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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Am heiligen Damm

bot sich mir Gelegenheit, eine Schießübung der Taubenschützen anzusehen, wie
solche während der ganzen Badezeit sast täglich abgehalten werden sollen. Die
Stätte des fröhlichen -- Mordens liegt am östlichen Rande des Waldes: eine
luftige Schießhalle, davor eine Wiese, auf der ein halbkreisförmiges Stück
durch einen niedrigen Zaun abgegrenzt ist. "Der Eintritt ist nur Mitgliedern
gestattet," heißt es auf einer Tafel am Eingänge in die Halle. Ich stellte
mich daher neben die Halle an den Zaun, wo auch ein Gendarm Platz ge¬
nommen hatte. Beim Anblick dieses Hüters der Gesetze kam mir plötzlich der
Gedanke: die Behörde hat am Ende gar dem Drängen der Tierschutzvereine
nachgegeben und das Taubenschießen verboten! O heilige Einfalt! Der Wächter
der Ordnung hatte eine ganz andre Aufgabe, wie ich bald erfahren sollte.

Anfangs wurde mir nach einer Papierscheibe geschossen; es fehlte eben
noch die Mehrzahl der Schützen, sie ruhte noch von der Hauptarbeit des
Tages, dem kräftigen Mahle. Da kam von der Wiese her eine Taube ge¬
flogen; ein Schütze lockte sie durch einen pfeifenden Ton näher und -- piff,
pass! schoß er die Doppelflinte nach dem getäuschten Vogel ab. Schlecht ge¬
troffen flatterte die Taube in die Halle hinein. Sogleich sprang ihr ein Jagd¬
hund nach, erhaschte sie und brachte sie auf einen Pfiff des Schützen einem
vor mir innerhalb des Geheges sitzenden Manne; der drehte ihr, ohne hinzu¬
sehen, den Kopf um und warf sie hinter sich in einen Verschlag. Der Schütze
kümmerte sich nicht um sein Opfer, schoß wieder "ach der Scheibe und stellte
mit seinen Genossen Betrachtungen über seine Treffer an. Allmühlich kamen
die fehlenden Schützen, meist junge Leute, den Diener mit der Büchse hinter
sich. Da erhob sich der Gendarm und bedeutete mir, daß ich nun uicht mehr
hier stehen dürfte: Die Herren wünschen nicht, daß jemand zusieht. So so!
Die Herren fürchten also, daß jemand an ihrem Treiben Ärgernis nehme
(R.-Se.-G. 8 360, 13). Aber ich möchte mir den Spaß gern einmal mit
ansehen, entgegnete ich dem Mann der Ordnung, der mich mit prüfendem
Blick musterte. Milde erwiderte er: Nun, denn gehen Sie um deu Busch
links, und stellen Sie sich am Wege auf; dort dürfen Sie stehen. Ich begab
mich auf den angewiesenen Platz, sah zu und -- ärgerte mich gehörig nach
360, wie sich schon so mancher über diesen Unfug geärgert hat, aber ver¬
geblich. Doch zur Sache.

In der Mitte des Halbkreises standen sechs schwarze Kasten, deren Deckel
durch eine nach der Schießhalle führende Schnur gehoben werden konnten.
In eiuen der Tvdeskasten setzte nun ein geschäftiger, sehr passend in einen
roten Kittel gekleideter Zunge eine von den Opfertauben; mehrere flache Körbe
voll standen vor der Schießhalle. Der Schütze stellte sich in einiger, übrigeus
nicht sehr großer Entfernung davor. Ein Zeichen, die Schnur wurde ge¬
zogen, der Deckel hob sich, und die unglückliche Taube schickte sich an, ihre
Zelle zu verlassen, um sich in die freie Luft zu erheben. So meinte sie; doch


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Am heiligen Damm

bot sich mir Gelegenheit, eine Schießübung der Taubenschützen anzusehen, wie
solche während der ganzen Badezeit sast täglich abgehalten werden sollen. Die
Stätte des fröhlichen — Mordens liegt am östlichen Rande des Waldes: eine
luftige Schießhalle, davor eine Wiese, auf der ein halbkreisförmiges Stück
durch einen niedrigen Zaun abgegrenzt ist. „Der Eintritt ist nur Mitgliedern
gestattet," heißt es auf einer Tafel am Eingänge in die Halle. Ich stellte
mich daher neben die Halle an den Zaun, wo auch ein Gendarm Platz ge¬
nommen hatte. Beim Anblick dieses Hüters der Gesetze kam mir plötzlich der
Gedanke: die Behörde hat am Ende gar dem Drängen der Tierschutzvereine
nachgegeben und das Taubenschießen verboten! O heilige Einfalt! Der Wächter
der Ordnung hatte eine ganz andre Aufgabe, wie ich bald erfahren sollte.

Anfangs wurde mir nach einer Papierscheibe geschossen; es fehlte eben
noch die Mehrzahl der Schützen, sie ruhte noch von der Hauptarbeit des
Tages, dem kräftigen Mahle. Da kam von der Wiese her eine Taube ge¬
flogen; ein Schütze lockte sie durch einen pfeifenden Ton näher und — piff,
pass! schoß er die Doppelflinte nach dem getäuschten Vogel ab. Schlecht ge¬
troffen flatterte die Taube in die Halle hinein. Sogleich sprang ihr ein Jagd¬
hund nach, erhaschte sie und brachte sie auf einen Pfiff des Schützen einem
vor mir innerhalb des Geheges sitzenden Manne; der drehte ihr, ohne hinzu¬
sehen, den Kopf um und warf sie hinter sich in einen Verschlag. Der Schütze
kümmerte sich nicht um sein Opfer, schoß wieder »ach der Scheibe und stellte
mit seinen Genossen Betrachtungen über seine Treffer an. Allmühlich kamen
die fehlenden Schützen, meist junge Leute, den Diener mit der Büchse hinter
sich. Da erhob sich der Gendarm und bedeutete mir, daß ich nun uicht mehr
hier stehen dürfte: Die Herren wünschen nicht, daß jemand zusieht. So so!
Die Herren fürchten also, daß jemand an ihrem Treiben Ärgernis nehme
(R.-Se.-G. 8 360, 13). Aber ich möchte mir den Spaß gern einmal mit
ansehen, entgegnete ich dem Mann der Ordnung, der mich mit prüfendem
Blick musterte. Milde erwiderte er: Nun, denn gehen Sie um deu Busch
links, und stellen Sie sich am Wege auf; dort dürfen Sie stehen. Ich begab
mich auf den angewiesenen Platz, sah zu und — ärgerte mich gehörig nach
360, wie sich schon so mancher über diesen Unfug geärgert hat, aber ver¬
geblich. Doch zur Sache.

In der Mitte des Halbkreises standen sechs schwarze Kasten, deren Deckel
durch eine nach der Schießhalle führende Schnur gehoben werden konnten.
In eiuen der Tvdeskasten setzte nun ein geschäftiger, sehr passend in einen
roten Kittel gekleideter Zunge eine von den Opfertauben; mehrere flache Körbe
voll standen vor der Schießhalle. Der Schütze stellte sich in einiger, übrigeus
nicht sehr großer Entfernung davor. Ein Zeichen, die Schnur wurde ge¬
zogen, der Deckel hob sich, und die unglückliche Taube schickte sich an, ihre
Zelle zu verlassen, um sich in die freie Luft zu erheben. So meinte sie; doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/241>, abgerufen am 23.05.2024.