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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Das Aavital von Karl Marx

Ware, daß sie für andre produzirt waren. Um Ware zu werden, muß das
Produkt dem andern, dem es als Gebrauchswert dient, durch den Austausch
übertragen werden.^ Endlich kann kein Ding Wert sein, ohne Gebrauchs¬
gegenstand zu sein. Ist es nutzlos, so ist auch die in ihm enthaltene Arbeit
nutzlos, zählt nicht als Arbeit und bildet daher keinen Wert."

Mit diesen Sätzen und allen nachsolgenden weitern Ausführungen hat
freilich Marx das Rätsel des Warenwerts nicht gelöst. Rätselhaft wird diese
Erscheinung immer bleiben, weil unzählige zusammenwirkende Ursachen einen
unentwirrbaren Knäuel aus ihr machen. Aber einen der wichtigsten, ja den
für unsre Zeit allerwichtigsten Faden hat er aus diesem Knäuel herausgewickelt
und seine gesonderte Betrachtung möglich gemacht. Der Fehler seiner Theorie
besteht nur darin, daß alle andern zur Preisbestimmung (Preis ist der Geld-
ausdruck für den Warenwert) mitwirkenden Ursachen (Naturbedingungen, Ge¬
schmack, Mode, gesellschaftlicher Zwang, Staatseinrichtungen, Religion -- mau
denke an die katholischen Kirchengeräte und Devotionalien! - kurzum die sub¬
jektiven oder psychologischen Bestimmungsgründe) beiseite geschoben werden,
daß der Tauschwert als Wert schlechthin behandelt wird, während ihm doch
Marx selbst den Gebrauchswert ausdrücklich voranstellt, und daß der vergeb¬
liche Versuch gemacht wird, Seltenheitswerte (wie den des Diamanten) auf
die Arbeit zurückzuführen, und qnalifizirte Arbeit als ein Vielfaches einfacher
Art darzustellen, also die Qualität in Quantität aufzulösen. Unzulänglich,
wie sie Böhm-Vawerk nennt, ist sie also, aber wir können nicht zugeben, daß
die Grenznutzentheorie, die von diesem Gelehrten und vielen andern -- auch
im Handwörterbuch der Staatswissenschaften -- vertreten wird, in höheren
Grade genüge. Diese neueste Werttheorie wird folgendermaßen begründet:
Wenn jemand fünf Metzen Korn hat und davon eine Metze zur notdürftigen
Ernährung, eine weitere zur reichlichern Ernährung, eine dritte zur Fütterung
von Nutztieren, eine vierte zum Branntweinbrennen und eine fünfte zur Füt¬
terung von Luxustieren verwenden kann, so schützt er seinen ganzen Vorrat
nach dieser letzten, mindestwichtigen Verwendungsart. Hätte er bloß vier
Metzen, so würde er keine Luxustiere halten, hätte er bloß drei, keinen Brannt¬
wein brennen u. s. w. Jede Verminderung des Vorrath erhöht den Wert.
"Bei der Schützung eines Exemplars oder einer bestimmten Teilmenge aus
einer größern Gütermenge bestimmt sich der subjektive Wert der Gutseinheit
nach dem Nutzen, den die letzte verfügbare Teilquantität uns gewährt oder,
wie wir es kurz ausdrücken, nach dem Grenznutzen." Das ist richtig, aber
doch nur ein neuer Ausdruck für die triviale Wahrheit, daß jeder seine Güter
desto weniger schätzt, je mehr er davon hat. Und diese selbstverständliche
Wahrheit in einer neuen Form ausgesprochen zu haben ist kein großes Ver¬
dienst, denn es trägt zur Lösung der wirtschaftlichen Fragen und Schwierig¬
keiten nichts bei. Wie ein isolirter Wirt je nach seinem Reichtum seine eignen


Das Aavital von Karl Marx

Ware, daß sie für andre produzirt waren. Um Ware zu werden, muß das
Produkt dem andern, dem es als Gebrauchswert dient, durch den Austausch
übertragen werden.^ Endlich kann kein Ding Wert sein, ohne Gebrauchs¬
gegenstand zu sein. Ist es nutzlos, so ist auch die in ihm enthaltene Arbeit
nutzlos, zählt nicht als Arbeit und bildet daher keinen Wert."

