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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

eingehend und zu den verschiedensten Jahreszeiten bereist, daß ihn sein Weg dnrch
masurische Heiden und friesische Marschen, über die Vogesen, den Hunsrück, den
Westerwald und die Eifel, in die Niederungen der Eins, der Weser, der Elbe und
Weichsel, in die Jndustricbezirke am Rhein, im Ruhr-, Wupper- und Saarthale,
an den Abhängen des Thüringer Waldes, des Erz- und Riesengebirges, aber auch
in die Fruchtgefilde unsrer Unterländer, nach Mecklenburg und Pommern, Holstein
und Hessen geführt habe. Er darf sich also mit gutem Recht zunächst sür berufen
halten, den Leuten die Augen darüber zu öffnen, "was man in Deutschland sehen
kann." Jeder Leser, der ihm auf seineu Waldpfaden folgt, der ihn die Wälder
des Gebirges, der deutschen Ebne, den Wald im Winter schildern sieht, wird ihm
dabei ebenso freudig zustimmen, als bei den prächtigen Genrebildern von deutschen
Gutshöfen und "von der Wasserkant." Auch wird jeder Unbefangne von vorn¬
herein einräumen, daß P. D, Fischer einen glücklichen Blick für die Mannichfaltig-
keit unsers Erwerbslebens und eine lebendige Freude an deu tüchtigen Erscheinungen
hat, die die schlichte und tapfre Arbeit noch überall zeitigt. Und selbst wo sich
der Verfasser gegen die in die Augen fallende Unwahrheit gewisser Schilderungen
unsers Lebens, gegen die systematischen Hetzereien der Agitatoren wendet, wo er
unsrer Litteratur ius Gewissen redet, nicht blind gegen die vorhandne Fülle sozialer
Tugenden und stillen Heldentunis in unserm bürgerlichen Dasein zu bleiben, wird
er auf vielseitige Zustimmung, vor allem auf Zustimmung der Leser der Grenz¬
boten rechnen dürfen. Ganz anders stellt sich die Frage, wenn uns der Verfasser
ansinnen will, optimistisch von der gegenwärtigen Lage, gerade der mittlern, ge¬
bildetsten Schichten unsers Volks zu denken, zu vergessen, unter welchen bittern
Opfern und herben Verzichtleistungen sich diese aufrecht erhalten, wie ihnen von
allen Seiten her das Leben verkümmert, verengt, verödet und verekelt wird, wenn
er fordert, die Wucht der ungeheuern Thatsache, daß nicht Ehre, nicht Bildung,
nicht Leistung, nicht Gesinnung, nicht einmal Besitz, sondern beinahe ausschließlich
Genuß und Verschwendung die Maßstäbe der gesellschaftliche" Bedeutung und Gel¬
tung geworden sind, für federleicht zu halten. Natürlich wird auch das ertragen
und stellenweise selbst überwunden, aber die Müdigkeit und noch mehr die Bitter¬
keit gewisser und gerade der besten deutschen Lebenskreise erklärt sich hieraus besser
als aus dem armselige" Radau der Zeitungen, die heute in Pessimismus wie früher
in Liberalismus machen. Und endlich, weiß der Verfasser wirklich nicht, daß die
von ihm mit gutem Recht abgewiesene Litteratur des Niedergangs hauptsächlich,
ja beinahe ausschließlich vou dem üppigen Übermut der Lebeusschichten gehalten,
gepflegt und verherrlicht wird, die sich zu allem andern Luxus auch noch den einer
Litteratur gönnen, in der das Elend eine pikante Würze giebt und zugleich das
Gefühl der eignen Erhabenheit weckt?






