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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Ehre und der Zweikampf

kurzen Worten: die Ehre eines Menschen besteht in der Furcht, die andre haben,
daß er jeden Angriff auf seine Person in blutigem Kampfe ahnden werde.

Um zu sehen, wie sich diese Auffassung im praktischen Leben bethätigt,
nehme man den Fall an. daß Graf A die Gemahlin des Freiherrn v. B zum
Ehebruche verführt hat. Wer vernünftig zu denken imstande ist, wird hier
sagen, daß B von seiner treulosen Frau und ihrem Verführer aufs schwerste
beleidigt worden, übrigens aber nichts geschehen ist, was die Meinung der
anständigen Leute über ihn selbst in ungünstigem Sinne verändern könnte,
daß dagegen natürlich die Frau ihre Ehre verloren, ebenso aber auch A den
Anspruch verwirkt hat, für einen Ehrenmann gehalten zu werden, da ein
Ehrenmann nicht die Nichtswürdigkeit begeht, das Weib eines andern zu be¬
rühren.

Ganz anders der Mann von Ehre. Er sieht davon ab, das Verhalten
des schuldigen Paars zu beurteilen -- das ist ihm Nebensache; nur der be-
trogne Gatte fesselt seine Aufmerksamkeit, ihn sieht er mit Schmach und
Schande bedeckt, und erwartet gespannt, ob der Unglückliche in der bei
Männern von Ehre üblichen Weise den Fleck auf seiner Ehre mit Blut ab-
waschen werde. Thut er das, und wird er im Zweikampfe getötet, so hat
er die Genugthuung, daß sein Andenken in Ehren gehalten wird. Der Ehe¬
brecher mag dann immerhin die Witwe heiraten; wenn diese auch bei den
Damen immer als anrüchig gelten wird, so hat doch der Mann durch Aus-
fechtung des Ehrenhandels allen Anforderungen entsprochen, die man billiger¬
weise an ihn stellen kann, und er wird als gerechtfertigt, vielleicht gar als
besonders schneidig angesehen.

Will jemand behaupten, daß dieser Fall unrichtig dargestellt sei? Schwer¬
lich. Nun wohl, so bleibt es also dabei: Ehre hängt nicht davon ab, was
einer thut, sondern was er sich gefallen läßt. Man bedenke, was das sagen
will! Da Angriffe auf die Person nur dann mit Erfolg zurückgewiesen werden
können, wenn der Angegriffne dem Angreifer überlegen ist, sodaß, wenn das
thatsächlich nicht zutrifft, es völlig zwecklos ist, daß er den andern zu züch¬
tigen versucht, so ist thatsächlich nur der in der glücklichen Lage, sich nichts
gefallen lassen zu müssen, d. h. seine Ehre zu wahren, der allen andern über¬
legen ist; die Ehre hängt also von der Physischen Kraft und Geschicklichkeit
ab, sie ist das Erbteil, das angeborne Recht des Stärkern.

Da haben wir die soziale Grundanschauung des Menschen, solange er
sich noch in jenem Naturzustande befindet, der aller Rechtsbildung und Ge¬
sittung vorausgeht. Bei den germanischen Stämmen insbesondre hat sie von
grauer Zeiten Anbeginn in der Volksseele Wurzel geschlagen und sich schon
in den Reckengestalten verkörpert, die uns die deutsche und die nordische Sage
vor Augen sührt. Durch des eignen Arms und der Waffen Gewalt aller
Gegner Herr zu werden, das war das Ziel und, soweit es erreicht werden


Grenzboten III 1895 40
Die Ehre und der Zweikampf

kurzen Worten: die Ehre eines Menschen besteht in der Furcht, die andre haben,
daß er jeden Angriff auf seine Person in blutigem Kampfe ahnden werde.

Um zu sehen, wie sich diese Auffassung im praktischen Leben bethätigt,
nehme man den Fall an. daß Graf A die Gemahlin des Freiherrn v. B zum
Ehebruche verführt hat. Wer vernünftig zu denken imstande ist, wird hier
sagen, daß B von seiner treulosen Frau und ihrem Verführer aufs schwerste
beleidigt worden, übrigens aber nichts geschehen ist, was die Meinung der
anständigen Leute über ihn selbst in ungünstigem Sinne verändern könnte,
daß dagegen natürlich die Frau ihre Ehre verloren, ebenso aber auch A den
Anspruch verwirkt hat, für einen Ehrenmann gehalten zu werden, da ein
Ehrenmann nicht die Nichtswürdigkeit begeht, das Weib eines andern zu be¬
rühren.

Ganz anders der Mann von Ehre. Er sieht davon ab, das Verhalten
des schuldigen Paars zu beurteilen — das ist ihm Nebensache; nur der be-
trogne Gatte fesselt seine Aufmerksamkeit, ihn sieht er mit Schmach und
Schande bedeckt, und erwartet gespannt, ob der Unglückliche in der bei
Männern von Ehre üblichen Weise den Fleck auf seiner Ehre mit Blut ab-
waschen werde. Thut er das, und wird er im Zweikampfe getötet, so hat
er die Genugthuung, daß sein Andenken in Ehren gehalten wird. Der Ehe¬
brecher mag dann immerhin die Witwe heiraten; wenn diese auch bei den
Damen immer als anrüchig gelten wird, so hat doch der Mann durch Aus-
fechtung des Ehrenhandels allen Anforderungen entsprochen, die man billiger¬
weise an ihn stellen kann, und er wird als gerechtfertigt, vielleicht gar als
besonders schneidig angesehen.

