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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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mag sie also nicht. -- Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichen¬
zuge, und so endigt mein Katechismus.*)

Wir lachen über den feisten Ritter, werden ihm aber zugestehen müssen,
daß seine Ausführung leicht verständlich ist, was man von dem an die Spitze
gestellten Satz nicht behaupten kann. Denn wie kann etwas, was durch das
Leben bedingt ist, diesem an Wert überlegen sein? -- Sehen wir zu!

Die Ehre eines Meuschen ist nichts mehr und nichts weniger als eine
Meinung, die andre Menschen von ihm haben. Der Inhalt dieser Meinung
ist eigentlich negativer Art. Er besteht nämlich darin, daß man der Eigen¬
schaften nicht ermangle, die man haben muß, teils um ein brauchbares Mit¬
glied der bürgerlichen Gesellschaft im allgemeinen zu sein, teils um eine be¬
sondre Stellung darin auszufüllen. In der ersten Hinsicht wird von jedem
unbedingte Redlichkeit, d. h. die strenge Beachtung der Greuzen von Mein und
Dein verlangt, und die Meinung, daß sich der Einzelne dieser Anforderung
nicht entziehen werde, macht das aus, was man bürgerliche Ehre nennt. Von
dieser unterscheidet man die Standes-, Berufs- oder Amtsehre und die geschlecht¬
liche Ehre, sofern jeder Beruf ebenso wie das Geschlechtsverhältnis zu seiner
zweckentsprechenden Bethätigung gewisse Eigenschaften voraussetzt, wie man
denn beispielsweise vom Soldaten Mut und Tapferkeit in seinem Berufe, vom
Beamten Pflichttreue und die Fähigkeit, sein Amt zu versehen, von der Frau
die völlige Unzugünglichkeit für den geschlechtlichen Verkehr mit andern
Männern, als ihrem Gatten, fordert, und in der Meinung der andern, daß
es darin jeder an seinem Teile nicht fehlen lassen werde, beruht seine besondre
Ehre. Die in dem Begriff der Ehre liegende Meinung des angegebnen Inhalts
stellt sich als eine auf einer allgemeinen stillschweigenden Übereinstimmung be¬
ruhende Vermutung dar, wie sie sich in dem bekannten Rechtsgrundsätze:
UnuiZe-uisciuo xritssumitur domus, äonso x rodstur eorckrariuiK ausgedrückt
findet. Ob bezüglich des Einzelnen alle andern diese Vermutung thatsächlich
hegen, darauf kommt so lange nichts an, als nicht etwas bekannt geworden
ist, was jene Vermutung widerlegt: so lange wird sie gefordert, und so lange
die Ehre gewahrt. Darauf hat jeder ein gutes Recht. Worauf er aber kein
Recht hat, das ist die positive Überzeugung der andern von irgend welchen guten
Eigenschaften auf seiner Seite oder gar solchen, die ihn über die Menge er¬
heben. Bricht sich eine solche Überzeugung bei den andern durch, dann gereicht
sie ihm natürlich auch zur Ehre; aber das ist nicht die Ehre, die ihm nicht
versagt werden darf, ohne daß er sich darüber beklagen dürfte, sie wird ihm
freiwillig gewährt, und er nimmt sie, auch wenn er sie zu verdienen glaubt,
als Geschenk an, ohne Dank, wenn er hochmütig, dankbar, wenn er be¬
scheiden ist.



*) Shakespeare, König Heinrich IV., 1. Teil, S. Akt, 1. Szene.
Grenzboten III 139539
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mag sie also nicht. — Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichen¬
zuge, und so endigt mein Katechismus.*)

Wir lachen über den feisten Ritter, werden ihm aber zugestehen müssen,
daß seine Ausführung leicht verständlich ist, was man von dem an die Spitze
gestellten Satz nicht behaupten kann. Denn wie kann etwas, was durch das
Leben bedingt ist, diesem an Wert überlegen sein? — Sehen wir zu!

