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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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ver erste Beste

Es war keine große Stimme, aber ein Ton von unendlichem Zauber in
diesem weichen Baryton, ein gefährlicher Zauber.

Fritz, der betroffen aufgehorcht hatte, sah "ach seiner Frau hinüber.
Wenn mir recht ist, dachte er, Hort sie das nicht das erstemal von ihm.
Hätte" wir doch lieber nach Hanse fahren sollen? So fidel, wie ich mich
angestellt habe, war ich ja gnr uicht.

Das war ich, dachte Fritz weiter, den Blick unverwandt auf seine Frau
geheftet. Nur daß es bei mir nicht so poetisch herausgekommen ist. Sie
sitzt so still da, sie hebt die Augen nicht auf. An was denkt sie? An unsern
"Mai"? Der war ja für sie keiner.

Scholz hatte, den Beifall mit einer nervösen Handbewegung von sich ab¬
wehrend, einige Blätter umgeschlagen. Bitte weiter, sagte er halblaut zu
Hans, Sie begleiten ausgezeichnet.

Ich hab im Traum geweiiiet.
Mir träumte, du lägest im Grab.
Ich wachte auf, und die Thräne
Floß noch von der Wange herab.
Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumt', du verließest mich.
Ich wachte auf, und ich weinte
Noch lange bitterlich.

Die hoffnungsloseste Schwermut klang aus diesen Tönen. Fritz wandte
unwillkürlich den Kopf herum. Der Sänger lehnte fast nachlässig am Klavier,
gar nicht in der hergebrachten Stellung eines Vortragenden. Er sang gleich¬
sam im Selbstgespräch. Mit großen, melancholischen Augen sah er seinem
"Traum" nach.

Heine, von Schumann komponirt und so gesungen, dachte der arme Fritz,
da soll sich einem nicht das Herz im Leibe umdrehen. Grete, kleine Grete,
wären wir zu Haus!

Jetzt richtete sich Scholz etwas auf; seine Blicke kehrten zurück und be¬
gannen zu stammen.

sang er mit heißer Leidenschaft,

Es wurde Fritz einen Augenblick schwach und schwül zu Mute. Er sah
Margaretens glühende Wangen, er sah ihre zitternden Lippen, ihre fest zu¬
sammengefalteten Hände. Was soll daraus werden, murmelte er in sich hinein,
ich fahre aus der Haut!

Er wandte sich ab, zur Seite. Darum merkte er auch nichts von
dem thränenschimmernden Blick, mit dem Margarete gleich darnach zu ihm auf¬
sah, und von ihrem Erschrecken über sein zusammengezognes, verfärbtes Gesicht.


ver erste Beste

Es war keine große Stimme, aber ein Ton von unendlichem Zauber in
diesem weichen Baryton, ein gefährlicher Zauber.

Fritz, der betroffen aufgehorcht hatte, sah »ach seiner Frau hinüber.
Wenn mir recht ist, dachte er, Hort sie das nicht das erstemal von ihm.
Hätte» wir doch lieber nach Hanse fahren sollen? So fidel, wie ich mich
angestellt habe, war ich ja gnr uicht.

Das war ich, dachte Fritz weiter, den Blick unverwandt auf seine Frau
geheftet. Nur daß es bei mir nicht so poetisch herausgekommen ist. Sie
sitzt so still da, sie hebt die Augen nicht auf. An was denkt sie? An unsern
„Mai"? Der war ja für sie keiner.

Scholz hatte, den Beifall mit einer nervösen Handbewegung von sich ab¬
wehrend, einige Blätter umgeschlagen. Bitte weiter, sagte er halblaut zu
Hans, Sie begleiten ausgezeichnet.

Ich hab im Traum geweiiiet.
Mir träumte, du lägest im Grab.
Ich wachte auf, und die Thräne
Floß noch von der Wange herab.
Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumt', du verließest mich.
Ich wachte auf, und ich weinte
Noch lange bitterlich.