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

eingehend und zu den verschiedensten Jahreszeiten bereist, daß ihn sein Weg dnrch
masurische Heiden und friesische Marschen, über die Vogesen, den Hunsrück, den
Westerwald und die Eifel, in die Niederungen der Eins, der Weser, der Elbe und
Weichsel, in die Jndustricbezirke am Rhein, im Ruhr-, Wupper- und Saarthale,
an den Abhängen des Thüringer Waldes, des Erz- und Riesengebirges, aber auch
in die Fruchtgefilde unsrer Unterländer, nach Mecklenburg und Pommern, Holstein
und Hessen geführt habe. Er darf sich also mit gutem Recht zunächst sür berufen
halten, den Leuten die Augen darüber zu öffnen, „was man in Deutschland sehen
kann." Jeder Leser, der ihm auf seineu Waldpfaden folgt, der ihn die Wälder
des Gebirges, der deutschen Ebne, den Wald im Winter schildern sieht, wird ihm
dabei ebenso freudig zustimmen, als bei den prächtigen Genrebildern von deutschen
Gutshöfen und „von der Wasserkant." Auch wird jeder Unbefangne von vorn¬
herein einräumen, daß P. D, Fischer einen glücklichen Blick für die Mannichfaltig-
keit unsers Erwerbslebens und eine lebendige Freude an deu tüchtigen Erscheinungen
hat, die die schlichte und tapfre Arbeit noch überall zeitigt. Und selbst wo sich
der Verfasser gegen die in die Augen fallende Unwahrheit gewisser Schilderungen
unsers Lebens, gegen die systematischen Hetzereien der Agitatoren wendet, wo er
unsrer Litteratur ius Gewissen redet, nicht blind gegen die vorhandne Fülle sozialer
Tugenden und stillen Heldentunis in unserm bürgerlichen Dasein zu bleiben, wird
er auf vielseitige Zustimmung, vor allem auf Zustimmung der Leser der Grenz¬
boten rechnen dürfen. Ganz anders stellt sich die Frage, wenn uns der Verfasser
ansinnen will, optimistisch von der gegenwärtigen Lage, gerade der mittlern, ge¬
bildetsten Schichten unsers Volks zu denken, zu vergessen, unter welchen bittern
Opfern und herben Verzichtleistungen sich diese aufrecht erhalten, wie ihnen von
allen Seiten her das Leben verkümmert, verengt, verödet und verekelt wird, wenn
er fordert, die Wucht der ungeheuern Thatsache, daß nicht Ehre, nicht Bildung,
nicht Leistung, nicht Gesinnung, nicht einmal Besitz, sondern beinahe ausschließlich
Genuß und Verschwendung die Maßstäbe der gesellschaftliche» Bedeutung und Gel¬
tung geworden sind, für federleicht zu halten. Natürlich wird auch das ertragen
und stellenweise selbst überwunden, aber die Müdigkeit und noch mehr die Bitter¬
keit gewisser und gerade der besten deutschen Lebenskreise erklärt sich hieraus besser
als aus dem armselige» Radau der Zeitungen, die heute in Pessimismus wie früher
in Liberalismus machen. Und endlich, weiß der Verfasser wirklich nicht, daß die
von ihm mit gutem Recht abgewiesene Litteratur des Niedergangs hauptsächlich,
ja beinahe ausschließlich vou dem üppigen Übermut der Lebeusschichten gehalten,
gepflegt und verherrlicht wird, die sich zu allem andern Luxus auch noch den einer
Litteratur gönnen, in der das Elend eine pikante Würze giebt und zugleich das
Gefühl der eignen Erhabenheit weckt?






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0400] Litteratur eingehend und zu den verschiedensten Jahreszeiten bereist, daß ihn sein Weg dnrch masurische Heiden und friesische Marschen, über die Vogesen, den Hunsrück, den Westerwald und die Eifel, in die Niederungen der Eins, der Weser, der Elbe und Weichsel, in die Jndustricbezirke am Rhein, im Ruhr-, Wupper- und Saarthale, an den Abhängen des Thüringer Waldes, des Erz- und Riesengebirges, aber auch in die Fruchtgefilde unsrer Unterländer, nach Mecklenburg und Pommern, Holstein und Hessen geführt habe. Er darf sich also mit gutem Recht zunächst sür berufen halten, den Leuten die Augen darüber zu öffnen, „was man in Deutschland sehen kann." Jeder Leser, der ihm auf seineu Waldpfaden folgt, der ihn die Wälder des Gebirges, der deutschen Ebne, den Wald im Winter schildern sieht, wird ihm dabei ebenso freudig zustimmen, als bei den prächtigen Genrebildern von deutschen Gutshöfen und „von der Wasserkant." Auch wird jeder Unbefangne von vorn¬ herein einräumen, daß P. D, Fischer einen glücklichen Blick für die Mannichfaltig- keit unsers Erwerbslebens und eine lebendige Freude an deu tüchtigen Erscheinungen hat, die die schlichte und tapfre Arbeit noch überall zeitigt. Und selbst wo sich der Verfasser gegen die in die Augen fallende Unwahrheit gewisser Schilderungen unsers Lebens, gegen die systematischen Hetzereien der Agitatoren wendet, wo er unsrer Litteratur ius Gewissen redet, nicht blind gegen die vorhandne Fülle sozialer Tugenden und stillen Heldentunis in unserm bürgerlichen Dasein zu bleiben, wird er auf vielseitige Zustimmung, vor allem auf Zustimmung der Leser der Grenz¬ boten rechnen dürfen. Ganz anders stellt sich die Frage, wenn uns der Verfasser ansinnen will, optimistisch von der gegenwärtigen Lage, gerade der mittlern, ge¬ bildetsten Schichten unsers Volks zu denken, zu vergessen, unter welchen bittern Opfern und herben Verzichtleistungen sich diese aufrecht erhalten, wie ihnen von allen Seiten her das Leben verkümmert, verengt, verödet und verekelt wird, wenn er fordert, die Wucht der ungeheuern Thatsache, daß nicht Ehre, nicht Bildung, nicht Leistung, nicht Gesinnung, nicht einmal Besitz, sondern beinahe ausschließlich Genuß und Verschwendung die Maßstäbe der gesellschaftliche» Bedeutung und Gel¬ tung geworden sind, für federleicht zu halten. Natürlich wird auch das ertragen und stellenweise selbst überwunden, aber die Müdigkeit und noch mehr die Bitter¬ keit gewisser und gerade der besten deutschen Lebenskreise erklärt sich hieraus besser als aus dem armselige» Radau der Zeitungen, die heute in Pessimismus wie früher in Liberalismus machen. Und endlich, weiß der Verfasser wirklich nicht, daß die von ihm mit gutem Recht abgewiesene Litteratur des Niedergangs hauptsächlich, ja beinahe ausschließlich vou dem üppigen Übermut der Lebeusschichten gehalten, gepflegt und verherrlicht wird, die sich zu allem andern Luxus auch noch den einer Litteratur gönnen, in der das Elend eine pikante Würze giebt und zugleich das Gefühl der eignen Erhabenheit weckt? Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/400>, abgerufen am 13.05.2024.