Will jemand behaupten, daß dieser Fall unrichtig dargestellt sei? Schwer¬
lich. Nun wohl, so bleibt es also dabei: Ehre hängt nicht davon ab, was
einer thut, sondern was er sich gefallen läßt. Man bedenke, was das sagen
will! Da Angriffe auf die Person nur dann mit Erfolg zurückgewiesen werden
können, wenn der Angegriffne dem Angreifer überlegen ist, sodaß, wenn das
thatsächlich nicht zutrifft, es völlig zwecklos ist, daß er den andern zu züch¬
tigen versucht, so ist thatsächlich nur der in der glücklichen Lage, sich nichts
gefallen lassen zu müssen, d. h. seine Ehre zu wahren, der allen andern über¬
legen ist; die Ehre hängt also von der Physischen Kraft und Geschicklichkeit
ab, sie ist das Erbteil, das angeborne Recht des Stärkern.

Da haben wir die soziale Grundanschauung des Menschen, solange er
sich noch in jenem Naturzustande befindet, der aller Rechtsbildung und Ge¬
sittung vorausgeht. Bei den germanischen Stämmen insbesondre hat sie von
grauer Zeiten Anbeginn in der Volksseele Wurzel geschlagen und sich schon
in den Reckengestalten verkörpert, die uns die deutsche und die nordische Sage
vor Augen sührt. Durch des eignen Arms und der Waffen Gewalt aller
Gegner Herr zu werden, das war das Ziel und, soweit es erreicht werden


Grenzboten III 1895 40
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[0321] Die Ehre und der Zweikampf kurzen Worten: die Ehre eines Menschen besteht in der Furcht, die andre haben, daß er jeden Angriff auf seine Person in blutigem Kampfe ahnden werde. Um zu sehen, wie sich diese Auffassung im praktischen Leben bethätigt, nehme man den Fall an. daß Graf A die Gemahlin des Freiherrn v. B zum Ehebruche verführt hat. Wer vernünftig zu denken imstande ist, wird hier sagen, daß B von seiner treulosen Frau und ihrem Verführer aufs schwerste beleidigt worden, übrigens aber nichts geschehen ist, was die Meinung der anständigen Leute über ihn selbst in ungünstigem Sinne verändern könnte, daß dagegen natürlich die Frau ihre Ehre verloren, ebenso aber auch A den Anspruch verwirkt hat, für einen Ehrenmann gehalten zu werden, da ein Ehrenmann nicht die Nichtswürdigkeit begeht, das Weib eines andern zu be¬ rühren. Ganz anders der Mann von Ehre. Er sieht davon ab, das Verhalten des schuldigen Paars zu beurteilen — das ist ihm Nebensache; nur der be- trogne Gatte fesselt seine Aufmerksamkeit, ihn sieht er mit Schmach und Schande bedeckt, und erwartet gespannt, ob der Unglückliche in der bei Männern von Ehre üblichen Weise den Fleck auf seiner Ehre mit Blut ab- waschen werde. Thut er das, und wird er im Zweikampfe getötet, so hat er die Genugthuung, daß sein Andenken in Ehren gehalten wird. Der Ehe¬ brecher mag dann immerhin die Witwe heiraten; wenn diese auch bei den Damen immer als anrüchig gelten wird, so hat doch der Mann durch Aus- fechtung des Ehrenhandels allen Anforderungen entsprochen, die man billiger¬ weise an ihn stellen kann, und er wird als gerechtfertigt, vielleicht gar als besonders schneidig angesehen. Will jemand behaupten, daß dieser Fall unrichtig dargestellt sei? Schwer¬ lich. Nun wohl, so bleibt es also dabei: Ehre hängt nicht davon ab, was einer thut, sondern was er sich gefallen läßt. Man bedenke, was das sagen will! Da Angriffe auf die Person nur dann mit Erfolg zurückgewiesen werden können, wenn der Angegriffne dem Angreifer überlegen ist, sodaß, wenn das thatsächlich nicht zutrifft, es völlig zwecklos ist, daß er den andern zu züch¬ tigen versucht, so ist thatsächlich nur der in der glücklichen Lage, sich nichts gefallen lassen zu müssen, d. h. seine Ehre zu wahren, der allen andern über¬ legen ist; die Ehre hängt also von der Physischen Kraft und Geschicklichkeit ab, sie ist das Erbteil, das angeborne Recht des Stärkern. Da haben wir die soziale Grundanschauung des Menschen, solange er sich noch in jenem Naturzustande befindet, der aller Rechtsbildung und Ge¬ sittung vorausgeht. Bei den germanischen Stämmen insbesondre hat sie von grauer Zeiten Anbeginn in der Volksseele Wurzel geschlagen und sich schon in den Reckengestalten verkörpert, die uns die deutsche und die nordische Sage vor Augen sührt. Durch des eignen Arms und der Waffen Gewalt aller Gegner Herr zu werden, das war das Ziel und, soweit es erreicht werden Grenzboten III 1895 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/321>, abgerufen am 16.06.2024.