Die hoffnungsloseste Schwermut klang aus diesen Tönen. Fritz wandte
unwillkürlich den Kopf herum. Der Sänger lehnte fast nachlässig am Klavier,
gar nicht in der hergebrachten Stellung eines Vortragenden. Er sang gleich¬
sam im Selbstgespräch. Mit großen, melancholischen Augen sah er seinem
„Traum" nach.

Heine, von Schumann komponirt und so gesungen, dachte der arme Fritz,
da soll sich einem nicht das Herz im Leibe umdrehen. Grete, kleine Grete,
wären wir zu Haus!

Jetzt richtete sich Scholz etwas auf; seine Blicke kehrten zurück und be¬
gannen zu stammen.

sang er mit heißer Leidenschaft,

Es wurde Fritz einen Augenblick schwach und schwül zu Mute. Er sah
Margaretens glühende Wangen, er sah ihre zitternden Lippen, ihre fest zu¬
sammengefalteten Hände. Was soll daraus werden, murmelte er in sich hinein,
ich fahre aus der Haut!

Er wandte sich ab, zur Seite. Darum merkte er auch nichts von
dem thränenschimmernden Blick, mit dem Margarete gleich darnach zu ihm auf¬
sah, und von ihrem Erschrecken über sein zusammengezognes, verfärbtes Gesicht.


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[0246] ver erste Beste Es war keine große Stimme, aber ein Ton von unendlichem Zauber in diesem weichen Baryton, ein gefährlicher Zauber. Fritz, der betroffen aufgehorcht hatte, sah »ach seiner Frau hinüber. Wenn mir recht ist, dachte er, Hort sie das nicht das erstemal von ihm. Hätte» wir doch lieber nach Hanse fahren sollen? So fidel, wie ich mich angestellt habe, war ich ja gnr uicht. Das war ich, dachte Fritz weiter, den Blick unverwandt auf seine Frau geheftet. Nur daß es bei mir nicht so poetisch herausgekommen ist. Sie sitzt so still da, sie hebt die Augen nicht auf. An was denkt sie? An unsern „Mai"? Der war ja für sie keiner. Scholz hatte, den Beifall mit einer nervösen Handbewegung von sich ab¬ wehrend, einige Blätter umgeschlagen. Bitte weiter, sagte er halblaut zu Hans, Sie begleiten ausgezeichnet. Ich hab im Traum geweiiiet. Mir träumte, du lägest im Grab. Ich wachte auf, und die Thräne Floß noch von der Wange herab. Ich hab im Traum geweinet, Mir träumt', du verließest mich. Ich wachte auf, und ich weinte Noch lange bitterlich. Die hoffnungsloseste Schwermut klang aus diesen Tönen. Fritz wandte unwillkürlich den Kopf herum. Der Sänger lehnte fast nachlässig am Klavier, gar nicht in der hergebrachten Stellung eines Vortragenden. Er sang gleich¬ sam im Selbstgespräch. Mit großen, melancholischen Augen sah er seinem „Traum" nach. Heine, von Schumann komponirt und so gesungen, dachte der arme Fritz, da soll sich einem nicht das Herz im Leibe umdrehen. Grete, kleine Grete, wären wir zu Haus! Jetzt richtete sich Scholz etwas auf; seine Blicke kehrten zurück und be¬ gannen zu stammen. sang er mit heißer Leidenschaft, Es wurde Fritz einen Augenblick schwach und schwül zu Mute. Er sah Margaretens glühende Wangen, er sah ihre zitternden Lippen, ihre fest zu¬ sammengefalteten Hände. Was soll daraus werden, murmelte er in sich hinein, ich fahre aus der Haut! Er wandte sich ab, zur Seite. Darum merkte er auch nichts von dem thränenschimmernden Blick, mit dem Margarete gleich darnach zu ihm auf¬ sah, und von ihrem Erschrecken über sein zusammengezognes, verfärbtes Gesicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/246>, abgerufen am 13.05.2024.