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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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karischen Sinne abgeändert werden. Unter den Männern, die für dieses Ziel
kämpften, finden wir Namen wie Saldanha Marinho, Felieio de Santos,
Prndente de Moraes, Martins. Gegen die Persönlichkeit des Kaisers wendete
man sich nicht, ihm lassen selbst so radikale Männer wie Mendonea Gerechtig¬
keit widerfahren. Wohl aber hatte man einen Widerwillen gegen das völlig
unter jesuitischen Einfluß stehende Thronfolgerpaar, den Grafen d'En und seine
Gemahlin. Dazu kam die Mißstimmung der Großgrundbesitzer, denen seit
Aufhebung der Sklaverei die billigen, beliebig auszunutzenden Arbeitskräfte
fehlten.

Im Mai 1889 wurde das Ministerium Johann Alfredo gestürzt, der
Graf von Ouro Preto unterhandelte mit den kaiserlichen Prinzen über ein
neu zu bildendes Ministerium und über die Thronfolge, während der greise
Kaiser, der keine Kenntnis von diesen Verhandlungen hatte, den redlichsten
seiner Staatsmänner, Saraiva, zu sich berief. Saraiva sah wohl ein, daß die
Republik kommen mußte, und war nur darauf bedacht, den Bürgerkrieg zu
vermeiden. Daher schlug er dem Kaiser vor, dem Parlament Pläne vor¬
zulegen, in denen die Verfassungsänderung so ins Auge gefaßt war, daß die
einzelnen Provinzen Regierungen mit ausgedehnten Selbstverwaltuugsrechten
erhalten, alle Provinzen aber einen Bundesstaat bilden sollten. Der Kaiser
war mit diesem Plane, der nichts weniger besagte, als die kaiserliche Gewalt
in die Hände des Volkes zu legen, einverstanden, und diese Zurücksetzung der
eignen Person gegenüber den Interessen der Allgemeinheit, diese uneigennützige
Vaterlandsliebe nötigt selbst Mendonea Bewunderung ab. Saraiva erhielt von
Kaiser den Auftrag, die erwähnten Reformpläne dem Parlament vorzulegen,
weigerte sich aber, diese Aufgabe zu übernehmen, da ihm die Ziele Ouro
Pretos bekannt waren und er auf die Unterstützung seiner eignen Partei nicht
sicher rechnen konnte. So wurde Ouro Preto leitender Minister, die republi¬
kanische Partei verband sich mit dem Heere, ganz unerwartet wurde die Re¬
publik proklamirt, die föderativ-republikanische an Stelle einer zentralistisch-
monarchischen Verfassung gesetzt und der Thronfolger mit einer Summe von
zwei und einer halben Million Dollars abgefunden.

Die Vorgänge in Brasilien in der letzten Zeit gehören noch nicht in ihrem
ganzen Umfange der Geschichte an. Noch finden die Wellenkreise der Erregung
des Bürgerkrieges über das Land, das wirtschaftlich sehr gelitten hat und die
Folgen dieser Verfassungskämpfe jedenfalls noch lange verspüren wird. In
der Botschaft des Präsidenten von Brasilien an den Kongreß wurde der Ausfall
im Staatshaushalte für 1894 auf 46000 Contos de Reis angegeben, während
die außerordentlichen Ausgaben auf 76000 Contos de Reis gestiegen sind.

Die Monarchie hat keine geordneten Verhältnisse schaffen können; es ent¬
stand ein schroffer Feudalismus und eine oligarchische Herrschaft in Politik
und Verwaltung, daher bildeten sich keine Parteien, deren wirtschaftliche und


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karischen Sinne abgeändert werden. Unter den Männern, die für dieses Ziel
kämpften, finden wir Namen wie Saldanha Marinho, Felieio de Santos,
Prndente de Moraes, Martins. Gegen die Persönlichkeit des Kaisers wendete
man sich nicht, ihm lassen selbst so radikale Männer wie Mendonea Gerechtig¬
keit widerfahren. Wohl aber hatte man einen Widerwillen gegen das völlig
unter jesuitischen Einfluß stehende Thronfolgerpaar, den Grafen d'En und seine
Gemahlin. Dazu kam die Mißstimmung der Großgrundbesitzer, denen seit
Aufhebung der Sklaverei die billigen, beliebig auszunutzenden Arbeitskräfte
fehlten.

Im Mai 1889 wurde das Ministerium Johann Alfredo gestürzt, der
Graf von Ouro Preto unterhandelte mit den kaiserlichen Prinzen über ein
neu zu bildendes Ministerium und über die Thronfolge, während der greise
Kaiser, der keine Kenntnis von diesen Verhandlungen hatte, den redlichsten
seiner Staatsmänner, Saraiva, zu sich berief. Saraiva sah wohl ein, daß die
Republik kommen mußte, und war nur darauf bedacht, den Bürgerkrieg zu
vermeiden. Daher schlug er dem Kaiser vor, dem Parlament Pläne vor¬
zulegen, in denen die Verfassungsänderung so ins Auge gefaßt war, daß die
einzelnen Provinzen Regierungen mit ausgedehnten Selbstverwaltuugsrechten
erhalten, alle Provinzen aber einen Bundesstaat bilden sollten. Der Kaiser
war mit diesem Plane, der nichts weniger besagte, als die kaiserliche Gewalt
in die Hände des Volkes zu legen, einverstanden, und diese Zurücksetzung der
eignen Person gegenüber den Interessen der Allgemeinheit, diese uneigennützige
Vaterlandsliebe nötigt selbst Mendonea Bewunderung ab. Saraiva erhielt von
Kaiser den Auftrag, die erwähnten Reformpläne dem Parlament vorzulegen,
weigerte sich aber, diese Aufgabe zu übernehmen, da ihm die Ziele Ouro
Pretos bekannt waren und er auf die Unterstützung seiner eignen Partei nicht
sicher rechnen konnte. So wurde Ouro Preto leitender Minister, die republi¬
kanische Partei verband sich mit dem Heere, ganz unerwartet wurde die Re¬
publik proklamirt, die föderativ-republikanische an Stelle einer zentralistisch-
monarchischen Verfassung gesetzt und der Thronfolger mit einer Summe von
zwei und einer halben Million Dollars abgefunden.

