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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Otto Ludwig
von Adolf Bartels 1

in 25. Februar dieses Jahres war der dreißigste Todestag Otto
Ludwigs, am nächsten 13. Dezember vor zweiunddreißig Jahren
ist Friedrich Hebbel gestorben -- das Menschenalter nach dem
Tode der beiden großen nachklassischen deutschen Dramatiker hat
sich vollendet, und es ist Zeit, zu fragen, was sie ihrem Volke
inzwischen geworden sind. Nicht das, was sie ihm hätten werden sollen, würde
man auf diese Frage entgegnen müssen, wenn nicht in den letzten Jahren doch
zahlreiche Anzeichen hervorgetreten wären, daß die Schätzung der beiden Dichter
in weitern Kreisen Boden gewonnen hat, wenn sich nicht gerade jetzt an
manchen Orten ein lebhaftes Bestreben zeigte, Hebbel und Ludwig zu ihrem
Rechte zu verhelfen. Als die Dichter starben, herrschte in Deutschland die
Münchner Schule, die für die beiden "Kraftdramatiker" nicht das geringste
übrig haben konnte. Dann kamen die großen politischen Ereignisse, die die
Einigung Deutschlands herbeiführten und die Litteratur ohne weiteres im
öffentlichen Interesse zurücktreten ließen. Im neuen Reich aber erblühte nicht
nur nicht, wie man gehofft hatte, eine neue große Dichtung, es wurde nicht
einmal wieder gut gemacht, was das vorangehende Jahrzehnt an den be¬
deutendsten dramatischen Talenten der Zeit gesündigt hatte: das deutsche
Theater fiel in die Knechtschaft des französischen Sittendramas und seiner
seichten und aufdringlichen deutschen Nachahmer, der Gartenlaubenroman und
das Feuilleton machten sich breit, und selbst begabte und höher strebende Dichter
flüchteten sich auf das Gebiet des archäologischen Romans und der Vaganten¬
lyrik, die doch noch eine Art von Poesie ermöglichten. Das Ende war flachster
Konventionalismus und immer größere Feuilletonisteukeckheit, gegen die sich
dann die "Revolution" des Naturalismus erhob. Sie zog ihre Kraft aus
dem Auslande, wurde trotz aller Programme plan- und ziellos unternommen
und war reich an Brutalitäten und Dummheiten. Aber als einige wirkliche
Talente auftauchten, neigte sich der Sieg auf die Seite der Jungen. Und heute
fängt man an zu erkenne", daß, was man unreif und unklar erstrebte, zum




Friedrich Hebbel und Otto Ludwig
von Adolf Bartels 1

in 25. Februar dieses Jahres war der dreißigste Todestag Otto
Ludwigs, am nächsten 13. Dezember vor zweiunddreißig Jahren
ist Friedrich Hebbel gestorben — das Menschenalter nach dem
Tode der beiden großen nachklassischen deutschen Dramatiker hat
sich vollendet, und es ist Zeit, zu fragen, was sie ihrem Volke
inzwischen geworden sind. Nicht das, was sie ihm hätten werden sollen, würde
man auf diese Frage entgegnen müssen, wenn nicht in den letzten Jahren doch
zahlreiche Anzeichen hervorgetreten wären, daß die Schätzung der beiden Dichter
in weitern Kreisen Boden gewonnen hat, wenn sich nicht gerade jetzt an
manchen Orten ein lebhaftes Bestreben zeigte, Hebbel und Ludwig zu ihrem
Rechte zu verhelfen. Als die Dichter starben, herrschte in Deutschland die
Münchner Schule, die für die beiden „Kraftdramatiker" nicht das geringste
übrig haben konnte. Dann kamen die großen politischen Ereignisse, die die
Einigung Deutschlands herbeiführten und die Litteratur ohne weiteres im
öffentlichen Interesse zurücktreten ließen. Im neuen Reich aber erblühte nicht
nur nicht, wie man gehofft hatte, eine neue große Dichtung, es wurde nicht
einmal wieder gut gemacht, was das vorangehende Jahrzehnt an den be¬
deutendsten dramatischen Talenten der Zeit gesündigt hatte: das deutsche
Theater fiel in die Knechtschaft des französischen Sittendramas und seiner
seichten und aufdringlichen deutschen Nachahmer, der Gartenlaubenroman und
das Feuilleton machten sich breit, und selbst begabte und höher strebende Dichter
flüchteten sich auf das Gebiet des archäologischen Romans und der Vaganten¬
lyrik, die doch noch eine Art von Poesie ermöglichten. Das Ende war flachster
Konventionalismus und immer größere Feuilletonisteukeckheit, gegen die sich
dann die „Revolution" des Naturalismus erhob. Sie zog ihre Kraft aus
dem Auslande, wurde trotz aller Programme plan- und ziellos unternommen
und war reich an Brutalitäten und Dummheiten. Aber als einige wirkliche
Talente auftauchten, neigte sich der Sieg auf die Seite der Jungen. Und heute
fängt man an zu erkenne», daß, was man unreif und unklar erstrebte, zum


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[0040] [Abbildung] Friedrich Hebbel und Otto Ludwig von Adolf Bartels 1 in 25. Februar dieses Jahres war der dreißigste Todestag Otto Ludwigs, am nächsten 13. Dezember vor zweiunddreißig Jahren ist Friedrich Hebbel gestorben — das Menschenalter nach dem Tode der beiden großen nachklassischen deutschen Dramatiker hat sich vollendet, und es ist Zeit, zu fragen, was sie ihrem Volke inzwischen geworden sind. Nicht das, was sie ihm hätten werden sollen, würde man auf diese Frage entgegnen müssen, wenn nicht in den letzten Jahren doch zahlreiche Anzeichen hervorgetreten wären, daß die Schätzung der beiden Dichter in weitern Kreisen Boden gewonnen hat, wenn sich nicht gerade jetzt an manchen Orten ein lebhaftes Bestreben zeigte, Hebbel und Ludwig zu ihrem Rechte zu verhelfen. Als die Dichter starben, herrschte in Deutschland die Münchner Schule, die für die beiden „Kraftdramatiker" nicht das geringste übrig haben konnte. Dann kamen die großen politischen Ereignisse, die die Einigung Deutschlands herbeiführten und die Litteratur ohne weiteres im öffentlichen Interesse zurücktreten ließen. Im neuen Reich aber erblühte nicht nur nicht, wie man gehofft hatte, eine neue große Dichtung, es wurde nicht einmal wieder gut gemacht, was das vorangehende Jahrzehnt an den be¬ deutendsten dramatischen Talenten der Zeit gesündigt hatte: das deutsche Theater fiel in die Knechtschaft des französischen Sittendramas und seiner seichten und aufdringlichen deutschen Nachahmer, der Gartenlaubenroman und das Feuilleton machten sich breit, und selbst begabte und höher strebende Dichter flüchteten sich auf das Gebiet des archäologischen Romans und der Vaganten¬ lyrik, die doch noch eine Art von Poesie ermöglichten. Das Ende war flachster Konventionalismus und immer größere Feuilletonisteukeckheit, gegen die sich dann die „Revolution" des Naturalismus erhob. Sie zog ihre Kraft aus dem Auslande, wurde trotz aller Programme plan- und ziellos unternommen und war reich an Brutalitäten und Dummheiten. Aber als einige wirkliche Talente auftauchten, neigte sich der Sieg auf die Seite der Jungen. Und heute fängt man an zu erkenne», daß, was man unreif und unklar erstrebte, zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/40>, abgerufen am 12.05.2024.