Die Ehre eines Meuschen ist nichts mehr und nichts weniger als eine
Meinung, die andre Menschen von ihm haben. Der Inhalt dieser Meinung
ist eigentlich negativer Art. Er besteht nämlich darin, daß man der Eigen¬
schaften nicht ermangle, die man haben muß, teils um ein brauchbares Mit¬
glied der bürgerlichen Gesellschaft im allgemeinen zu sein, teils um eine be¬
sondre Stellung darin auszufüllen. In der ersten Hinsicht wird von jedem
unbedingte Redlichkeit, d. h. die strenge Beachtung der Greuzen von Mein und
Dein verlangt, und die Meinung, daß sich der Einzelne dieser Anforderung
nicht entziehen werde, macht das aus, was man bürgerliche Ehre nennt. Von
dieser unterscheidet man die Standes-, Berufs- oder Amtsehre und die geschlecht¬
liche Ehre, sofern jeder Beruf ebenso wie das Geschlechtsverhältnis zu seiner
zweckentsprechenden Bethätigung gewisse Eigenschaften voraussetzt, wie man
denn beispielsweise vom Soldaten Mut und Tapferkeit in seinem Berufe, vom
Beamten Pflichttreue und die Fähigkeit, sein Amt zu versehen, von der Frau
die völlige Unzugünglichkeit für den geschlechtlichen Verkehr mit andern
Männern, als ihrem Gatten, fordert, und in der Meinung der andern, daß
es darin jeder an seinem Teile nicht fehlen lassen werde, beruht seine besondre
Ehre. Die in dem Begriff der Ehre liegende Meinung des angegebnen Inhalts
stellt sich als eine auf einer allgemeinen stillschweigenden Übereinstimmung be¬
ruhende Vermutung dar, wie sie sich in dem bekannten Rechtsgrundsätze:
UnuiZe-uisciuo xritssumitur domus, äonso x rodstur eorckrariuiK ausgedrückt
findet. Ob bezüglich des Einzelnen alle andern diese Vermutung thatsächlich
hegen, darauf kommt so lange nichts an, als nicht etwas bekannt geworden
ist, was jene Vermutung widerlegt: so lange wird sie gefordert, und so lange
die Ehre gewahrt. Darauf hat jeder ein gutes Recht. Worauf er aber kein
Recht hat, das ist die positive Überzeugung der andern von irgend welchen guten
Eigenschaften auf seiner Seite oder gar solchen, die ihn über die Menge er¬
heben. Bricht sich eine solche Überzeugung bei den andern durch, dann gereicht
sie ihm natürlich auch zur Ehre; aber das ist nicht die Ehre, die ihm nicht
versagt werden darf, ohne daß er sich darüber beklagen dürfte, sie wird ihm
freiwillig gewährt, und er nimmt sie, auch wenn er sie zu verdienen glaubt,
als Geschenk an, ohne Dank, wenn er hochmütig, dankbar, wenn er be¬
scheiden ist.



*) Shakespeare, König Heinrich IV., 1. Teil, S. Akt, 1. Szene.
Grenzboten III 139539
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[0313] Die Lhre und der Zwcii'mnpf mag sie also nicht. — Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichen¬ zuge, und so endigt mein Katechismus.*) Wir lachen über den feisten Ritter, werden ihm aber zugestehen müssen, daß seine Ausführung leicht verständlich ist, was man von dem an die Spitze gestellten Satz nicht behaupten kann. Denn wie kann etwas, was durch das Leben bedingt ist, diesem an Wert überlegen sein? — Sehen wir zu! Die Ehre eines Meuschen ist nichts mehr und nichts weniger als eine Meinung, die andre Menschen von ihm haben. Der Inhalt dieser Meinung ist eigentlich negativer Art. Er besteht nämlich darin, daß man der Eigen¬ schaften nicht ermangle, die man haben muß, teils um ein brauchbares Mit¬ glied der bürgerlichen Gesellschaft im allgemeinen zu sein, teils um eine be¬ sondre Stellung darin auszufüllen. In der ersten Hinsicht wird von jedem unbedingte Redlichkeit, d. h. die strenge Beachtung der Greuzen von Mein und Dein verlangt, und die Meinung, daß sich der Einzelne dieser Anforderung nicht entziehen werde, macht das aus, was man bürgerliche Ehre nennt. Von dieser unterscheidet man die Standes-, Berufs- oder Amtsehre und die geschlecht¬ liche Ehre, sofern jeder Beruf ebenso wie das Geschlechtsverhältnis zu seiner zweckentsprechenden Bethätigung gewisse Eigenschaften voraussetzt, wie man denn beispielsweise vom Soldaten Mut und Tapferkeit in seinem Berufe, vom Beamten Pflichttreue und die Fähigkeit, sein Amt zu versehen, von der Frau die völlige Unzugünglichkeit für den geschlechtlichen Verkehr mit andern Männern, als ihrem Gatten, fordert, und in der Meinung der andern, daß es darin jeder an seinem Teile nicht fehlen lassen werde, beruht seine besondre Ehre. Die in dem Begriff der Ehre liegende Meinung des angegebnen Inhalts stellt sich als eine auf einer allgemeinen stillschweigenden Übereinstimmung be¬ ruhende Vermutung dar, wie sie sich in dem bekannten Rechtsgrundsätze: UnuiZe-uisciuo xritssumitur domus, äonso x rodstur eorckrariuiK ausgedrückt findet. Ob bezüglich des Einzelnen alle andern diese Vermutung thatsächlich hegen, darauf kommt so lange nichts an, als nicht etwas bekannt geworden ist, was jene Vermutung widerlegt: so lange wird sie gefordert, und so lange die Ehre gewahrt. Darauf hat jeder ein gutes Recht. Worauf er aber kein Recht hat, das ist die positive Überzeugung der andern von irgend welchen guten Eigenschaften auf seiner Seite oder gar solchen, die ihn über die Menge er¬ heben. Bricht sich eine solche Überzeugung bei den andern durch, dann gereicht sie ihm natürlich auch zur Ehre; aber das ist nicht die Ehre, die ihm nicht versagt werden darf, ohne daß er sich darüber beklagen dürfte, sie wird ihm freiwillig gewährt, und er nimmt sie, auch wenn er sie zu verdienen glaubt, als Geschenk an, ohne Dank, wenn er hochmütig, dankbar, wenn er be¬ scheiden ist. *) Shakespeare, König Heinrich IV., 1. Teil, S. Akt, 1. Szene. Grenzboten III 139539

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/313>, abgerufen am 13.05.2024.