Die Vorgänge in Brasilien in der letzten Zeit gehören noch nicht in ihrem
ganzen Umfange der Geschichte an. Noch finden die Wellenkreise der Erregung
des Bürgerkrieges über das Land, das wirtschaftlich sehr gelitten hat und die
Folgen dieser Verfassungskämpfe jedenfalls noch lange verspüren wird. In
der Botschaft des Präsidenten von Brasilien an den Kongreß wurde der Ausfall
im Staatshaushalte für 1894 auf 46000 Contos de Reis angegeben, während
die außerordentlichen Ausgaben auf 76000 Contos de Reis gestiegen sind.

Die Monarchie hat keine geordneten Verhältnisse schaffen können; es ent¬
stand ein schroffer Feudalismus und eine oligarchische Herrschaft in Politik
und Verwaltung, daher bildeten sich keine Parteien, deren wirtschaftliche und


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[0412] Brasilien karischen Sinne abgeändert werden. Unter den Männern, die für dieses Ziel kämpften, finden wir Namen wie Saldanha Marinho, Felieio de Santos, Prndente de Moraes, Martins. Gegen die Persönlichkeit des Kaisers wendete man sich nicht, ihm lassen selbst so radikale Männer wie Mendonea Gerechtig¬ keit widerfahren. Wohl aber hatte man einen Widerwillen gegen das völlig unter jesuitischen Einfluß stehende Thronfolgerpaar, den Grafen d'En und seine Gemahlin. Dazu kam die Mißstimmung der Großgrundbesitzer, denen seit Aufhebung der Sklaverei die billigen, beliebig auszunutzenden Arbeitskräfte fehlten. Im Mai 1889 wurde das Ministerium Johann Alfredo gestürzt, der Graf von Ouro Preto unterhandelte mit den kaiserlichen Prinzen über ein neu zu bildendes Ministerium und über die Thronfolge, während der greise Kaiser, der keine Kenntnis von diesen Verhandlungen hatte, den redlichsten seiner Staatsmänner, Saraiva, zu sich berief. Saraiva sah wohl ein, daß die Republik kommen mußte, und war nur darauf bedacht, den Bürgerkrieg zu vermeiden. Daher schlug er dem Kaiser vor, dem Parlament Pläne vor¬ zulegen, in denen die Verfassungsänderung so ins Auge gefaßt war, daß die einzelnen Provinzen Regierungen mit ausgedehnten Selbstverwaltuugsrechten erhalten, alle Provinzen aber einen Bundesstaat bilden sollten. Der Kaiser war mit diesem Plane, der nichts weniger besagte, als die kaiserliche Gewalt in die Hände des Volkes zu legen, einverstanden, und diese Zurücksetzung der eignen Person gegenüber den Interessen der Allgemeinheit, diese uneigennützige Vaterlandsliebe nötigt selbst Mendonea Bewunderung ab. Saraiva erhielt von Kaiser den Auftrag, die erwähnten Reformpläne dem Parlament vorzulegen, weigerte sich aber, diese Aufgabe zu übernehmen, da ihm die Ziele Ouro Pretos bekannt waren und er auf die Unterstützung seiner eignen Partei nicht sicher rechnen konnte. So wurde Ouro Preto leitender Minister, die republi¬ kanische Partei verband sich mit dem Heere, ganz unerwartet wurde die Re¬ publik proklamirt, die föderativ-republikanische an Stelle einer zentralistisch- monarchischen Verfassung gesetzt und der Thronfolger mit einer Summe von zwei und einer halben Million Dollars abgefunden. Die Vorgänge in Brasilien in der letzten Zeit gehören noch nicht in ihrem ganzen Umfange der Geschichte an. Noch finden die Wellenkreise der Erregung des Bürgerkrieges über das Land, das wirtschaftlich sehr gelitten hat und die Folgen dieser Verfassungskämpfe jedenfalls noch lange verspüren wird. In der Botschaft des Präsidenten von Brasilien an den Kongreß wurde der Ausfall im Staatshaushalte für 1894 auf 46000 Contos de Reis angegeben, während die außerordentlichen Ausgaben auf 76000 Contos de Reis gestiegen sind. Die Monarchie hat keine geordneten Verhältnisse schaffen können; es ent¬ stand ein schroffer Feudalismus und eine oligarchische Herrschaft in Politik und Verwaltung, daher bildeten sich keine Parteien, deren wirtschaftliche und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/412>, abgerufen am 16.06.2024.