Mit diesen Sätzen und allen nachsolgenden weitern Ausführungen hat
freilich Marx das Rätsel des Warenwerts nicht gelöst. Rätselhaft wird diese
Erscheinung immer bleiben, weil unzählige zusammenwirkende Ursachen einen
unentwirrbaren Knäuel aus ihr machen. Aber einen der wichtigsten, ja den
für unsre Zeit allerwichtigsten Faden hat er aus diesem Knäuel herausgewickelt
und seine gesonderte Betrachtung möglich gemacht. Der Fehler seiner Theorie
besteht nur darin, daß alle andern zur Preisbestimmung (Preis ist der Geld-
ausdruck für den Warenwert) mitwirkenden Ursachen (Naturbedingungen, Ge¬
schmack, Mode, gesellschaftlicher Zwang, Staatseinrichtungen, Religion — mau
denke an die katholischen Kirchengeräte und Devotionalien! - kurzum die sub¬
jektiven oder psychologischen Bestimmungsgründe) beiseite geschoben werden,
daß der Tauschwert als Wert schlechthin behandelt wird, während ihm doch
Marx selbst den Gebrauchswert ausdrücklich voranstellt, und daß der vergeb¬
liche Versuch gemacht wird, Seltenheitswerte (wie den des Diamanten) auf
die Arbeit zurückzuführen, und qnalifizirte Arbeit als ein Vielfaches einfacher
Art darzustellen, also die Qualität in Quantität aufzulösen. Unzulänglich,
wie sie Böhm-Vawerk nennt, ist sie also, aber wir können nicht zugeben, daß
die Grenznutzentheorie, die von diesem Gelehrten und vielen andern — auch
im Handwörterbuch der Staatswissenschaften — vertreten wird, in höheren
Grade genüge. Diese neueste Werttheorie wird folgendermaßen begründet:
Wenn jemand fünf Metzen Korn hat und davon eine Metze zur notdürftigen
Ernährung, eine weitere zur reichlichern Ernährung, eine dritte zur Fütterung
von Nutztieren, eine vierte zum Branntweinbrennen und eine fünfte zur Füt¬
terung von Luxustieren verwenden kann, so schützt er seinen ganzen Vorrat
nach dieser letzten, mindestwichtigen Verwendungsart. Hätte er bloß vier
Metzen, so würde er keine Luxustiere halten, hätte er bloß drei, keinen Brannt¬
wein brennen u. s. w. Jede Verminderung des Vorrath erhöht den Wert.
„Bei der Schützung eines Exemplars oder einer bestimmten Teilmenge aus
einer größern Gütermenge bestimmt sich der subjektive Wert der Gutseinheit
nach dem Nutzen, den die letzte verfügbare Teilquantität uns gewährt oder,
wie wir es kurz ausdrücken, nach dem Grenznutzen." Das ist richtig, aber
doch nur ein neuer Ausdruck für die triviale Wahrheit, daß jeder seine Güter
desto weniger schätzt, je mehr er davon hat. Und diese selbstverständliche
Wahrheit in einer neuen Form ausgesprochen zu haben ist kein großes Ver¬
dienst, denn es trägt zur Lösung der wirtschaftlichen Fragen und Schwierig¬
keiten nichts bei. Wie ein isolirter Wirt je nach seinem Reichtum seine eignen


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[0032] Das Aavital von Karl Marx Ware, daß sie für andre produzirt waren. Um Ware zu werden, muß das Produkt dem andern, dem es als Gebrauchswert dient, durch den Austausch übertragen werden.^ Endlich kann kein Ding Wert sein, ohne Gebrauchs¬ gegenstand zu sein. Ist es nutzlos, so ist auch die in ihm enthaltene Arbeit nutzlos, zählt nicht als Arbeit und bildet daher keinen Wert." Mit diesen Sätzen und allen nachsolgenden weitern Ausführungen hat freilich Marx das Rätsel des Warenwerts nicht gelöst. Rätselhaft wird diese Erscheinung immer bleiben, weil unzählige zusammenwirkende Ursachen einen unentwirrbaren Knäuel aus ihr machen. Aber einen der wichtigsten, ja den für unsre Zeit allerwichtigsten Faden hat er aus diesem Knäuel herausgewickelt und seine gesonderte Betrachtung möglich gemacht. Der Fehler seiner Theorie besteht nur darin, daß alle andern zur Preisbestimmung (Preis ist der Geld- ausdruck für den Warenwert) mitwirkenden Ursachen (Naturbedingungen, Ge¬ schmack, Mode, gesellschaftlicher Zwang, Staatseinrichtungen, Religion — mau denke an die katholischen Kirchengeräte und Devotionalien! - kurzum die sub¬ jektiven oder psychologischen Bestimmungsgründe) beiseite geschoben werden, daß der Tauschwert als Wert schlechthin behandelt wird, während ihm doch Marx selbst den Gebrauchswert ausdrücklich voranstellt, und daß der vergeb¬ liche Versuch gemacht wird, Seltenheitswerte (wie den des Diamanten) auf die Arbeit zurückzuführen, und qnalifizirte Arbeit als ein Vielfaches einfacher Art darzustellen, also die Qualität in Quantität aufzulösen. Unzulänglich, wie sie Böhm-Vawerk nennt, ist sie also, aber wir können nicht zugeben, daß die Grenznutzentheorie, die von diesem Gelehrten und vielen andern — auch im Handwörterbuch der Staatswissenschaften — vertreten wird, in höheren Grade genüge. Diese neueste Werttheorie wird folgendermaßen begründet: Wenn jemand fünf Metzen Korn hat und davon eine Metze zur notdürftigen Ernährung, eine weitere zur reichlichern Ernährung, eine dritte zur Fütterung von Nutztieren, eine vierte zum Branntweinbrennen und eine fünfte zur Füt¬ terung von Luxustieren verwenden kann, so schützt er seinen ganzen Vorrat nach dieser letzten, mindestwichtigen Verwendungsart. Hätte er bloß vier Metzen, so würde er keine Luxustiere halten, hätte er bloß drei, keinen Brannt¬ wein brennen u. s. w. Jede Verminderung des Vorrath erhöht den Wert. „Bei der Schützung eines Exemplars oder einer bestimmten Teilmenge aus einer größern Gütermenge bestimmt sich der subjektive Wert der Gutseinheit nach dem Nutzen, den die letzte verfügbare Teilquantität uns gewährt oder, wie wir es kurz ausdrücken, nach dem Grenznutzen." Das ist richtig, aber doch nur ein neuer Ausdruck für die triviale Wahrheit, daß jeder seine Güter desto weniger schätzt, je mehr er davon hat. Und diese selbstverständliche Wahrheit in einer neuen Form ausgesprochen zu haben ist kein großes Ver¬ dienst, denn es trägt zur Lösung der wirtschaftlichen Fragen und Schwierig¬ keiten nichts bei. Wie ein isolirter Wirt je nach seinem Reichtum seine eignen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/32>, abgerufen am 11.05.2024.