichen auf unentgeltliche Beiträge der Künstler angewiesen ist, halte ich nicht für einen Vorteil. Möge sie sich hüten, als Motto ihrer Veröffentlichungen das Sprichwort anzunehmen: „Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul." Dieser einfach realistischen Richtung gegenüber hat die phantastisch-gedanken- hafte Richtung Max Klingers freilich einen schwereren Stand. Nicht als ob

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/232
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/232>, abgerufen am 05.06.2024.